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EU will Verschlüsselung aushebeln: "Nichts mehr geheim"

Die EU will verschlüsselte Messenger verpflichten, Dateien auf den Handys der Nutzer zu durchsuchen. Das Gesetz könnte die Massenüberwachung auslösen.

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Was wir via verschlüsseltem Messenger schreiben und verschicken, könnte bald schon nicht mehr geheim sein.
Was wir via verschlüsseltem Messenger schreiben und verschicken, könnte bald schon nicht mehr geheim sein.
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Was genau plant die EU-Kommission?

Die EU will Betreibern von sicheren Kommunikationsdiensten in Zukunft vorschreiben, verschlüsselte Chats, Nachrichten und E-Mails automatisch auf verdächtige Inhalte zu durchsuchen. Der Gesetzesvorschlag zielt auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Diensten wie WhatsApp oder Signal ab. "Nichts ist mehr vertraulich oder geheim. Sicher verschlüsselte Kommunikation ist damit in Gefahr", sagt Patrick Breyer, Politiker der Piratenpartei Deutschland, zu "20 Minuten". Der Jurist ist seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments.

Was bezweckt die EU-Kommission damit?

Mit dem Projekt will die EU gegen Kinderpornografie und Kindesmissbrauch ankämpfen. "Es soll sichergestellt werden, dass die Firmen ihren Beitrag leisten, indem sie verpflichtet werden, Kindesmissbrauch zu entdecken, zu melden und zu entfernen", so die EU-Kommissarin Ylva Johansson in einem Schreiben. Wie dies umgesetzt werden soll, lässt die EU-Kommission offen. "Es ist unwahrscheinlich, dass im Gesetzesentwurf technische Details ausgeführt werden", erklärt netzpolitik.org. Vermutlich werde dies den Anbietern überlassen.

Kennen andere Staaten solche Hintertüren?

In den USA laufen mit dem sogenannten Earn-it-Act seit 2020 ähnliche Bestrebungen. Eine erste Version des geplanten Gesetzes wurde als "Hintertürangriff auf die Verschlüsselung" bezeichnet. Im Februar 2022 nahm der umstrittene Gesetzesentwurf eine wichtige Hürde: Ein Senatsausschuss verabschiedete das Gesetz.

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    Was wir via verschlüsseltem Messenger schreiben und verschicken, könnte bald schon nicht mehr geheim sein.
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    Was sind die Gefahren des EU-Pakets?

    Die internationale Vereinigung von Bürgerrechtsorganisationen (Edir) fürchtet, dass damit ein Präzedenzfall für die massenhafte Ausspähung privater Kommunikation geschaffen werden könnte. Schon im letzten Herbst hatten sich bekannte Sicherheitsforscherinnen und Kryptologen gegen das Durchsuchen von Handys gestellt: Solche Pläne seien gefährlich für die IT-Sicherheit und die Demokratie, hieß es in ihrer Studie. Die geplante Kontrolle sei ein Dammbruch und die Technologie zum automatischen Mitlesen privater Kommunikation gefährlich, sagt Breyer: "Denn sie kann spielend leicht auch für andere Zwecke entfremdet werden."

    Was bedeutet das alles konkret?

    "Flirts und Sexting werden mitgelesen, private Fotos und Videos werden unter Umständen von Mitarbeitern von internationalen Konzernen und Polizeibehörden angesehen und unschuldig Verdächtigte müssen mit Strafverfahren, Vorladung oder Hausdurchsuchung rechnen", warnt Breyer.

    Betrifft das auch europäische Nicht-EU-Länder?

    Betrifft das auch Nicht-EU-Länder wie die Schweiz? Da es sich um einen Erlass der EU handelt, hätte eine solche Verordnung keine rechtlichen Auswirkungen für die Schweiz. Weil die Schweiz aber häufig EU-Recht übernimmt, kann es sein, dass eine solche Verordnung von der Schweiz übernommen und höchstens in kleinen Detailfragen eine abweichende Regelung getroffen würde. "Die meisten großen Messenger würden wohl die EU-Vorgaben umsetzen und für die Schweiz keine Ausnahme machen", so Daniel Hürlimann, Professor für Rechtsinformatik an der Berner Fachhochschule. Die Verordnung würde also trotz fehlenden rechtlichen Wirkungen faktisch auch bei Nutzerinnen und Nutzern in der Schweiz zu einer Durchsuchung der Daten auf dem Handy führen.

    Was sagen die Messenger?

    Anfragen bei Meta (WhatsApp) und Signal wurden bisher nicht beantwortet. Die zuständigen Personen des sicheren Schweizer Messengers Threema möchten sich aktuell nicht zum Thema äußern.

    Wie geht es nun weiter?

    Ursprünglich hätte der Gesetzesentwurf im Dezember 2021 besprochen werden sollen. Das wurde auf den 30. März verschoben. Nun ist die Präsentation am 27. April 2022 geplant. "Dann werden Rat und Parlament ihre Vorstellungen zu dem Entwurf erarbeiten und abstimmen. Das wird wohl in der zweiten Jahreshälfte der Fall sein", so Breyer. Ungewiss ist, ob eine automatische Kontrolle von Chats überhaupt legal ist, wie ein Rechtsgutachten zeigt. Generell ist in der EU nämlich anlasslose und verdachtsunabhängige Überwachung verboten, weil sie die Grundrechte verletzt.