Gesundheit

Neues Long-Covid-Symptom: Coronakranke vergessen Wörter

Eine überstandene Corona-Infektion bedeutet für immer mehr Menschen noch lange nicht die Heilung. Das wahre Martyrium beginnt oft erst danach.

Christine Scharfetter
Teilen
Ein Corona-Patient auf der Intensivstation (Archivfoto)
Ein Corona-Patient auf der Intensivstation (Archivfoto)
HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com

"Ihnen fallen einfachste Wörter nicht ein, sie können sich überhaupt nicht mehr konzentrieren. Manche vergessen auf dem Weg in die Küche, dass sie sich einen Tee machen wollten, andere erinnern sich nicht daran, mit wem sie vor einer Stunde telefoniert haben." Die deutsche Ärztin Carmen Scheibenbogen erforscht seit Jahren das Chronische Fatigue Syndrom (CFS). Eine krankhafte Erschöpfung, die oft arbeitsunfähig macht und sich sogar in einer Art Gedächtnisverlust - sogenanntem Gehirnnebel - äußert. Ein Leiden, das nach einer überstandenen Corona-Infektion immer häufiger auftritt. 

Mittlerweile so häufig, dass in der Ambulanz der Charité in Berlin nur noch Patientinnen und Patienten aufgenommen werden, die sechs Monate nach ihrer Covid-Infektion immer noch deutliche Beschwerden haben. "Zum einen, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass die Erschöpfung, die viele am meisten quält, drei bis sechs Monate nach der akuten Infektion in vielen Fällen von selbst aufhört. Zum anderen aber auch einfach, weil die Warteliste inzwischen so lang ist", erzählt die Spezialistin im Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit".

So sieht eine Covid-Lunge aus

1/3
Gehe zur Galerie
    So sieht eine gesunde Lunge aus.
    So sieht eine gesunde Lunge aus.
    Brittany Bankhead-Kendall

    Unfähig zu arbeiten oder gar das Haus zu verlassen

    Jene Menschen, die mit Langzeitfolgen nach einer Corona-Infektion zu ihr kommen, seien schwer krank. Viele könnten ihrem Alltag nicht mehr nachgehen oder gar das Haus nicht verlassen. "An Arbeiten ist gar nicht zu denken." Wer unter Fatigue leidet, ist kraftlos, ausgelaugt und kann nicht mehr denken. "Man kann sich das vorstellen wie bei einer schweren Infektion", erklärt Scheibenbogen die schwerwiegende Folgeerkrankung. "Manche sind nach ein bisschen Gartenarbeit so schwach, dass sie wochenlang im Bett bleiben müssen. Dazu kommen neben Schlafstörungen, Muskel- und Kopfschmerzen diverse kognitive Einschränkungen." Letzteres äußere sich in oben beschriebenem Gehirnnebel.

    Typisch seien außerdem Störungen des autonomen Nervensystems: "Das kann zum Beispiel dazu führen, dass die Gefäße die Blutverteilung im Körper nicht mehr richtig steuern können. Wenn die Menschen aufstehen, wird ihnen sofort schwindelig. Wenn Patienten diese Kriterien erfüllen und ihre Corona-Infektion mindestens ein halbes Jahr her ist, stellen wir die Diagnose CFS, Chronisches Fatigue Syndrom." Betroffen seien vor allem junge Menschen im Alter von 20 bis 40, darunter deutlich mehr Frauen als Männer.

    Nur nach schwerem Verlauf

    Wer allerdings nur einen leichten Verlauf der Infektion hinter sich hat, kann an dieser Stelle aufatmen. Jene Patienten, die tatsächlich die Diagnose CFS erhalten, hatten meistens einen schweren Verlauf: "Die meisten mussten wegen ihrer Corona-Infektion zwar nicht in der Klinik behandelt werden, waren aber meist ein, zwei Wochen richtig krank und hatten eine ganze Reihe unterschiedlicher Beschwerden."

    Warum bei manchen die Covid-19-Infektion in ein Chronisches Fatigue Syndrom übergeht, wisse man nicht genau. Für Scheibenbogen scheint es jedoch naheliegend, dass das Immunsystem nach der Infektion noch nicht wieder zur Ruhe gekommen ist. "Vieles spricht dafür, dass es sich beim CFS um eine Autoimmunerkrankung handelt. Das würde auch am plausibelsten erklären, warum wir mehr Frauen mit CFS sehen. Denn Frauen neigen eher zu Autoimmunreaktionen als Männer. Möglich wäre auch, dass die Entzündung für so eine Fehlreaktion eine bestimmte Schwelle überschreiten muss. Das könnte erklären, warum sehr leichte Verläufe eher nicht chronisch werden."

    Mehr zum Thema