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Digitaler Goldrausch weckt verschlafenes Alpendorf

In Gondo herrscht Goldgräberstimmung. Statt nach Nuggets wird nun nach Kryptowährungen gesucht. Die Anlage läuft mit Strom aus Wasserkraft.

Heute Redaktion
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Goldgräber in Lumpen und Fetzen und hohe Herren mit Zylinder und Frack feierten hier einst wilde Feste. Goldrausch-Sonntage – so nannte man die Feiern, wo statt Sprengschüssen nur die Champagnerkorken knallten. Gondo, ein Schweizer Bergdorf direkt an der italienischen Grenze, habe am Montagmorgen dann jeweils wie ein verlassenes Schlachtfeld ausgesehen, heißt es in den Überlieferungen.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Name des Walliser Dorfs in die Geschäftswelt von ganz Europa getragen. Doch die Tage, als 500 Minenarbeiter, Schmiede und Handlanger täglich 80 Tonnen Erz verarbeiteten, sind seit langem gezählt, die Pressluftbohrmaschinen verstummt. Dann kam der Konkurs, und mit ihm verschwanden die edlen Herren schneller aus dem Dorf, als sie einst gekommen waren.

Hoodie statt Frack

Nun wird wieder geschürft. Statt dass aber Männer in engen Stollen nach Gold suchen, verrichten jetzt Maschinen die Arbeit. Das Dorf mit ein paar Dutzend Einwohnern ist zum Schauplatz einer neuen Technologie geworden. Seit 2017 betreiben ein paar Freunde aus dem Wallis hier die moderne Version einer Goldmine. Dabei tragen sie weder Frack noch Fetzen, sondern Hoodie.

Es ist laut, heiß und überall blinken Grafikkarten, die in Regalen aus Metall hängen. Doch was geht hier eigentlich genau vor? "Wir betreiben eine Krypto-Mining-Farm", erklärt Kevin Ouillon von Alpine Mining AG. Die Spezial-Rechner des Start-ups lösen rund um die Uhr komplexe mathematische Aufgaben.

Der Stromverbrauch? Hoch!

Als Miner tragen Ouillon und seine Kollegen zur Sicherheit des Netzwerks bei. In der Blockchain – quasi ein Kassenbuch – sind alle Transaktionen gespeichert, und zwar öffentlich. Sie liegt nicht zentral an einem Ort, sondern jeder Knotenpunkt führt das öffentliche Verzeichnis nach. "Das ist transparent und schaltet den Mittelsmann aus. Mit unseren Rechnern verifizieren wir Transaktionen", erklärt Ouillon.

Wenn neue Teile an die Blockchain angehängt werden, erhalten die Miner darum eine Bezahlung für ihre Arbeit. Die Anzahl an Kryptowährungen ist explodiert. Mehr als 1500 sind etwa auf der Website Coinmarketcap.com gelistet. Die Computer von Alpine Mining sind auf die Ethereum-Blockchain spezialisiert, die von verschiedenen Währungen genutzt wird. Welche davon errechnet wird, sei von Tag zu Tag je nach der geplanten Rentabilität unterschiedlich, so Ouillon.

Doch so ein Raum voller Grafikkarten verbraucht viel Strom. "Wir beziehen aktuell rund 350 kW/h. Das ist deutlich mehr, als das gesamte Dorf an Strom verbraucht." Die Miner nutzen Strom aus Wasserkraft. Das sei günstig und ökologisch und ein Grund, weshalb man sich in Gondo niedergelassen habe. Wie hoch ihre Gewinne sind, verraten sie nicht.

"Wir sehen reales Potenzial"

Für die Mitarbeiter ist das Mining längst kein Hobby mehr. Sie haben ihre Papiere in Gondo deponiert, wohnen in einer WG und betreuen die Anlage in Schichten 24 Stunden pro Tag. Doch der Krypto-Markt ist noch verhältnismäßig jung, die Preise der Währungen volatil, zudem gibt es viele Scam-Projekte.

Könnte den digitalen Minenarbeiter dereinst das gleiche Schicksal drohen, wie den ehemaligen Goldgräbern? Ouillon winkt ab: Die Technologie habe reales Potenzial, um mehr Transparenz in die verschiedensten Branchen zu bringen. "Blockchain-Technologie kann unsere Gesellschaft positiv beeinflussen und wird so schnell nicht verschwinden." Das Unternehmen arbeitet bereits an weiteren Standorten.

(red)