Ukraine
Heeres-Oberst über Ukraine: "Lage im Süden prekär"
Nach wie vor tobt ein erbitterter Krieg in der Ukraine. Bundesheer-Experte Markus Reisner analysiert die Lage und erklärt, worauf es jetzt ankommt.
Exakt sechs Monate sind vergangen, seit russische Truppen einen Überfall auf die benachbarte Ukraine starteten. Seither herrscht Krieg – nach dem anfänglichen Scheitern der russischen Truppen, die Hauptstadt Kiew einzunehmen, hat sich das Kriegsgeschehen in den Osten des Landes verlagert. Aktuell gilt der Eroberung des Donbass alle russische Aufmerksamkeit. Für den Privatsender Puls24 analysiert Bundesheer-Oberst Markus Reisner das erste halbe Jahr des Ukraine-Kriegs.
Beobachter und Experten seien überrascht gewesen, dass Russland mit 200.000 Mann die Ukraine überfallen hat – es sei klar gewesen, dass diese Truppenstärke nicht ausreiche, um die Ukraine einzunehmen. Als "große Überraschung" bezeichnet Reisner den Abwehrerfolg der Ukraine. Sogar Militär-Experten aus den Vereinigten Staaten hätten sich überrascht davon gezeigt, wie verbittert die ukrainischen Truppen ihr Territorium verteidigen. Reisner spricht über diese Phase von den ersten sechs Wochen des Krieges.
Russen haben strategischen Vorteil
Im Anschluss daran habe sich die russische Seite zurückgezogen, um in einer Kesselschlacht im Donbass eine Entscheidung herbeizuführen, was aber bis jetzt nicht gelungen sei. Sehr wohl sei es Russland aber gelungen, regionale Erfolge zu feiern. Dennoch: Aktuell gelinge es den Ukrainern das vorhandene Gelände zu verteidigen.
Prekär sei die Situation für die Ukraine allerdings im Süden. Hier sei es den russischen Truppen bereits gelungen, den strategisch wichtigen Fluss Dnipro zu überqueren. Die Russen hätten einen sogenannten "Brückenkopf", der ihnen im weiteren Kriegsverlauf einen strategischen Vorteil geben könnte, speziell dann, wenn sich das Geschehen in Richtung Odessa verlagern sollte.
Den anfänglichen Erfolg der Ukraine sieht Reisner vor allem auch in den gelieferten Waffen des Westens begründet. Aber: Diese reichen allerdings nur aus, einen Teil des Bedarfs zu decken. Russland habe laut Ukraine-Präsident Wolodimir Selenski bereits über 3.500 Lang- und Mittelstreckenraketen abgefeuert – so viele wie noch nie in einem Krieg.
"Hybrider Krieg" auf mehreren Ebenen
Auch wenn sich gewisse Dinge in einem Krieg nie ändern würden – die Artillerieschlacht im Donbass sei im Wesentlichen zu vergleichen mit Bildern aus dem Ersten Weltkrieg, so Reisner. Tatsächlich habe dieser Krieg alle Merkmale eines "modernen Krieges". Begonnen habe der Konflikt als "hybrider" Krieg – dieser habe etwa auch bei der Information und im Cyberbereich stattgefunden. Hinzu komme, dass es ohne Drohnensysteme, bzw. die Abwehr davon, kaum möglich sei, eine Entscheidung auf dem Gefechtsfeld herbeizuführen.
Klar sei nach wie vor: Das Wichtigste, was die Ukraine brauche, um den Krieg zu gewinnen, sei die Unterstützung des Westens. Hier scheine es so, dass die Bevölkerungen in Europa allmählich "wegbrechen" würden – das liege an den Maßnahmen der Russen. Reisner nennt hier die möglichen massiven Auswirkungen eines Wirtschaftskrieges.
Ukraine demonstriert Stärke
Und wie geht es weiter? Es sei zu erwarten, dass der Konflikt mit Anbrechen der kalten Jahreszeit "einfrieren" wird. Die Ukraine versuche folglich nun dem Westen zu vermitteln, dass es Sinn mache sie weiter zu unterstützen, speziell im Hinblick auf den lange anhaltenden Krieg. Deswegen versuche die Ukraine, zu vermitteln: "Wir können in den Angriff übergehen". Reisner nennt als Beispiel eine angekündigte Offensive im Süden. Diese habe sich aber auf Grund der starken Verteidigung der russischen Truppen "nicht materialisieren" können.
Nun sei entscheidend, wie sich die Ukraine weiter verteidigen wird. Denn der Erfolg werde von der Unterstützung des Westens abhängen. Die Politiker im Westen würden aber auf ihre Bevölkerungen achten. Nur, wenn die Ukraine das Gefühl vermittle, den Krieg gewinnen zu können, werde die Akzeptanz im Westen bestehen bleiben.