20 Schnaps am Tag

"Es gab nur eines, um durch den Tag zu kommen: Vodka"

Nach Existenzängsten und Suizidgedanken kämpfte sich Isolde Mitter mit eisernem Willen zurück ins Leben. Warum sie heute glücklicher ist denn je.

Daniela Hamberger
"Es gab nur eines, um durch den Tag zu kommen: Vodka"
Isolde Mitter schlitterte Mitte 20 in eine tiefre Lebenskrise.
Isolde Mitter

Isolde Mitter (44), alleinerziehende Mutter aus Oberösterreich, strahlt pure Lebensfreude aus. Mit einem Lächeln startete sie in das "Heute"-Gespräch und nichts hätte vermuten lassen, dass ihr Leben vor ein paar Jahren noch ganz anders ausgesehen hat. "Es kann jedem passieren", begann sie ihre Erzählung, denn wenn es um das Thema Sucht geht, hätten wir Menschen viel zu schnell Vorurteile. "Wir glauben immer, Freunden oder der Familie kann es nicht passieren. Aber es kann auch dich selbst treffen".

Das Familienunternehmen ruft

Isolde hat bereits in jungen Jahren viel erlebt. Sie wuchs in einer Unternehmerfamilie auf, machte ihre Ausbildung in der Fliesenbranche und war anschließend im Außendienst tätig.  Doch es gab einen Wunsch, dem sie nachkommen wollte. "So machte ich Anfang 20 auch noch die Ausbildung zur Masseurin, denn ich hatte schon immer einen guten Zugang zu Menschen". In ihrem Leben schien zu diesem Zeitpunkt alles gut zu laufen, doch dann wurde ihr Vater krank und brauchte sie dringend im familieneigenen Schrotthandel.

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Keine Zeit zum Nachdenken

Ihr Leben änderte sich drastisch, als sie dann mit 24 den Schrotthandel übernehmen musste. Es war der Anfang vom Ende, der Weg in ihr Unglück. "Ich war gezwungen, in eine mafiöse Männerwelt einzutauchen, in die ich als junge Frau absolut nicht passte. Die Situation zog mir auf Dauer den Boden unter den Füßen weg". Psychisch waren die zahlreichen Probleme kaum noch auszuhalten. "Es ging immer nur ums Geld und irgendwann auch um meine eigene Existenz. Ich musste mich zum Beispiel mit LKW-Diebstählen auseinandersetzen und mir den Kopf darüber zerbrechen, wie ich die auf einen Schlag verlorenen 120.000 Euro ausgleichen konnte. Schlaflose Nächte waren Alltag. Aber mein riesiges Ego sagte damals noch, das schaffen wir schon".

Die Lage spitzte sich zu

Für einige Zeit schaffte sie es tatsächlich, aber nur mit "Hilfsmitteln". Alkohol, Antidepressiva, Schlaftabletten und regelmäßiges Kiffen gehörten zum Alltag. "Von den unzähligen Packungen Zigaretten fange ich erst gar nicht an. Um 9 Uhr Früh gab es den ersten Vodka, bis zum Abend konnten es schon 20 Stück werden", erinnert sie sich. Gewusst hat in ihrem Umfeld davon aber niemand, denn "Süchtige und depressive Menschen sind oft die besten Schauspieler". Auch vor ihrer Mutter hielt sie ihre Krise so lange wie möglich geheim. Nach und nach verschlechterte sich ihr Zustand aber und zu ihrer Depression kamen auch Suizidgedanken. Das Konkursverfahren löste schlimme Panikattacken bei der Oberösterreicherin aus. "Ich habe mitten in der Nacht eine gute Freundin angerufen und ihr in völliger Panik gesagt 'i glaub i stirb'. Denn es fühlte sich genau so an. Es gab für mich kein Licht mehr am Ende des Tunnels".

Der Weg zurück ins Leben

"Ich wusste selbst, wenn ich jetzt nicht aktiv etwas an meinem Leben ändere, bin ich bald tot. Ich entschied mich schnell und sagt mir selbst – ja, ich will leben". Sie begann sofort ihr Leben zu ändern, trennte sich vom Schrotthandel und ging zurück in die Fliesenbranche. "Ich hatte 80 Stunden Wochen im Außendienst, aber es fühlte sich wie Erholung für mich an. Die Angst um meine Existenz war endlich weg". Der Weg zurück ins Leben dauerte drei lange Jahre, in denen sie von guten Freunden unterstützt wurde. Heute weiß sie: "Wir Menschen müssen lernen, dass wir nicht immer alles alleine lösen müssen. Wir dürfen um Hilfe bitten, uns Rat holen".

Als sie sich einigermaßen erholt hatte, konnte sie erstmals wieder darüber nachdenken, was sie mit ihrem weiteren Leben anfangen möchte. "Du kannst nicht in dem Umfeld heilen, das dich krank gemacht hat. Also beschloss ich einen komplett neuen Weg einzuschlagen". Und eigentlich führte sie dieser Weg wieder zurück an den Anfang. Dahin, wo sie vor mittlerweile 25 Jahren begonnen hat. "Ich wollte mein Talent nutzen und wieder mit Menschen arbeiten. Und diejenigen unterstützen, die ähnliches wie ich erleben mussten". So entschied sie sich, als Bewusstseinstrainerin zu arbeiten.

Alles kann zur Sucht werden

Isolde möchte Menschen dabei helfen, auf sich und ihre Bedürfnisse zu hören. "Wenn wir aus dem Gleichgewicht kommen, passiert in uns ein innerer Konflikt. Wer immer machen muss, was man von ihm verlangt und nicht was er möchte, wird auf Dauer unglücklich oder sogar krank". Um diesen inneren Konflikt ruhig zu stellen, würden viele Menschen zu "Hilfsmitteln" greifen.  Egal ob Drogen, Essen oder Sport, alles könne in solchen Situationen zur Sucht werden. "Je besser wir unsere Bedürfnisse kennen und auf diese achten, desto weniger sind wir verleitet, der Sucht nachzugeben und uns zu betäuben".

Einen allgemein gültiges Rezept für den Weg aus einer Sucht oder einer Krise gebe es aber nicht, denn jeder Mensch sei anders. "Doch jeder sollte damit beginnen, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. Eine Veränderung im Leben kann aber nur aktiv passieren, niemand wird dir diese Entscheidung, diesen Schritt abnehmen. Wenn du etwas ändern willst, dann tu es". Zusätzlich solle man sich Alternativen für die bestehenden Süchte suchen, die dem Körper guttun. "Fenster auf und die frische Luft, den Moment ganz bewusst erleben".

Körper und Geist sind wieder im Einklang

Heute lebt die 44-Jährige mit ihrem Kind in Oberösterreich und fühlt sich besser denn je. "Nachdem meine Seele und auch mein Körper geheilt waren, konnte ich mir einen meiner größten Wünsche erfüllen – ein Kind". Isolde hat ihren persönlichen Weg aus der Sucht und der Depression gefunden und möchte ihre Erfahrungen mit so vielen Menschen wie möglich teilen. Aus diesem Grund hat sie ihre Geschichte und ihre Gedanken auch in einem Buch festgehalten. "Die Schrotthändlerin" ist 2018 erschienen.

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    Selina (38) und Paolo (44) sind ein Herz und eine Seele…
    Selina (38) und Paolo (44) sind ein Herz und eine Seele…
    privat

    Auf den Punkt gebracht

    • Isolde Mitter, eine alleinerziehende Mutter aus Oberösterreich, kämpfte sich mit eisernem Willen und Unterstützung von Freunden und ihrer eigenen Entschlossenheit nach Existenzängsten und Suchtproblemen zurück ins Leben
    • Heute, als Bewusstseinstrainerin tätig, möchte sie anderen Menschen dabei helfen, auf ihre Bedürfnisse zu hören und Wege aus der Sucht zu finden
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