Radikalismus-Experte alarmiert

Immer mehr Teenager geraten auf TikTok in den IS-Bann

Extremismus-Experte Ahmad Mansour warnt: Islamistische Radikalisierung passiert immer schneller – und findet fast ausschließlich auf TikTok statt.
Christoph Weichsler
23.02.2025, 14:18

Es sind zwei Fälle, die erschüttern. In Villach greift ein junger Syrer wahllos Passanten mit einem Messer an – ein 14-Jähriger überlebt die Attacke nicht. In Wien wird ein Jugendlicher in letzter Minute gestoppt, bevor er mutmaßlich zuschlagen kann. Zwei Fälle, die sich innerhalb kürzester Zeit ereignen – und ein Muster zeigen, das Extremismus-Experte Ahmad Mansour alarmiert.

Er sieht einen dramatischen Wandel in der islamistischen Radikalisierung: "Seit dem 7. Oktober sehen wir eine Welle, die fast ausschließlich über soziale Medien läuft – und das in rasantem Tempo, binnen weniger Wochen." Besonders TikTok sei zu einem zentralen Rekrutierungsort geworden. Islamistische Influencer würden gezielt Jugendliche ansprechen und mit einfachen Narrativen manipulieren, sagt er im "Presse"-Interview. Die zentrale Botschaft: Der Westen sei schuld an allen Missständen, Widerstand sei Pflicht.

Von TikTok zur Terrorzelle – Islamismus als Jugendkultur?

Laut Mansour habe sich der Islamismus zu einer Jugendkultur entwickelt – vergleichbar mit anderen Protestbewegungen. "Mittlerweile passiert es ausschließlich auf TikTok, Islamismus ist eine Jugendkultur geworden. Die Radikalisierung geschieht immer schneller, binnen weniger Wochen. Moscheen spielen da keine Rolle mehr."

Er warnt davor, Islamismus weiterhin als religiöse Bewegung zu betrachten. Theologische Diskussionen seien für viele radikalisierte Jugendliche zweitrangig. "Es geht um Identität, Abgrenzung und Rebellion gegen die Mehrheitsgesellschaft", erklärt Mansour. Jugendliche, die sich ausgeschlossen oder orientierungslos fühlen, fänden in der islamistischen Szene Halt – und ein klares Feindbild.

Von Schutzsuchenden zu Tätern – warum Integration oft scheitert

Besonders besorgniserregend sei, dass viele Täter als Schutzsuchende nach Europa gekommen sind. Doch anstatt sich zu integrieren, entwickeln sie eine tiefe Ablehnung gegenüber der Gesellschaft, die ihnen Schutz gewährt hat. Mansour sieht darin ein grundlegendes Problem: "Es geht um Leute, die eine Last mitbringen. Eine Neigung zu Autorität, Antisemitismus, eine Abwertung des Westens – das ist in vielen Herkunftsländern tief verwurzelt." Wer dann in einer persönlichen Krise steckt und über soziale Medien ausschließlich radikale Inhalte konsumiert, könne sich rasend schnell radikalisieren.

Doch für ihn sind das keine reinen Versäumnisse der Gesellschaft oder des Staates. "Man kann nicht immer nur den Staat oder die Mehrheitsgesellschaft verantwortlich machen. Wer hier lebt, muss Verantwortung übernehmen", betont Mansour.

"Können nicht alle integrieren" – Politik ignoriert die Realität

Laut Mansour müsse sich die Politik von der Illusion verabschieden, dass Integration in jedem Fall gelingen könne. "Die Gesellschaft ist mit Migration in diesen Dimensionen komplett überfordert, es wurden Zahlen erreicht, bei denen Integration nicht mehr bei allen möglich ist."

Das Resultat seien Parallelgesellschaften, in denen extremistische Gedanken ungehindert gedeihen. Islamisten nutzen gezielt die Frustration junger Menschen, um sie gegen die Gesellschaft aufzuwiegeln. "Sind alle diese Risikofaktoren gegeben – Identitätsverlustängste, persönliche Krise, man sieht den Westen in der Verantwortung für die Lage im Nahen Osten und beschäftigt sich über soziale Medien in Endlosschleife damit – das führt schnell zu Radikalisierung", so Mansour.

Er fordert deshalb ein Umdenken: Integration müsse realistischer betrachtet werden. "Wie viele Menschen können wir wirklich erfolgreich aufnehmen? Und was tun wir mit jenen, die sich verweigern?"

Islamisten dominieren TikTok – der Staat bleibt tatenlos

Während Islamisten längst verstanden haben, wie sie soziale Medien zur Verbreitung ihrer Ideologie nutzen, hinkt der Staat hinterher. "Wir brauchen ein Monitoring von dem, was dort gerade Zuspruch bekommt. Wie können wir gegensteuern?", fragt Mansour. Doch bisher gebe es kaum digitale Gegenstrategien.

Islamistische Inhalte seien professionell produziert, emotional aufgeladen und darauf ausgelegt, junge Menschen in eine radikale Denkweise zu führen. Mansour fordert, dass Präventionsarbeit endlich auch auf diesen Plattformen stattfindet. "Bei Gegennarrativen, digitaler Sozialarbeit sind wir bei null. Ich sehe nicht, dass wir anfangen, irgendetwas zu tun."

Muslime in der Pflicht: "Die Opferrolle reicht nicht mehr"

Auch muslimische Gemeinschaften müssten aktiver werden. Nach dem 7. Oktober hätten sich einige Moscheevereine klar gegen Antisemitismus positioniert, doch Mansour kritisiert, dass viele Organisationen weiterhin in der Opferrolle verharren.

Er fordert eine klare Abgrenzung gegenüber extremistischen Strömungen – vor allem auf Social Media. "Ich hätte mir gewünscht, dass muslimische Akteure in sozialen Medien präsenter sind", sagt Mansour. Solange radikale Stimmen dort ungestört wirken können, werde sich die Situation weiter verschärfen.

Die Politik muss handeln – bevor es zu spät ist

Die vergangenen Wochen haben gezeigt: Islamismus ist nicht verschwunden – er hat sich verändert. Täter sind jünger, Radikalisierung geschieht schneller, Prävention hinkt hinterher.

Mansour fordert deshalb eine ehrliche Debatte: Wer sich bewusst gegen westliche Werte stellt, wer Gewalt ausübt, der dürfe nicht bleiben. "Wer sich radikalisiert, Gewalttäter wird, Frauen belästigt oder vergewaltigt, muss man deutlich sagen: Diese Leute sind eine Gefahr, sie haben ihre Chance verspielt."

Für ihn ist klar: "Die Frage ist nicht, ob wir handeln – sondern ob wir es rechtzeitig tun."

{title && {title} } CW, {title && {title} } Akt. 23.02.2025, 14:30, 23.02.2025, 14:18
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