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Ist dieses Foto der Anfang vom Ende für Trump?
US-Präsident Donald Trump muss derzeit viele Feuer löschen: Die Corona-Krise, nationale Unruhen, eine Wirtschaft auf Talfahrt – und das alles fünf Monate vor der Präsidentschaftswahl.
Bis zu den US-Präsidentschaftswahlen ist es nicht mehr lange hin. Für US-Präsident Donald Trump stand vor wenigen Monaten fest, was am 3. November passieren wird: "Ich werde sie alle schlagen." Doch das Blatt hat sich gewendet. Mittlerweile kämpfen die USA und ihr Präsident an mehreren Fronten: landesweite Proteste, Corona-Krise und 40 Millionen Arbeitslose, fast schon wie zu Zeiten der großen Depression. Kommt das dem demokratischen Herausforderer Joe Biden zugute? Was spricht für, was gegen eine Wahlsieg von Trump?
Wer liegt in nationalen Umfragen vorne?
In der Wahlumfrage von "ABC News" und "Washington Post" liegt der Präsident landesweit um 10 Prozentpunkte hinter seinem Herausforderer. Auch beim gemittelten Wert aller Umfragen liegt Biden derzeit in Führung mit 48,6 zu 42,6 Prozent. Anlass zur Freude bei den Demokraten? Nein, sagt Politologe Thomas Greven vom John F. Kennedy Institut in Berlin. Es sei noch zu früh, um nationale Umfragen zu bewerten: "Aussagekräftiger sind die Umfrageergebnisse aus den sogenannten Swing States, wo sich die Wahl aufgrund des Wahlmännersystems letztlich entscheidet." Merke: Im US-Wahlkampf braucht es für den Sieg keine Mehrheit der Stimmenden – entscheidend ist die Zahl der Elektoren (Wahlmänner), die durch Mehrheiten in den einzelnen Bundesstaaten gewonnen werden.
Wie sieht es in den Swing States aus?
Derzeit führt Biden nur knapp in allen wichtigen Wechselwählerstaaten: In Wisconsin liegt er 2,7 Prozent vorne, in Florida 3,5 Prozent, in Arizona 4 Prozent, in Michigan 5,5 Prozent, in Pennsylvania 6,5 Prozent – und in Minnesota, von wo die landesweiten Unruhen erst ausgingen, führt der 77-Jährige mit 5 Prozent.
Der Vorsprung sei zwar Anlass für Hoffnung für die Demokraten, aber "das heißt noch gar nichts – fragen Sie nur einmal Hillary Clinton", warnt Politologe Greven. Trumps Herausforderin von 2016 hatte nicht nur in den Wechselwählerstaaten, sondern auch in den traditionellen Demokraten-Hochburgen unerwartet verloren.
Popularität: Muss sich Trump Sorgen machen?
Trumps Beliebtheitswerte bewegen sich seit Monaten zwischen 40 und 45 Prozentpunkten. Damit befindet er sich fünf Monate vor der Wahl eindeutig in einer Gefahrenzone. Die Zustimmungsquote gilt als eine der zuverlässigsten Indikatoren für die Wiederwahlchancen. Dabei gilt die Erfahrungsregel: Wer im Sommer vor den Präsidentschaftswahlen nicht über 45 Prozent Zustimmung kommt, muss sich um seine Wiederwahl ernste Sorgen machen. Ob das auf Trump auch zutrifft, wird sich zeigen. Immerhin hat er, der in der Geschichte der USA als erster Nicht-Politiker ins Weiße Haus einzog, bisher ziemlich viele Regeln und Erfahrungswerte außer Kraft gesetzt.
Wie wirkt sich die Corona-Krise aus?
Je länger Covid-19 auftritt, desto stärker beeinflusst die Epidemie das Wählerverhalten. Ende März bis Anfang April kam Trump kurz der "Rally around the Flag"-Effekt zugute: Die Mehrheit der Amerikaner befürwortete sein Corona-Management. Das änderte sich ab Mitte April, wie eine Auswertung des Online-Portals "FiveThirtyEight" zeigt. Seither stieg die Zahl der Unzufriedenen konstant. Mittlerweile sprechen sich 43 Prozent für Trumps Krisenhandhabung aus, über 54 Prozent lehnen sie ab. Dazu kommt, dass traditionell republikanisch geprägte Counties weniger Corona-Tote zu beklagen haben als demokratische. Entsprechend unterschiedlich ist die Wahrnehmung der Viruskrise.
Und die Unruhen?
Die Unruhen und Proteste, die nach der Tötung von Georg Floyd in Minneapolis das Land ergrifffen haben, scheinen auf den ersten Blick Herausforderer Biden in die Hände zu spielen. Dieser sucht den Kontakt zu den Protestierenden, hält bewegende Reden und wirkt authentisch in seinem Mitgefühl. Der Kontrast zu Trump, der die Polizeigewalt nur halbherzig verurteilt und den Protestierenden mit dem Militär droht, könnte nicht größer sein.
Beobachter vermuten hinter Trumps Drohungen gegen die Protestierenden allerdings Wahltaktik: So bieten die Unruhen Trump die Gelegenheit, von der Corona-Krise und ihren verheerenden wirtschaftlichen Folgen abzulenken. Bei dem Thema hat er die Wechselwähler vom November im Auge: Ältere, weiße Wähler, die vor Krawallen und Schwarzen Angst haben. Ob der Fokus auf diese Wählerschicht sich auszahlen wird, ist unklar.
Was ist mit dem Foto vor der Kirche?
"Trump setzt weiterhin ganz auf Symbolpolitik", sagt Politologe Greven. Jüngstes Beispiel: Trump ließ sich letzte Woche mit einer Bibel vor der St.-John-Kirche in Washington ablichten – vor allem, um sich für die evangelikanischen Christen zu inszenieren. Damit das Foto wie geplant zustande kommen konnte, setzten Polizisten Pfefferspray ein – sogar gegen Geistliche, die vor der Kirche Wasser austeilten. "Bilder wie dieser Auftritt vor der Kirche werden in den USA komplett gegensätzlich wahrgenommen", so Greven. Während dieser Auftritt für viele Wähler eines Präsidenten nicht würdig gewesen sei, fühle sich Trumps Wählerbasis bestätigt, dass er der "Präsident für Recht und Ordnung" ist.
Allerdings scheint der PR-Auftritt des Präsidenten gerade jene erbost zu haben, denen er eigentlich gegolten hatte: Evangelikale, Protestanten und Katholiken, die im Wahlkampf 2016 für Donald Trump eine der wichtigsten Stützen gewesen waren. Sie wenden sich immer mehr von Trump ab, wie eine Umfrage des Public Religion Research Institute (PRRI) zeigt.
Wo wächst der politische Widerstand?
Trumps Auftritt vor der St.-John-Kirche, sein autoritäres Gehabe bei den Unruhen, seine Drohung, das Militär gegen die eigenen protestierenden Bürger einzusetzen – all das hat Trumps ehemaligen Verteidigungsminister James Mattis auf den Plan gerufen: Der hochdekorierte General, der wegen Trumps Syrienpolitik zurückgetreten war, ist in den Reihen der Armee enorm beliebt. Jetzt bezeichnete er Trump geradeheraus als untauglich für das Präsidentenamt. Darauf beschimpfte Trump ihn auf Twitter, was viele als respektlos empfanden.
17 Prozent der Amerikaner, die republikanisch wählen, würden sich mittlerweile für Trumps demokratischen Herausforderer Joe Biden entscheiden, fände die Präsidentenwahl heute statt. Das ist noch keine Meuterei in den eigenen Reihen, aber ein deutliches Warnzeichen für den Präsidenten.
Was spricht für einen Sieg Bidens?
"Biden kann gewinnen, wenn die Wahl zu einer nüchternen Abrechnung mit der tatsächlichen Politik des Präsidenten wird", sagt Politologe Thomas Greven. "Trumps Bilanz ist offensichtlich desaströs und seine Politik hat viele Amerikaner – auch solche, die 2016 Trump gewählt haben – negativ betroffen." Anders als 2016 könnten die Demokraten Trump in diesem Wahlkampf ein Zeugnis ausstellen – und das fällt denkbar schlecht aus angesichts von über 100’000 Corona-Toten und 40 Millionen Arbeitslosen im Land.
Weitere Faktoren, die für eine Wahl von Demokrat Biden sprechen: Trumps Außenpolitik hat bei Licht betrachtet bislang kaum Erfolge verzeichnet. Vor allem aber haben die Corona-Krise und die aktuellen Unruhen überdeutlich gemacht, dass Biden im Gegensatz zu Trump den besseren Ton bei breiteten Wählerschichten trifft.
Was spricht für einen Sieg Trumps?
"Grundsätzlich ist Trump im Vorteil, weil das Wahlsystem ihm zugute kommt: Bevölkerungsarme Staaten sind überrepräsentiert und darunter sind viele ländliche, die traditionell Republikaner wählen. Zudem versuchen die Republikaner entschlossen, die Wahlbeteiligung von Minderheiten und jungen Wählern zu behindern, die mehrheitlich Demokraten wählen", sagt Politologe Greven. Und fügt als weiteren Punkt an: "Trump wird gewinnen, wenn es ihm wieder gelingt, die Bevölkerung zu spalten. Die derzeitigen Proteste ermöglichen es ihm, der weißen Bevölkerung Angst zu machen – insbesondere den älteren weißen Wählern, die schon damit begonnen haben, Trump wegen seines schlechten Pandemie-Managements kritischer zu sehen."
Traditionell wird dem Amtsinhaber ein Vorteil im Präsidentschaftsrennen zugerechnet. Denn dieser verfügt über eine größere Bekanntheit als sein Herausforderer und kann sein Amt nutzen , um seine Erfolge öffentlich anzupreisen. Wer sich jedoch gründlich unbeliebt gemacht hat, dem hilft auch dies kaum noch.