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FDP-Politiker ließ sich von AfD an die Spitze wählen
Eklat bei den Wahlen in Thüringen: FDP-Politiker Thomas Kemmerich wurde überraschend zum Ministerpräsidenten gewählt – unter anderem mit Stimmen der rechten AfD.
Es ist ein Polit-Beben, dessen Schockwellen weit über Thüringen hinaus zu spüren sein dürften. Völlig überraschend und mit Stimmen der rechtspopulistischen AfD wurde der FDP-Politiker Thomas Kemmerich in dem ostdeutschen Bundesland zum Ministerpräsidenten gewählt.
Kemmerich setzte sich bei der Abstimmung am Mittwoch im Landtag in Erfurt im entscheidenden dritten Wahlgang auch mit Stimmen von CDU und AfD gegen den bisherigen Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke) durch. Der von der AfD aufgestellte parteilose Kandidat Christoph Kindervater erhielt im dritten Wahlgang keine Stimme.
Erster Ministerpräsident mit AfD-Stimmen
"Das ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein Ministerpräsident mit den Stimmen der AfD ins Amt gewählt wurde", sagte der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz im Mitteldeutschen Rundfunk (MDR).
Kemmerich ist auch erst der zweite Ministerpräsident der FDP in der Geschichte der Bundesrepublik, denn die FDP ist eine vergleichsweise kleine Partei. Die Thüringer FDP hatten den Einzug ins Parlament bei der Wahl am 27. Oktober nur denkbar knapp geschafft und die Fünf-Prozent-Hürde um nur 73 Stimmen übersprungen. Im Landtag hat sie nur 5 von 90 Sitzen.
"Eine abgekartete Sache"
Die Sensation im Landtag von Erfurt löste vielerorts Empörung aus. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sprach von einem «unverzeihlichen Dammbruch, ausgelöst von CDU und FDP». Auch die Bundes-CDU kritisierte in scharfen Worten den eigenen Landesverband und plädierte für Neuwahlen in Thüringen.
"Es kann keinen liberalen Ministerpräsidenten geben, der von der AfD ins Amt gewählt wird. Auch wenn ich Thomas Kemmerich glaube, dass es keine Absprache mit der AfD gegeben hat, hätte er die Wahl nicht annehmen dürfen... Ich fordere Thomas Kemmerich auf, mit einem Rücktritt den Weg zu Neuwahlen in Thüringen frei zu machen", meinte Joachim Stamp, FDP-Landesvorsitzender in NRW.
Bei der SPD ist man anderer Meinung: "Was in Erfurt passiert ist, war kein Zufall, sondern eine abgekartete Sache", erklärte Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz. Die Wahl Kemmerichs werfe «sehr ernste Fragen an die Spitze» der Bundes-CDU auf. Darauf verlange die SPD "schnelle Antworten".
Die SPD organisierte für den späten Nachmittag eine Demonstration vor der CDU-Zentrale in Berlin an, an der auch SPD-Vizeparteichef Kevin Kühnert teilnehmen werde.
Erster Ministerpräsident der Linken
Ramelow war seit 2014 Regierungschef des Freistaats und war der erste Ministerpräsident der Linken in Deutschland. Ramelows Linke hatte zwar mit 31 Prozent die Landtagswahl im Herbst klar gewonnen, doch seine Koalitionspartner SPD und Grünen verloren deutlich.
Christdemokraten und Liberale wollten Ramelow nicht wählen, hatten aber auch kategorisch ausgeschlossen, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Weil Ramelow keine Mehrheit hatte, hatte auch die AfD mit dem parteilosen Kindervater einen eigenen Kandidaten ins Rennen geschickt.
Nachdem Ramelow in den beiden ersten Wahlgängen erwartungsgemäß die absolute Mehrheit verfehlt hatte, warf Kemmerich im dritten Wahlgang ebenfalls seinen Hut in den Ring.
In der "Esslinger Zeitung" äußerte sich Ex-Ministerpräsident Ramelow zum Wahlresultat: Es handele sich um einen Tabubruch, sagte er. "Genau 90 Jahre, nachdem es in Thüringen schon mal passiert ist: Sich von Herrn Höcke und dem Flügel wählen zu lassen. Das war offenbar gut vorbereitet. Eine widerliche Scharade. Höckes Flügel wurde gerade umfassend gestärkt."
"Verdachtsfall" im Parlament
Die AfD (Alternative für Deutschland) war 2013 von Eurokritikern gegründet worden. Sie ist seither stark nach rechts gerückt, viele prominente Mitglieder der ersten Stunde sind ausgetreten.
Der Thüringer Fraktionschef Björn Höcke ist Wortführer des rechts-nationalen "Flügels", der vom Verfassungsschutz (Inlandsgeheimdienst) als "Verdachtsfall" im Bereich des Rechtsextremismus eingestuft wird. Im Bundestag hat die AfD noch 89 von ursprünglich 94 Abgeordneten.