Wien
Gesundheitslotsen motivieren Migranten zu Coronaimpfung
Unklare Infos oder Angst vor Nebenwirkungen: Viele Migranten stehen dem Jaukerl skeptisch gegenüber. Hilfe erhalten sie von den Gesundheitslotsen.
Aktuell haben in Wien 59, 89 Prozent der Menschen ein erstes Jaukerl erhalten, 56, 2 Prozent der Wiener sind vollimmunisiert. Bleiben über 40 Prozent, die sich bisher nicht gegen das Coronavirus schützen haben lassen. Darunter auch viele Migranten: Der Anteil der expliziten Impfgegner ist in dieser Bevölkerungsgruppe nur gering, viel öfter sind fehlende Informationen, Unsicherheit über Wirksamkeit der Impfstoffe oder Angst vor Nebenwirkungen die Ursache, sich nicht impfen zu lassen.
Gesundheitslotsen klären in Muttersprache über Gesundheitsthemen auf
Hier setzt das Projekt "Migrant*innen für Gesundheit" der Volkshilfe Wien an. Das Projekt wird aus den Mitteln des Bundeskanzleramts (BKA), des Landesgesundheitsförderungsfonds (LGFF) der Österreichischen Gesundheitskasse und der Stadt Wien finanziert. Im Vorjahr wurde das Projekt zur Mitwirkung an der Erreichung der Wiener Gesundheitsziele mit einer Urkunde ausgezeichnet, wie auch Gesundheitsstadtrat in einer Grußbotschaft betont.
Derzeit sind in ganz Wien rund 60 freiwillige Gesundheitslotsinnen und -lotsen unterwegs, die in Workshops Migranten in deren Muttersprache Aufklärung über Gesundheitsthemen nahebringen. "Heute" hat eine von ihnen getroffen: Fatima Keblawi (40) ist seit 2015 bei dem Projekt dabei. Obwohl sie in Salzburg als Tochter eines palästinensisch-stämmigen Vaters und einer syrien-stämmigen Mutter (beide hatten die österreichische Staatsbürgerschaft) geboren wurde, war sie lange Zeit im Ausland. So hat sie etwa in Frankreich ein Islam-Studium abgeschlossen, in Wien folgte ein Sportstudium bei der Sport Union.
Fatima weiß, wie es ist, sich in fremden Systemen zurecht finden zu müssen. Und als Lehrerin am Institut des Vereins Itekan (hier unterrichtet sie Religion und Arabisch) weiß sie, wie sie Informationen richtig weitergeben muss. In Kontakt mit dem Projekt "Migrant*innen für Gesundheit" kam sie 2013 bei der Sport Union. "Damals ging es darum, Migrantinnen und Migranten zum Sport zu bringen", erinnert sich Fatima im Gespräch mit "Heute". Als ihr ein Trainer von den Gesundheitslotsen erzählt, war sie sofort interessiert, bis sie selbst eine wurde dauerte es aber noch zwei Jahre.
Corona auch in Migranten-Communities gesundheitliches Hauptthema
Seit 2015 ist Fatima schon als Lotsin unterwegs, organisiert Workshops für Migranten, wo diese in ihrer jeweiligen Mutterspache Information und Beratung zu Gesundheitsthemen bekommen. "Wir erklären das österreichische Gesundheitssystem oder wie das mit der e-Card oder der Versicherung läuft", so Fatima. Schwerpunkte sind daneben auch Frauengesundheit, Kindergesundheit aber seelische Gesundheit, Sport und Abnehmen.
Medizinischen Rat dürfen die Lotsinnen nicht geben, dafür können sie "die Rutsch'n legen": Sollte jemand den Verdacht haben, vielleicht an Diabetes erkrankt zu sein, so können die Gesundheitslotsinnen nur Tipps geben, wohin man sich wenden kann. Seit März 2020 ist aber auch bei den Lotsen das Coronavirus das vorherrschende Thema. Damit verbunden viele Fragen über die Schutzimpfung.
"Einfach nur übersetzen, ist zu wenig"
"Viele Menschen haben zu wenig Informationen, denn die meisten liegen nur in deutsch vor. Dazu kommt, dass sich Gerüchte, wie etwa, dass man durch die Impfung unfruchtbar werden kann, in den Communities sehr schnell verbreiten", erzählt Fatima. Daher sei das Gespräch mit den Migranten in deren Sprache so wichtig. Das bestätigt auch die Geschäftsführerin der Volkshilfe Wien Tanja Wehsely. Sie plädiert dafür, dass es normal wird, wichtige Informationen auch in anderen Sprachen anzubieten: "Mehrsprachigkeit und Transkulturalität sind in einer Großstadt wie Wien Tatsache und müssen mitbedacht werden", betont Wehsely und erklärt: "Einfach nur Informationen zu übersetzen ist zu wenig, wir müssen mit den Menschen in Kommunikation treten". Schließlich sei das Gespräch immer noch besser als abstrakte Info-Zettel.
Sie sei schon oft gefragt worden, ob sie selbst geimpft sei, erzählte Fatima. Als Vollimmunisierte kann sie über ihre Erfahrungen berichten und so mithelfen Ängste abzubauen. "Wenn ich mit jemanden gesprochen, der zuvor unsicher war und der sich dann doch zu einer Impfung entscheidet, dann freut mich das", erzählt sie.
Volkshilfe sucht Lotsen, die Farsi, Somalisch- oder Romanes sprechen
Auch für die Volkshilfe Wien steht fest, dass man gerade in fremdsprachigen Communities dringend über Corona und die Schutzimpung aufklären muss. Der Bedarf an mehrsprachiger Beratung ist groß. Daher setzt die Volkshilfe Wien neben der Beratung direkten Beratung, die in rund 60 Sprachen möglich ist, auch auf den Ausbau der Gesundheitslotsen. Gesucht werden vor allem noch Freiwillige, die die Sprachen Farsi/Dari, Somalisch oder Romanes sprechen.
Nach einer zwei bis dreimonatige Einschulung (der Kurs ist kostenlos) und einem erfolgreich absolvierten Abschlusstest erhalten die Teilnehmer ein Zertifikat, das sie zum Abhalten eigener Workshops berechtigt. Geleitet werden diese bis zu zwei Stunden dauernden Treffen von ein oder zwei Gesundheitslotsen, je nachdem wieviele und welche Sprachen gebraucht werden. So holt sich Fatima etwa bei einem Kurs, an dem viele Türken teilnehmen, eine Kollegin zu Hilfe, die türkisch spricht.
Der nächste Lehrgang zur Ausbildung als Gesundheitslotse startet im Oktober, am 2. September findet dazu ein kostenloser Info-Abend statt. Alle Infos dazu findest Du hier.