App geht steil
"Echter Brocken" – Temu gräbt dem Handel Milliarden ab
Der China-Shop Temu schüttelt den Markt durch. Der Umsatz von Temu dürfte 2024 vor allem in Europa exorbitant steigen.
Temu flutet die Welt mit Billigprodukten. Der Konzern hinter Temu namens PDD verdrängt den Koloss Alibaba als zweitgrößtes chinesisches Onlineunternehmen hinter Tencent. Der Umsatz kletterte vergangenes Jahr um 90 Prozent auf umgerechnet über 30 Milliarden Euro.
So funktioniert das Temu-Business
Auf dem Online-Marktplatz gibt es Waren zu Spottpreisen und mit saftigen Rabatten von chinesischen Händlern. Temu erklärt seinen Erfolg mit dem Modell mit Produkten direkt ab der Fabrik, das den Zwischenhändler ausschaltet. Die Produkte kommen vor allem über belgische und niederländische Flughäfen in Europas Zwischenlager und von dort mit Lastwagen. Temu wirbt mit kostenloser Lieferung und Retouren.
Temu nimmt von den Verkäufen eine kleine Provision. Das große Geschäft macht die Firma aber mit der Werbung, die Shops auf der App platzieren. Temu macht wiederum mit massiver Werbung in sozialen Medien, aber auch im TV wie während der Fußball-EM auf sich aufmerksam.
Laut Detailhandelsexperte Hans-Peter Kruse braucht Temu als Plattform keinen großen Aufwand und deshalb auch nur wenig Marge. Außerdem seien die Produkte zwar meist billig, doch für viele müsse, beispielsweise ein Faschingskleid, nicht lange halten. Zudem sei die Firma unglaublich kundenfreundlich.
In Europa explodiert der Umsatz von Temu
In Europa dürfte der Umsatz von Temu heuer exorbitant steigen. Beispielsweise in der Schweiz wird eine Beinahe-Verdopplung von rund 350 auf über 600 Millionen Euro erwartet. Das Problem seien nicht diese Millionen, sondern die Milliarden, die "dem Handel entgehen, weil die Produkte so viel günstiger sind. Das ist ein echter Brocken", so Kruse.
Riesen-Hype um Temu – Mode um wenige Cent, vieles gratis
Menschenrechtler prangern die Arbeitsbedingungen an, Konsumentenschützer warnen vor Produkten mit gefährlichen Weichmachern oder gefälschten Sicherheitskennzeichnungen. Temu verweist jeweils auf strenge Sicherheitsstandards.
Läden laufen Sturm gegen Temu
Jetzt wehren sich die Schweizer Händler. Die Branchenvereinigung Handelsverband.swiss reichte Ende Juli eine achtseitige Beschwerde gegen Temu beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ein, wie die "Handelszeitung" berichtet.
Zuvor reichte bereits im Mai ein anderer Detailhandelsverband Beschwerde beim Seco mit ähnlichen Vorwürfen ein. Darauf reagierte ein Temu-Anwalt und bot an, bestimmte Handlungen zukünftig in der Schweiz zu unterlassen.
Das zeige, dass sich nur mit Druck etwas ändert, sagt Bernhard Egger vom Handelsverband.swiss zu "20 Minuten". Er fordert gleiche Regeln für Schweizer und ausländische Händler. "Es kann nicht sein, dass Temu keine Produkthaftpflicht übernimmt", sagt Egger.
Bei Schäden sind China-Händler die Ansprechpartner
Laut den AGB von Temu müssten Kundinnen und Kunden sich im Schadensfall an die Händler in China wenden. "Das ist bei Retouren kein Problem, aber wenn das Haus wegen eines defekten Akkus brennt, ist der Händler nicht erreichbar und die Versicherung macht Probleme", so Egger.
Der Verband stört sich auch daran, dass Temu laut Egger unerlaubte Werbung mit Dauerrabatt und begrenzten Stückzahlen macht, wofür Schweizer Händler gestraft würden. Außerdem zahle Temu keine vorgezogene Recyclinggebühr, keine Mehrwertsteuer und lasse die Produkte nicht zertifizieren.
Millionen von Paketen kontrollieren?
FDP-Nationalrat und Digitec-Mitgründer Marcel Dobler sagt, er könne die berechtigten Forderungen nachvollziehen, dass sich die Händler unfair behandelt fühlen. "Doch selbst die Empfänger wissen meist nicht, von welchem Händler die Pakete kommen. Manuelle Kontrollen oder Einfuhrverbote für Millionen von Sendungen sind jedoch keine praktikable Lösung", sagt Dobler.
Er wünscht sich eine internationale Regelung vom Weltpostverband oder einen konstruktiven umsetzbaren Lösungsvorschlag der Händler, der umzusetzen wäre, statt nur ein nicht lösungsorientierter Problembeschrieb. "Dann wäre die Politik und ich sehr interessiert, diesen Misstand zu beseitigen.", sagt Dobler.
Seco ist erstmals an China-Plattform dran
Das Seco bestätigt den Austausch mit der Firma. Doch der Fall ist laut Sprecher Fabian Maienfisch herausfordernd, weil Temu keinen Sitz in der Schweiz hat. Deshalb könne das Seco Maßnahmen wie ein Verkaufsverbot nicht verfügen. Der Prozess könne noch länger dauern. Die Seco-Rechtsabteilung habe es das erste Mal mit einer Onlineplattform zu tun, die einem chinesischen Unternehmen zuzuordnen sei.
Allerdings gründete der Konzern hinter Temu mit der Firma Whaleco Switzerland zu Jahresbeginn einen Sitz in Basel. Temu könnte sich also bald offiziell in der Schweiz niederlassen und wäre dann greifbar für das Seco. Die Firma bestätigt gegenüber der Handelszeitung die Gespräche mit Interessenvertretern.
Die Bilder des Tages
Auf den Punkt gebracht
- Der chinesische Online-Shop Temu erobert den Markt im Sturm und wird voraussichtlich 2024 in Europa einen enormen Umsatzanstieg verzeichnen
- Dies führt zu Pleiten von Einzelhändlern, die mit den Billigpreisen von Temu nicht mithalten können
- Kritiker bemängeln die Arbeitsbedingungen und die Sicherheit der Produkte, während Schweizer Händler Beschwerden beim Staatssekretariat für Wirtschaft einreichen
- Trotzdem gestaltet sich die Regulierung von Temu aufgrund seines chinesischen Hintergrunds als herausfordernd