Spieletests
"Immortals Fenyx Rising" im Test: Wahrlich göttlich
"Immortals Fenyx Rising" würfelt zwar wie wild die bekanntesten Games aller Zeiten zusammen, überzeugt aber auf ganzer Linie als neue, eigene Marke.
Egal ob "Assassin's Creed" aus dem eigenen Haus oder "God of War", "The Legend of Zelda: Breath of the Wild" und "The Witcher 3": Ubisofts neuer Titel "Immortals Fenyx Rising" hat von allem etwas. Während in den meisten Fällen ein Zusammenstopfen von Elementen aus verschiedensten Top-Games in einen neuen Titel zu einem kolossalen Flop führt, zeigt "Immortals Fenyx Rising" aber, wie man es richtig macht. Herausgekommen ist ein Action-Adventure, das nicht nur mit massig Spielstunden aufwartet, sondern unglaublich viel Spaß macht – vom Anfang bis zum Ende.
Spielerisch geht es wie in den früheren "God of War"-Teilen tief in die griechische Mythologie – ein Thema, das man bereits hausintern auch mit "Assassin's Creed Odyssey" äußerst erfolgreich beackert hatte. Bei der Handlung gibt es anfangs nicht wirklich eine Überraschung: Typhon, tödlichster Titan Griechenlands und Sohn von Tartaros und Gaia, wütet in der Spielwelt und selbst Zeus weiß sich des gigantischen Flammenmonsters nicht zu erwehren. Rat weiß Prometheus, der auf einen Helden hinweist, dessen Schicksal die Rettung der gesamten Welt ist.
Witzig statt bierernst
Während Zeus und Prometheus auch als Sprecher und Erzähler des Games fungieren, beginnt die Reise unseres Helden Fenyx ganz, ganz unten. Frisch mit einem Schiff gestrandet, können Spieler die Figur nach eigenen Wünschen vollumfassend nach Haaren, Tätowierungen oder Geschlecht und zig weiteren Kategorien gestalten, bevor es auf die Rettungsmission geht. Dass es in "Immortals Fenyx Rising" allerdings nicht so bierernst wie in "God of War" und Co. zugeht, zeigt spätestens die Ankunft von Hermes: Der Götterbote will uns nicht nur begleiten, sondern macht sich auch über alles und jeden lustig.
Und ja, der Witz zündet im Spiel. Flitzt Götterbote Hermes durch die Halle der Götter und spielt unserem Helden oder allerhand anderen Figuren im Spiel, aber auch in den bombastisch gemachten Zwischensequenzen Streiche, muss man auch als sonst so ernster Gamer immer wieder herzhaft schmunzeln. Die Halle der Götter dient Fenyx künftig als Basis, in der er (oder sie) Waffen aufrüsten, sich selbst trainieren, Tränke herstellen oder Nebenmissionen annehmen kann. Diese Nebenmissionen sind so etwas wie die tägliche und befristete Ziele in "Marvel's Avengers" – sie werden quasi beim normalen Spielen erledigt und erfordern keine Umwege, hat man beispielsweise genug Monster getötet erhält man aber Extra-Punkte.
Fantastische Welt zu erkunden
Die Punkte lassen sich bei Hermes für allerlei Items ausgeben – dort findet sich allerdings nichts, das man unbedingt haben müsste. Wer die Nebenquests also links liegen lässt, verpasst nichts. Bei der Spielwelt wiederum spielt Ubisoft seine Open-World-Stärken aus. Man kann sich fast durchwegs frei bewegen und viele Aufgaben nach Belieben in den vier Sektoren der Welt absolvieren. Erinnert etwas an "Far Cry" und Co.: Ziel ist es, den Gott jedes Areals aus den Fesseln von Typhon zu befreien. Kleines Manko: In den Arealen selbst gibt es keine NPCs abseits der Handlung, also kein geselliges Leben, das man beobachten könnte.
Leer ist die Welt aber dennoch nicht, denn es warten Hunderte Ruinen, Tempel, Berge, Schluchten und Wälder, die am Boden oder auch in der Luft, zu Fuß, auf Reittieren oder per Flügelschlag erkundet werden können. An den Gebäuden kann man sich kaum sattsehen, denn sie strotzen nur so vor Details und sind allesamt liebevoll umgesetzt worden. Öfters erwischt man sich dabei, einfach auf Berggipfeln die Wolken oder das Meer zu bestaunen oder die Wälder bis in den letzten Winkel nach weiteren Details und Geheimnissen abzusuchen.
Das erinnert sehr an "Zelda"
Und tatsächlich versteckt das Spiel seine schönsten Schauplätze regelmäßig in Höhlen, hinter Durchgängen oder in den Wolken. Das zahlt sich auch aus, denn entweder warten ihn ihnen Rätsel, Monster oder Beute. Was dagegen Kampf und Rätsel betrifft, erinnert man sich eher an "The Legend of Zelda: Breath of the Wild" als an Ubisoft-eigene Werke. Im Kampf zeigt sich das durch die Ausdauerleiste, die anfangs wenige Schläge, kurze Flugstrecken und minimales Klettern ermöglicht, mit der Zunahme der Gotteskräfte aber immer weiter anwächst. Ausdauer ist aber vor allem deshalb wichtig, weil sie wie die der Gesundheitsbalken durch Tränke regeneriert wird, die aber eigens dazu hergestellt werden müssen.
Notfalls müssen sonst gesammelte Snacks per Button-Halten eingenommen werden, was nicht so einen großen Ausdauer-Schub gibt und in kritischen Kampf-Momenten dauert. Wer also gerüstet sein will, braut sich besser an den vielerorts zu findenden Kesseln genügend Tränke. Das kostet zwar Zeit, wird aber nicht zur Daueraufgabe, denn Ubisoft spendiert für wenige Brauvorgänge ganz schön viele Tränke, die dann man einige Zeit reichen sollten. Bei Puzzles warten ebenfalls "Zelda"-ähnliche Erfahrungen: Schalter müssen umgelegt, Steine und Kugeln platziert oder Kisten gestapelt werden. Das geht per Telekinese, was ebenfalls Ausdauer benötigt – hilft aber auch im Kampf, denn Felsen und Co. können auf Feinde geworfen werden.
Knackige Kopfnüsse kommen
Um die eigenen Fähigkeiten und vor allem die Ausdauer zu verbessern, soll Fenyx nach den Blitzen von Zeus Ausschau halten. Dadurch macht auch das Betreten der vielen Dungeons, die in der Spielwelt als Risse im Boden zu finden sind, durchaus Sinn. Jedes Dungeon bietet nicht nur eine vollkommen andere Aufmachung als die eigentliche Spielwelt-Oberfläche, sondern auch mit Kämpfen, Rätseln und Platforming-Passagen viele unterschiedliche Prüfungen bis zum Auffinden der Blitze. Die knackigsten Prüfungen warten schließlich in den vier großen Dungeons, die jeweils den vier Göttern gewidmet sind – hier muss man auch mal um die Ecke denken und mehrere Anläufe nehmen, um ein Puzzle zu lösen.
Was die Ausdauer-Erhöhung in der Unterwelt ist, ist die Lebensenergie-Erhöhung in der Oberwelt. Hier müssen Splitter aufgestöbert und gefunden werden – statt Kämpfen und Rätseln ist aber die Herausforderung, die Standorte der Splitter ausfindig zu machen. Das Kampfsystem selbst zeigt sich schließlich als Mix aus "God of War" und "Assassin's Creed Odyssey": Flinkere Attacken sind mit Schwert und Bogen, schwere mit der Axt möglich. Weicht man Angriffen rechtzeitig aus, wird man mit einer kurzen Zeitlupe und etwas Ausdauer belohnt, Attacken können aber auch geblockt und pariert werden. Oder man haut einfach wild drauf, nutzt den Vogelbegleiter für Angriffe oder aktiviert Spezialkräfte wie einem Meteor-Regen.
Kaum Grenzen gesetzt
Kurz: Kämpfen macht in "Immortals Fenyx Rising" riesigen Spaß und bietet für Freunde des wilden Draufhauens, aber auch für Taktiker extrem viele Möglichkeiten. Die genutzten Waffen selbst gehen nie kaputt und leveln mit der Verstärkung der Waffenarten mit. Wiederum gesammelte Materialien können für zusätzliche Upgrades genutzt werden. Zusätzlich können auch die Götterkräfte von Fenyx und seines tierischen Begleiters ausgebaut und aufgelevelt werden. Was daneben wunderbar auffällt: Für Fenyx gibt es kaum Begrenzungen in der Spielwelt. Wo andere Spiele Berge oder Schluchten nutzen, um den Spieler anzuhalten, kann man hier diese Hindernisse einfach entlangfliegen und ebenfalls erkunden.
Was aber wiederum Ubisoft-typisch ist: Auch in "Immortals Fenyx Rising" gibt es Tausende, wenn nicht Zehntausende Items in den Arealen verteilt. Hier lauern Dutzende Gegner, dort sind Wagenladungen an Truhen und Kisten zu finden, um die Ecke liegen die ersehnten Splitter und Materialien für Upgrades und unter uns wartet beinahe immerwährend ein erkundbares Dungeon. gefunden werden kann alles übrigens durch ein Fernglas, das Fenyx auf Aussichtspunkten auspacken kann. Der Großteil der Spiel-Inhalte ist zwar optional und kein Muss, dennoch fühlt sich das Spiel manchmal etwas zu überladen an.
Schwierigkeit selbst bestimmbar
Spektakulär inszeniert hat Ubisoft nicht nur das Aufeinandertreffen von Fenyx und Typhon, sondern auch die Kämpfe mit den übrigen Giganten des Spiels. Die Showdowns in den Arenen dauern gut und gerne mal über zehn Minuten, sind dabei aber zu keiner Sekunde langweilig. Wie leicht oder schwer sich der Spieler das Abenteuer machen will, entscheidet er übrigens fast selbst: Zwar gibt es keinen freien Zugang zum Endboss, ob man sich aber gleich in die wildesten Schlachten auf dem Weg zu ihm und in seiner Spielwelt-Umgebung den härtesten Standard-Feinden stellt oder lieber erst in den "Außenbezirken" der Karte Erfahrung sammelt, ist einem selbst überlassen.
Grafisch bietet das etwas an eine Kombination aus Anime-Abenteuer und Comic erinnernde und wunderschöne "Immortals Fenyx Rising" auf der PlayStation 5 einen "Qualität"- und einen "Performance"-Modus, wobei einer etwas mehr Details und der andere eine flüssigere Bildrate bietet – die Unterschiede sind allerdings marginal. Die Ladezeit ist sehr gering ausgefallen und beträgt im "schlimmsten" im Test vorgekommenen Fall maximal acht Sekunden. Ebenso wie die Grafik können auch Spielhilfen und Steuerung bis ins Detail angepasst und zusätzliche HUDs und Hilfetexte an- oder abgeschaltet werden. Der Ingame-Shop bietet sehr viele und teils sehr teure Pakete mit Waffen und Reittieren, aber nichts Spielentscheidendes an.
Wahrlich göttlich gelungen
Ja, man kann "Immortals Fenyx Rising" sicherlich vorwerfen, bei vielen großen Games kopiert oder zumindest Anreize geholt zu haben. Allerdings muss man den Hut davor ziehen, wie gut das gelungen ist! Die Kämpfe spielen sich herausfordernd, actionreich und kurzweilig, die Charakterentwicklung motiviert auch nach Stunden immer noch mit verbesserbaren Fähigkeiten und neu erlernbaren Skills, die Geschichte sprüht vor Charme plus Witz und die Rätsel sind immer fair, sorgen aber genauso für Lacher wie auch einiges an Kopfzerbrechen.
"Immortals Fenyx Rising" ist wahrlich göttlich gut gelungen. Und es ist eine der größten Spieleüberraschungen des Jahres überhaupt. Selten hat man sich in einem so gewaltigen Abenteuer verloren, das zwar jede Menge Sammelwut und stundenlange Kämpfe sowie Beutezüge erfordert, es aber zu keinem Zeitpunkt gezwungen erscheinen lässt. Im Gegenteil: Beim Spielen verliert man sich in der Welt des Games, will Fenyx bei den göttlichen Aufgaben zur Seite stehen und mit ihm die Welt der griechischen Mythologie retten. Und selbst wenn das gelungen und die Gefahr gebannt ist, hat das Spiel noch weitere Schlachten zu bieten, die man sich ebenfalls nicht entgehen lassen will.