Pflege in der Krise

"Habe mein Haus verkauft, um meine Frau zu betreuen"

Schicksalsschlag: Nach einem Schlaganfall seiner Frau ging Alfred Sch. (83) frühzeitig in Pension, um sie zu pflegen.

Michael Pollak
"Habe mein Haus verkauft, um meine Frau zu betreuen"
Auf einmal änderte sich das Leben von Alfred Sch. komplett. (Symbolfoto)
Getty Images/iStockphoto

Eine Welt ist für den leitenden Angestellten Alfred Sch. (83) zusammengebrochen: "Meine Gattin erlitt einen schweren Schlaganfall. Sie war halbseitig gelähmt, ihr Sprachzentrum war gestört."

Das war am 15. Jänner 1992. Dieser Schicksalsschlag änderte sein gesamtes Leben, erzählt Sch. im Gespräch mit "Heute": "Ab diesem Tag habe ich meine Gattin unterstützt und betreut. Anfangs ging es noch ohne fremde Hilfe."

Der Mödlinger Alfred Sch. (rechts) gab alles, um seine Frau (Mitte) daheim zu betreuen.
Der Mödlinger Alfred Sch. (rechts) gab alles, um seine Frau (Mitte) daheim zu betreuen.
Privat

Schwierige Entscheidung: Pflege im Heim oder 24-Betreuung zu Hause?

Der liebende Ehemann gab alles. Er kündigte seinen Top-Job als Geschäftsführer bei einem deutschen Tochterunternehmen, er ging vorzeitig in Pension. Seine Aufgabe war ab jetzt die Betreuung seiner Frau.

22 Jahre lang – bis 2014 – schaffte es der liebende Ehemann allein. Dann konnte der Niederösterreicher nicht mehr. Es kam zur großen lebensverändernden Entscheidung: Soll seine Frau in ein Heim umziehen, um dort betreut zu werden, oder nimmt sich die Familie eine 24-Stunden-Betreuungskraft nachhause?

Für Sch. war klar: "Meine Frau soll in ihrer vertrauten Umgebung bleiben – zuhause!" Diesem Entschluss folgte eine langjährige schwierige Organisationsaufgabe. "Ich musste zwei Damen engagieren, die sich im Zweiwochen-Rhythmus abwechselten. Diese beiden Polinnen haben sich um alle Probleme gekümmert."

Ungefähr 1,5 Millionen Menschen sind von diesem Thema betroffen

Es ist ein globales Thema und für viele Familien ein Dilemma. Alleine in Österreich sind direkt oder indirekt zirka 1,5 Millionen Menschen betroffen. Aus diesem Grund – "aus Nächstenliebe" wie Sch. sagt – will er seine Geschichte erzählen. Um Menschen weiterzuhelfen. Auch weil gerade "eine Wahl bevorsteht – die Parteien sollen nicht vergessen, wie viele Wähler das betrifft."

Vor einem Jahr verstarb seine Ehefrau. "Ich kann sagen, ich bin glücklich, dass ich das alles gemacht habe. Es ging aber nur, weil wir uns ein Lebenswerk geschaffen haben."

Was meint der Mödlinger Sch. damit? 24-Stundenbetreuung bedeutet eine gewaltige finanzielle Bürde. Die Familie besaß ein schönes Haus. Dieses wurde verkauft. Mit dem Erlös wurde eine Wohnung erworben und ein Teil der Betreuung bezahlt. Zusätzlich gab es auch Hilfe vom Staat.

Betreuung kostete 4.000 Euro pro Monat!

Der Aufwand ist enorm, Sch. zählt auf: "Die Betreuerinnen kosten monatlich etwa 3.000 Euro, die Sozialversicherung für beide weitere 500 Euro." Zusätzlich bekommen die Damen noch 300 Euro als Fahrgeld, um nach Polen hin- und zurückzufahren. Dann wäre noch eine Zusatzkraft von der Caritas (zirka 300 Euro). Ergibt etwas mehr als 4.000 Euro. Monatlich!

Gegenüber stehen: Als Pflegegeld bezog man etwa 1.400 Euro, dazu gab es 800 Euro vom Land NÖ. Das war‘s.

Pflege daheim ist weitaus günstiger als im Heim – zumindest für den Staat (Symbolfoto).
Pflege daheim ist weitaus günstiger als im Heim – zumindest für den Staat (Symbolfoto).
iStock

1.800 Euro musste man also noch extra auftreiben, um die Betreuung zu bezahlen, erzählt Sch. In Summe also 21.600 Euro pro Jahr. Aber: "Daneben laufen ja die normalen Lebenskosten. Wir waren zu dritt – Meine Frau, die Betreuerin und ich. Da gab es also noch Betriebskosten, Lebensmittel usw." Dafür muss die Pension aufgewendet werden.

Inflation schmälert die Hilfen

An dem System hat Sch. einige Kritikpunkte: Viele Hilfen werden nur sehr sporadisch – also erst nach vielen Jahren – an die Inflation angepasst.  "Da sinkt die Kaufkraft über die Jahre stark", sagt der Niederösterreicher zu "Heute".

Noch ein wesentliches Problem, so der Pensionist. Gewisse Hilfen vom Bund bekommt man nur, wenn man maximal 1.500 Euro pro Monat verdient.

Auf die hatte Sch. keinen Anspruch. Denn, wenn man seine Einnahmen zusammenrechnet, liegt er darüber. Aber: Wenn man die Ausgaben für die Pflege abzieht von Pension, Pflegegeld und Hilfen des Landes bleiben nur mehr 700 Euro übrig – also deutlich unter der Grenze von 1.500 Euro.

Meine Gattin hat der Familie so viel liebe geschenkt
Alfred Sch.

"Die Regierung berücksichtigt zu wenig die Leistungen, die der Betroffene aufbringen muss", sagt Sch. Weiter: "Es ist eine Win-Win-Situation für den Sozialstaat Österreich, wenn man Personen im privaten Bereich betreut. Erstens wird sichergestellt, dass kranke Menschen in Würde altern können." Der zweite Punkt, der Staat spart sich einen Haufen Geld. Sch. rechnet erneut vor: "Ein Heimplatz kostet heute zwischen 4.500 und 6.000 Euro pro Monat. Ich kriege im Monat Unterstützung in der Höhe von 2.200 Euro. Das sind weit mehr als 2.000 Euro pro Monat, die der Staat sich spart."

"Fast 200.000 Euro habe ich dem Staat erspart"

Hochgerechnet sind das 24.000 Euro pro Jahr. "Ich habe meine Gattin neun Jahre lang pflegen lassen. Fast 200.000 Euro habe ich dem Staat damit erspart."

Da noch nicht mitgerechnet: Die Betreuerin braucht ein eigenes Zimmer, ein eigenes Bad. "Dafür kann ich pro Monat 160 Euro steuerlich geltend machen. Auch diese Summe wurde seit Jahren nicht valorisiert", sagt Sch.

Trotz aller Schwierigkeiten, trotz der enormen Ausgaben, Sch. bleibt dabei: "Ich bin froh und glücklich das gemacht zu haben. Meine Gattin hat der Familie so viel Liebe geschenkt…"

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    Linz AG / fotokerschi.at

    Auf den Punkt gebracht

    • Alfred Sch., ein ehemaliger leitender Angestellter, gab seinen Job auf und verkaufte sein Haus, um seine nach einem Schlaganfall pflegebedürftige Frau 22 Jahre lang zu betreuen
    • Trotz der enormen finanziellen Belastungen und der Kritik an unzureichenden staatlichen Hilfen, ist Sch dankbar für die Zeit, die er seiner Frau widmen konnte, und betont die Notwendigkeit, dass politische Parteien die Pflegekrise ernst nehmen
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