Welt
In diesen zehn Ländern rollt die zweite Corona-Welle an
Während die einen bezweifeln, dass es überhaupt eine erste Welle gab, befürchten andere, die zweite schwappe bereits um die Welt. Nicht ganz grundlos.
Die vielen Lockerungen der vergangenen Wochen waren trügerisch: Die Pandemie wird uns noch lange beschäftigen. "Die harte Realität ist, dass es noch nicht einmal annähernd vorbei ist", sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus erst am Montag. Seine Aussage bestätigt ein Blick auf die Fallzahlen weltweit: Nach einer kurzen Verschnaufpause steigen sie vielerorts wieder an – auch in Österreich.
Vom Vorbild zum ersten Land mit zweiter Welle
Doch nur in einem Land ist das laut Experten schon die berüchtigte zweite Welle. Zehn Staaten scheinen laut einer Analyse des "Guardian", die sich auf Zahlen der University of Oxford stützt, direkt darauf zuzusteuern. Lange galt Südkorea als vorbildlich im Kampf gegen Covid-19, weil es die erste Virusausbreitung ohne Ausgangssperren in den Griff bekam. Stattdessen kam eine Kombination von Abstandsregeln, konsequenter Fallverfolgung und Testung zum Einsatz.
Nun ist das asiatische Land das erste, das laut den nationalen Behörden offiziell von einer zweiten Welle heimgesucht wird. Im Schnitt werden täglich 35 bis 50 Neuansteckungen gemeldet. Gemäß einem Sprecher des südkoreanischen Zentrums für Krankheitskontrolle und Prävention (KCDC) gehen Experten davon aus, dass die erneute Ausbreitung von Sars-CoV-2 mit den Lockerungen der Kontaktbeschränkungen und den Ferien im Mai begonnen hat. Seither kam es in Nachtclubs und Kirchen immer wieder zu Neuinfektionen. Ein Ausbruch mit 65 Infizierten nahm seinen Anfang in einem Zumba-Kurs.
Schon zweite oder doch noch erste Welle?
Aber nicht nur in Südkorea haben Lockerungen der Maßnahmen einen erneuten Anstieg der Infektionen zur Folge. Auch im Iran und in den USA sprechen die kontinuierlich steigenden Zahlen Bände.
Iran
Über den Iran hieß es bereits, das Land kämpfe schon mit der zweiten Welle. "Darauf deutet alles hin", erklärte unter anderen Lothar Wieler vom Robert-Koch-Institut an einer Pressekonferenz. Denn nachdem der Staat die Pandemie mithilfe strenger Ausgangsbeschränkungen Mitte Mai erfolgreich eingedämmt hatte, schnellen jetzt die Zahlen wieder nach oben.
Die Regierung in Teheran will davon trotz täglich 2.000 bis 3.000 bestätigter Neuinfektionen nichts wissen. Man befände sich noch mitten in der ersten Welle, so Sima Sadat Lari, Sprecherin des Gesundheitsministeriums, zur Nachrichtenagentur Irna.
Die Begründung: "Aktuell erreicht das Coronavirus einen Höchststand in den Grenzregionen und Städten, in denen es in den ersten Monaten nicht aufgetreten ist." Erst wenn es in Regionen, in denen es bereits einen "bedeutenden Höhepunkt" an Infektionen gegeben habe, zu einem merklichen Anstieg komme, könne man von einer zweiten Welle sprechen.
USA
Mit derselben Begründung sehe man sich auch in den USA immer noch inmitten der ersten Welle, die nun wieder Fahrt aufnehme, zitiert Faz.net Anthony Fauci, den Chefepidemiologen der Regierung. So sei im Frühjahr 2020 mit New York und New Jersey vor allem die Ostküste betroffen gewesen, nun seien die Bundesstaaten Florida, Texas, Arizona, Georgia und Kalifornien am stärksten betroffen.
Angesichts von am Mittwoch erstmals über 50.000 Ansteckungen an einem Tag, einem Präsidenten, der noch immer behauptet, das Virus würde wieder von allein verschwinden, Corona-Partys feiernden Studenten und mit Blick auf den Nationalfeiertag am 4. Juli, der für ein hohes Reiseaufkommen sorgen dürfte, zeigen sich Gesundheitsexperten besorgt. Es könne sich "ein perfekter Sturm" zusammenbrauen, sagte Joshua Barocas, Spezialist für Infektionskrankheiten am Boston Medical Center, gemäß Cnn.com. Den hält auch Fauci für nicht abwegig. Er warnte, die Zahl der täglichen Neuinfektionen in den USA könne auf täglich 100.000 ansteigen.
Vizepräsident Mike Pence hält indes die Ängste vor einer zweiten Welle für «aufgebauscht», wie Faz.net schreibt: Die Medien würden mit «finsteren Vorhersagen» den Amerikanern Angst einjagen.
Zehn Ländern droht die zweite Welle
Weniger streitbar als die Meinungen der iranischen und amerikanischen Vertreter sind die Zahlen, welche Forscher mit dem "Guardian" ausgewertet haben. Die Daten basieren auf dem "Coronavirus Government Response Tracker" der University of Oxford, die zeigen, wie sich das Infektionsgeschehen in verschiedenen Ländern in Bezug auf die Maßnahmen entwickelt.
Für die Analyse, deren Ergebnis am 25. Juni 2020 publiziert wurde, war vor allem der sogenannte Stringenzindex relevant, der die Entwicklung der Fallzahlen in Bezug auf Lockerungsmassnahmen eines Staates untersucht. Liegt der – bei einer Skala von 0 bis 100 – unter 70, wird die Lage im jeweiligen Land als "entspannt" eingestuft. Steigt der Wert über diese Marke, drohen erneute Maßnahmen bis hin zum Lockdown. Auch eine zweite Welle könnte dann möglich sein, so die Autoren.
Deutschland steuert auf zweite Welle zu
Demgemäß steuern neben dem Iran (52,8) und den USA (69,0) auch Deutschland (73,0), die Ukraine (64,3), Bangladesh (63,0), Frankreich (65,7), Schweden (46,3), Indonesien (68,0) und Saudiarabien (69,9) direkt auf die zweite Pandemiewelle zu. Auch Österreich zählt mit einem Stringenzwert von 64,81 dazu.
Zwar sei die Situation gemäß Stringenzwert in allen Ländern noch entspannt, allerdings stiegen in allen zehn die Fallzahlen aktuell im Vergleich zur Vorwoche wieder signifikant, heißt es auf Theguardian.com. Weitere Gemeinsamkeit der Länder: Allen Anstiegen waren jeweils deutliche Lockerungen vorausgegangen: "Jedes dieser Länder sieht sich mit der Aussicht auf eine zweite Infektionswelle konfrontiert, wobei die geringere Stringenz ihrer Pandemiereaktion es ermöglicht, dass sich die Fälle Woche für Woche häufen."