Wien
Wiener Demo-Teilnehmer "musste drei Tage hinter Gitter"
Ein Teilnehmer der 1.-Mai-Kundgebung wurde nach seiner Verhaftung fast drei Tage lang festgehalten. Ihm drohen nun bis zu 5 Jahre Haft.
Eine Kundgebung am 1. Mai in Wien beschäftigt weiterhin Medien, Politik und auch die Justiz. Endpunkt eines linken Demo-Zugs war der Votivpark, ein Banner wurde am Gerüst der Votivkirche gehisst. Danach wurde die Lage unübersichtlich: Denn zwei Personen, gekleidet in einschlägig rechten Modemarken, wurden als Teilnehmer der in unmittelbarer Nähe zuvor stattgefundenen Corona-Demo erkannt und verfolgt.
Ein "Heute"-Bericht deckte auf: Es handelte sich um Zivilpolizisten. Laut LPD Wien wurden sie von linken Demo-Teilnehmern als solche erkannt und deswegen attackiert. Die Zivilbeamten verteidigten sich mit Pfefferspray, die Lage eskalierte, es kam zu elf Festnahmen. Familien und Unbeteiligte, die zuvor im Park das schöne Wetter genossen hatten, wurden Teil einer kleineren Massenpanik. Laut den Organisatoren gab es 50 verletzte Teilnehmer, sieben verletzte Beamte beklagte die Polizei, zumindest einer von ihnen bekam Pfefferspray eines Kollegen ab.
Beobachter
Am anderen Ende des Parks, auf Seite des Schottentors, befand sich Oliver (Name von der Redaktion geändert). Eigentlich wollte er die Corona-Demo beim Rathaus beobachten, um eine etwaige Eskalation zu filmen und das Bildmaterial anschließend an Medien zu verkaufen.
Als diese Demo ohne nennenswerte Vorkommnisse zu Ende gegangen war, machte er sich mit zwei Freunden auf in Richtung Votivpark, weil dort eine andere Demonstration stattfinden sollte. "Ich wollte beobachten, was sich dort dann tun würde", erklärt er im Interview mit "Heute" .
„"Meine Rolle war rein die eines Beobachters. Ich bin da rumgelaufen und hab alles mit dem Smartphone gefilmt, was mir vor die Linse gekommen ist."“
Was dann geschah
An der Votivkirche kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Teilnehmern, auch die Zivilbeamten waren darin verstrickt. Einige Beamte verfolgten daraufhin im Vollsprint einen Tatverdächtigen durch die Menschenmengen, holten ihn am anderen Ende des Parks schließlich ein und stürzten sich auf ihn.
Oliver stand unmittelbar daneben und filmte die Verhaftung jenes Teilnehmers, der auf einen Infostand gestürzt wurde (Video unten). Die Stimmung war aufgeheizt, Beamte stießen beistehende Teilnehmer weg. "Dann haben die Polizisten angefangen, die umstehenden Personen mit Pfefferspray niederzusprühen". Eine Bierdose flog. "Schlimmere Angriffe hätte ich jetzt nicht beobachten können."
Verhaftung
Aus dieser Szenerie hat sich Oliver etwas entfernt, filmte jedoch weiterhin die Verhaftung des Aktivisten. Dann hat er gesehen, "wie einer der Polizisten, der auf wem draufkniet, auf mich zeigt. Und nicht mal zwei Sekunden später hat mich bereits ein Beamter zu Boden gedrückt." Dabei verlor er seine Brille, ohne sie ist er fast blind. Er versuchte, nach ihr zu greifen, doch ein Beamter schubste sie weg. In weiterer Folge ging sie zu Bruch, eine andere Teilnehmerin sammelte sie ein.
Bei der Festnahme selbst sei er kooperativ gewesen. Auf das von der Verhaftung existierende Videomaterial wies er hin, aber "Gelegenheit, das Video zu zeigen, hatte ich nicht." Oliver wurde in den Gefangenentransporter gebracht, zwei Stunden später ging es in das Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände.
Das sagt die Polizei
Jetzt wird ihm versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen sowie der Versuch einer schweren Körperverletzung. "Ich soll dem Beamten während seiner Amtshandlung gegen die linke Schulter getreten haben. So behauptet er." Diesen Vorwurf liest man auch im Protokoll der Beschuldigtenvernehmung, das "Heute" vorliegt. Darin ist zu lesen:
"Während zwei Polizeikollegen eine andere Person am Boden fixierten wollten, kam Hr. (...) auf die beiden Beamten zu, und trat den fixierenden Beamten mit der Dienstnummer (...), gegen die linke Schulter, wobei dieser dabei nicht verletzt wurde", so die Aussage des Beamten.
Kritik am Vorgehen - das sagt der Anwalt
Bis Sonntagmittag, also fast 24 Stunden lang, ist er im Polizeianhaltezentrum gewesen. Die Staatsanwaltschaft beantragte Untersuchungshaft, er wurde deswegen in die Justizanstalt Josefstadt verlegt. Dort wartete er auf seinen Termin bei der Haftrichterin. Dazu kam es schließlich Dienstagfrüh.
Die Juristin habe sich nicht unbedingt begeistert gezeigt, dass der Staatsanwalt verlangte, dass er in U-Haft kommen sollte. "Sie hat dann auch gesagt, es besteht zwar Tatverdacht, aber sie setzt mich auf freien Fuß." Gegen 10 Uhr, 65 Stunden nach seiner Verhaftung, war Oliver wieder frei. Er wurde von einer 50 Personen umfassenden Solidaritätskundgebung sowie seiner Freundin in Empfang genommen.
Sein Anwalt übt Kritik am Vorgehen der Polizei und der Staatsanwaltschaft. Wie letztlich durch das Landesgericht bestätigt, seien die Voraussetzungen zur Verhängung von Untersuchungshaft zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. Weiters sei es laut dem Rechtsanwalt unverständlich, weshalb zentrale Beweismittel, die unmittelbar zur Verfügung standen, im Rahmen der Ermittlungen bzw. auch bei Beantragung der U-Haft, nicht beachtet wurden.
"Wovon ich ausgehen muss, ist, dass mich der Polizist verwechselt hat", vermutet Oliver. Im Falle einer Verurteilung stehen gemäß § 84 Abs 4 StGB sechs Monate bis fünf Jahre Haft im Raum.