Wien
Janina (19): "Nach meiner Geburt begann der Entzug"
Während der Schwangerschaft konsumierte Janinas Mutter Drogen und Alkohol. Trotz Widerstände schaffte die 19-jährige den Weg in den Leistungssport.
Es war Liebe auf den ersten Blick für Heidemarie Thomann und Gottfried Müllner, als sie die kleine Janina im Kinderheim zum ersten Mal sahen. "Magst du mit mir spielen?", strahlte die vierjährige und eroberte damit das Herz ihrer heutigen Pflegeeltern. Thomann und Müllner, die selbst keine Kinder hatten, hörten damals von dem Konzept der "Besuchskinder": An den Wochenenden fuhr das Wiener Paar regelmäßig ins Kinderheim und verbrachte Zeit mit Janina. Die Bindung wurde schon bald so eng, dass sie sich schlussendlich dafür entschieden, das kleine Mädchen als Pflegekind aufzunehmen. "Wir werden nie vergessen, wie sie mit dem Plastiksackerl vor dem Heim stand und leise sagte: 'Hier komme ich nicht mehr zurück'", erinnert sich Thomann. Für das kleine aufgeweckte Mädchen begann ein neues Leben.
"Ich bin nicht wütend, aber verzeihen kann ich nicht"
Janina Falk leidet am FAS-Syndrom (Fetales Alkoholsyndrom), kam im Entzug zur Welt. Während der Schwangerschaft konsumierte ihre Mutter Drogen und Alkohol. Sie verstarb früh, zum Vater hatte Falk nie Kontakt und landete im Kinderheim. "Ich bin nicht wütend auf sie. Aber verzeihen kann ich trotzdem nicht", sagt die heute 19-jährige über ihre leibliche Mutter. Durch den Alkoholkonsum kommt es beim FAS zu Fehlbildungen im Gehirn, die unterschiedlich ausgeprägt sein können. Aufgrund ihrer Behinderung hat sie unter anderem eine Lernschwäche, verzögerte Wahrnehmung, eine Sehbeeinträchtigung und kann ihren Alltag nicht selbstständig bewältigen.
"FAS ist immer noch ein Tabuthema in Österreich"
Zu oft fehlt beim FAS die Diagnose, erklärt Pflegemama Heidemarie Thomann. "Die meisten Diagnosen gibt es bei Pflegefamilien. Bei leiblichen Müttern ist oft die Angst und die Scham zu groß". Auch bei Falk dauerte es zehn Jahre, bis klar war, worunter sie leidet. "Vom Alkohol und den Drogen wussten wir natürlich, aber die Krankheit war uns unbekannt", so Thomann. Auch nach der Diagnose sei man nur wenig darauf eingegangen. "Es ist definitiv ein Tabuthema in Österreich", sagt Papa Gottfried Müllner.
"Ich möchte die Beste der Welt werden"
Aufgrund ihrer Behinderung ist Janina hyperaktiv und kommt nur schwer zur Ruhe. Als Ventil diente ihr schon als Kind der Sport. Mit acht Jahren find die Wienerin zu schwimmen an. Heute gehört die dreifache EM-Medaillengewinnerin, achtundzwanzigfache österreichische Staatsmeisterin und Paralympics-Teilnehmerin zu den Besten der Besten im österreichischen Parasport – trotz so mancher Herausforderung, die ihre Beeinträchtigung mit sich bringt. "Beim Startsprung bin ich immer die letzte, weil meine Wahrnehmung eben verzögert ist", erzählt sie und lacht: "Dann muss ich doppelt so schnell schwimmen".
Wegen ihrer Sehbeeinträchtigung trägt Falk eine optische Schwimmbrille, die Uhr kann sie nur digital lesen und auch so manche Erklärung vom Coach werden zur Herausforderung. Davon lässt sich die ehrgeizige 19-jährige aber nicht unterkriegen. "Beim Sport ist sie ein anderer Mensch, eine richtige Rampensau", lacht Müllner. Für Falk selbst ist klar: "Schwimmen ist mein Lebensinhalt und meine Zukunft." Auf die Frage, welche Ziele sie sich noch gesteckt hat, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: "Ich will die Beste der Welt werden!"
Zwischen Studium und Schwimmtraining
Auf dem Weg in die Selbstständigkeit hat Janina Falk seit kurzem auch einen neuen Begleiter: Assistenzhündin Isabella, die ihr Stresslevel senkt und sie im Alltag unterstützt. Und der ist durchgetaktet: neben 3,5 Stunden täglichem Training absolviert Falk nun nämlich auch ein Studium. Mit Hilfe eines von der EU geförderten Projektes kann sie in einem Salzburger Studiengang in verschiedene Arbeitsbereiche wie Tourismus und Gastronomie schnuppern.
Ob Profischwimmerin oder ein anderer Beruf, die Eltern wünschen sich für ihre Tochter vor allem eines: "Sie soll so bleiben wie sie ist. Wir hoffen, dass sie irgendwann einmal selbstständig leben kann und den Beruf ausübt, der ihr Freude macht." Janina aufzunehmen, war für Müllner und Thomann die "beste Entscheidung". Falk ist ihren Eltern "über alles dankbar": "Mein ganzes Leben sind sie für mich da. Meine Eltern sind mir sehr, sehr wichtig."
Janina und ihre Familie engagieren sich in Wien in einer Selbsthilfegruppe für Betroffene. Wer selbst Hilfe benötigt, kann sich hier informieren.