Ministerin zu "Heute"

Ihr "Ja" bei EU – daher riskierte Gewessler Koalition

Trotz massiver ÖVP-Proteste hat Ministerin Gewessler beim EU-Renaturierungsgesetz ihr Ja gegeben. Im "Heute"-Talk erklärt sie nun, warum.

Nicolas Kubrak
Ihr "Ja" bei EU – daher riskierte Gewessler Koalition
Klimaministerin Leonore Gewessler sprach mit "Heute" über die turbulenten Tage.
Helmut Graf

Turbulente Tage im Klimaministerium und der gesamten Bundesregierung. Mit ihrem Ja zum Renaturierungsgesetz ließ Ministerin Leonore Gewessler beinahe die Koalition platzen. Mit "Heute" sprach sie  erstmals über genauere Details und Beweggründe, sowie über das weitere Zusammenleben mit der ÖVP.

Doch worum geht's? Am Wochenende kündigte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler an, beim EU-Umweltministertreffen dem Renaturierungsgesetz zuzustimmen (Anmerkung: Österreichs Stimme war für die Absegnung entscheidend). Gesagt, getan: Am Montag stimmten die EU-Minister – inklusive Österreichs – für den Klimapakt, bei Umweltschützern sorgte dies für Ekstase.

ÖVP zeigt Gewessler an

Die Krux: Koalitionspartner ÖVP stellte sich monatelang gegen das Gesetz quer, auch die Bundesländer zeigten sich in einer gemeinsamen Stellungnahme ablehnend. Entsprechend gingen in der Volkspartei nach dem Gewessler-Solo die Wogen hoch, man sprach von "Rechtsbruch", "Klimakleber-Methoden", und davon, dass die Ministerin Ideologie über das Gesetz stelle.

Der Regierungspartner ging sogar so weit und kündigte neben einer Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch an. Eine solche Anzeige gegen den Koalitionspartner ist eine historische Seltenheit. Gewessler wollte mit ihrem Ja das Klima retten – jenes in der Regierung hat sie allerdings vergiftet.

Gewessler Reaktion

Die Umweltministerin selbst hielt sich medial bislang bedeckt. Am Mittwoch gab sie "Heute" ein exklusives Interview, in dem sie ihre Sichtweise präsentierte.

Klimaministerin Leonore Gewessler zu "Heute" über ihren EU-Alleingang, das Regierungsklima und ob sie Konsequenzen fürchtet:

"Heute": Was waren die Beweggründe für Ihre Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz? Haben Sie den Kanzler damit getäuscht?

Leonore Gewessler: Wenn ich in zwanzig oder dreißig Jahren einmal gefragt werde, was ich eigentlich getan habe, damals als es um den Schutz des Planeten ging – dann will ich nicht sagen müssen: Ich wollte eh, aber ich war zu feig. Dort, wo früher ein Acker war, ist heute viel zu oft nur mehr Beton. Dort, wo sich ein Bach frei bewegen durfte, haben wir ihn eingeengt. Wir alle spüren dabei – wenn wir so weitermachen, bleibt irgendwann keine Natur mehr übrig.

Haben Sie die Abstimmung also als persönliche Mutprobe gesehen?

Ich habe immer klar gesagt: Wenn es einen Weg gibt, dass ich zustimme, dann werde ich das tun. Diesen Weg haben wir gefunden und darüber bin ich sehr froh. Gerade in Österreich wissen wir unsere wunderschönen Wiesen, Flüsse und Wälder zu schätzen, daher steht auch die große Mehrheit der Menschen in Österreich hinter diesem Gesetz, wie eine kürzlich veröffentlichte Umfrage zeigt.

Renaturierungsgesetz – darum geht's:
Das EU-Renaturierungsgesetz verpflichtet die Mitgliedstaaten, zerstörte Natur wiederherzustellen. Bis 2030 sollen mindestens 20 % der Land- und Meeresflächen der EU und bis 2050 alle sanierungsbedürftigen Ökosysteme wieder in guten Zustand versetzt werden. Das heißt etwa, Tausende Flusskilometer wieder frei fließen zu lassen und Biotope wie Streuobstwiesen anzulegen. Damit das Gesetz durchgeht, müssen mindestens 15 der 27 EU-Staaten zustimmen (für 65 % der EU-Bevölkerung).

Eines der größten Versprechen Ihrer Partei vor Regierungsantritt war das Klimaschutzgesetz. Soll das "Ja" beim Renaturierungsgesetz dies "ersetzen"?

Mit dem Renaturierungsgesetz geben wir der Natur wieder Platz zum Atmen und Zeit sich zu erholen. Das ist dringend notwendig, denn viel zu lange wurde unsere Natur zubetoniert, zuasphaltiert und zerstört. Ich freue mich, dass mit der Stimme Österreichs dieses so wichtige Naturschutzgesetz beschlossen werden konnte. Im Klimaschutz haben wir schon sehr viel erreicht. Die Treibhausgasemissionen sinken deshalb, aber selbstverständlich gibt es immer noch genug zu tun. Vom Schutz unserer wertvollen Böden, über das notwendige Update für unser Stromsystem, bis hin zum Klimaschutzgesetz – daran werde ich natürlich in den kommenden Monaten weiterarbeiten.

ÖVP-Generalsekretär Stocker und OÖ-LH Stelzer haben die "grüne Vorgehensweise" mit jener von Herbert Kickl gleichgesetzt und vorgeworfen, Ideologie über das Gesetz zu stellen. Sind den Grünen inzwischen Verfassung und Koalitionsvereinbarungen – wie viele behaupten – egal?

Keineswegs. Für mich war immer klar – wenn es einen rechtskonformen Weg zur Zustimmung gibt, werde ich ihn beschreiten. Das haben wir genau geprüft und am Ende war die Einschätzung der Juristen klar: Eine Zustimmung entspricht den Gesetzen und der bestehenden Praxis, so hat das auch die ÖVP immer gehandhabt. Eines möchte ich noch festhalten: Ohne intakte Natur gibt es kein gesundes und glückliches Leben. Mit diesem Beschluss geben wir der Artenvielfalt ihren Platz zurück. Wir sorgen aber vor allem dafür, dass künftige Generationen dieses schöne Österreich auch noch erleben dürfen.

Würden Sie, Frau Bundesminister, es dulden, wenn beispielsweise FPÖ-Politiker im Alleingang über so weitreichende Gesetze entscheiden?

Ich habe mich bei dieser Abstimmung an die langjährige Praxis gehalten, am Rat entscheidet die Ministerin. Das ist gesetzeskonform und das haben auch Gerhard Karner oder Norbert Totschnig so gemacht. Ich habe immer betont, wie dringend wir dieses Gesetz für den Schutz unserer Natur brauchen. Und ich will im entscheidenden Moment nicht vor der Verantwortung davonlaufen. Deshalb habe ich diese Entscheidung getroffen.

Die ÖVP hat angekündigt, eine Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch gegen Sie einzubringen. Mit welchen Konsequenzen rechnen Sie jetzt?

Ich habe diese Entscheidung nicht auf die leichte Schulter genommen. Ich habe sie nach Einholung mehrerer Rechtsgutachten renommierter Juristen getroffen. Wir haben das genau geprüft und am Ende war klar: Meine Zustimmung ist rechtskonform. Ich sehe daher einer allfälligen Klage mit großer Gelassenheit entgegen.

Wie stellen Sie sich nach solchen Wortmeldungen Ihres Koalitionspartners die nächsten drei Monate Regierung vor?

Es gibt noch genug zu tun – und es gibt keinen Grund jetzt die Arbeit einzustellen. Das haben wir auch in schwierigeren Phasen in der Vergangenheit nicht gemacht. Am Ende haben wir in dieser Zusammenarbeit immer gewusst – es geht darum, Verantwortung für Österreich zu übernehmen. So sind bisher viele wichtige Beschlüsse gelungen. Vom KlimaTicket bis zum Ausbau der Erneuerbaren Energien. So wird es auch weitergehen.

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