EU-Motoren politisch gelähmt
"Jetzt ist die beste Zeit für Russland, Chaos zu säen"
Frankreich und Deutschland sind politisch in der Krise. Das nutzt Russland aus, sagt Osteuropa-Experte Alexander Dubowy.
Frankreichs Regierung wurde durch ein Misstrauensvotum gestürzt, Premier Michel Barnier trat zurück. In Deutschland ist die Ampel-Regierung zerbrochen. Dazu kommen eine Wirtschaftskrise und enorme gesellschaftliche Spannungen. Ist die EU dadurch in Gefahr? Und wer profitiert? Dazu Politikanalyst Alexander Dubowy und Politikberater Remo Reginold.
Was bedeutet der Regierungssturz in Frankreich für die EU?
Alexander Dubowy: "Eine Schwächung der politischen Handlungsfähigkeit. Emmanuel Macron ist neben Giorgia Meloni eine der wenigen Führungspersönlichkeiten in Europa, die begriffen haben, dass Russland nur die Sprache der Stärke versteht. Jetzt liegt sein Land politisch in Scherben."
Zur Person: Alexander Dubowy
Alexander Dubowy ist Politikanalyst und spezialisiert auf Russland, Osteuropa und die GUS-Staaten. Er verfügt über mehr als zehn Jahre Erfahrung im Bereich Forschung und Beratung zu Fragen internationaler Politik- und Sicherheitsangelegenheiten.
Remo Reginold: "Das ist eine Frage der Perspektive. Der Fall Frankreich zeigt aber klar, wie verwirrt und gespalten westliche Gesellschaften sind. Der Gesellschaftsvertrag, die soziale Kohärenz, der Glaube an eine uneingeschränkte Marktlogik und eine ungehemmte Globalisierung zeichnen Risse. Das führt zu nervösem und unüberlegtem Handeln."
Welche Gefahren drohen den führungslosen Staaten?
Dubowy: "Eine Radikalisierung der Politik und eine weitere Spaltung der Gesellschaft. Denn die derzeitige politische Klasse ist von parteipolitischen Querelen eingenommen und kann der multidimensionalen Krise nicht adäquat begegnen. Innenpolitisch können noch radikalere Kräfte als die bisherigen aufkommen."
Welche Gefahren drohen der EU von außen?
Dubowy: "Europa steht vor einer Zerreißprobe. Hier sehe ich drei Hauptgefahren."
Dubowys drei Hauptgefahren
- "Die russischen Desinformations- und Einflusskampagnen haken in die Kerben, welche die Krisen in den EU-Ländern hinterlassen. Diese Schwächephase ist die beste Zeit für Russland, Chaos zu stiften und europäische Politik zu manipulieren. Anstrengungen dazu gibt es bereits seit Jahren."
- "Das imperiale Gebaren des Kremls. Wenn Russland im Ukrainekrieg einen Erfolg erzielt, kann es die Beistandsklauseln von EU und Nato testen, etwa mit Angriffen im Baltikum oder in Norwegen."
- "Und dann ist da noch China. Das Land profitiert eigentlich in allen Belangen vom Ukrainekrieg und der europäischen Schwäche. Nur ein Beispiel: Mittlerweile hat China rund 70 Prozent des russischen Automobilmarkts eingenommen."
Reginold: "Gefahren bestehen immer. Was wir nicht mehr können, ist unsere Stärken wie Vielfalt und Kreativität einsetzen. Wir haben verlernt, mit Uneindeutigkeit und Volatilität umzugehen. Die Institutionen und internationalen Regelwerke, die wir aufgestellt haben, haben bis anhin unsere Sicherheit garantiert. In diesem Sinne werden wir zunehmend wirtschaftlich, technologisch und militärisch vulnerabel. Klassische Gegner werden wir in Europa und in der Schweiz kurz- und mittelfristig nicht haben, aber Partner, die vielleicht situativ nicht auf uns setzen."
Zur Person: Remo Reginold
Remo Reginold ist Politikberater und Co-Geschäftsführer der Firma Politikwissenschaftliche Beratung Schweiz GmbH. Er studierte Politikwissenschaften, Philosophie und Theologie und forschte in Frankreich, Großbritannien und den USA. Aktuell ist er Lehrbeauftragter an der Universität Basel.
Wie kommt Europa wieder auf die Beine?
Dubowy: "Die zunehmend größer werdende Kluft zwischen der politischen Klasse und der Gesellschaft muss geschlossen werden. Um das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen, hat die Politik endlich die vielfältigen Probleme, etwa in der Migrations- und Integrationspolitik, zu benennen und anzugehen. Ausufernde Staatsausgaben müssen gesenkt, Bürokratie abgebaut und Verteidigungsfähigkeit angesichts der russischen Aggression gestärkt werden. Auch bedarf es des politischen Engagements aus der gesellschaftlichen Mitte heraus. Denn die extremen Randparteien werden die Probleme nicht lösen."
Reginold: "Es braucht mehr Cleverness und Kreativität. Mehr unorthodoxe Methoden und Pragmatismus. Das Problem ist, dass Institutionen sich reproduzieren. Darum sind von der Verwaltungsspitze her, aber auch aus der Managementlogik kaum 'Out-of-the-Box'-Ansätze zu erwarten."
Verliert Europa den Anschluss?
Reginold: "Mit Überregulierung und der Verwaltungslogik mit dem Mindset aus einer globalisierten Welt der 80er- und 90er-Jahre werden wir den Anschluss verlieren. Mit der Neuverteilung der globalen Machtverhältnisse werden sich unwiderstehlich neue Alternativen ergeben. Diese Verschiebung passiert schleichend und nicht von heute auf morgen. Wir verlieren den Anschluss, ohne, dass wir es merken."
Was darf aus Ihrer Sicht auf keinen Fall passieren?
Dubowy: "Dass Europa die Augen verschließt und hofft, dass alles vorbeigeht. Das wird nicht passieren. Niemand kommt zu unserer Rettung. Wir selbst müssen unsere Demokratie verteidigen. Und auch wenn es für gewisse Kreise reizvoll scheinen mag: Autokraten sind nicht die Lösung, sondern Teil des Problems."
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Auf den Punkt gebracht
- Die deutsche Ampel ist zerbrochen, Frankreichs Regierung gelähmt, EU-Länder innenpolitisch zerstritten.
- Macht das Europa noch anfälliger für Desinformation und Einflussnahme? Wer profitiert davon? Und wie kommt Europa da wieder hinaus?
- Dazu ein Politikanalyst und Osteuropa-Experte und ein Politikberater.