Gesundheit
Das sind die Folgen versäumter Vorsorgeuntersuchungen
Die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen ging in der Pandemie rapide zurück. Das wird Folgen haben.
Die Coronapandemie kann nicht nur zur gefürchteten Coronakrankheit führen. Vor allem die „Kollateralschäden“, also die Auswirkungen von Nichtbeanspruchung ärztlicher Leistungen während der Lockdowns, werden früher oder später zu ernsten Gesundheitsproblem sorgen. Es hat sich gezeigt, dass vor allem drei Gesundheitsbereiche davon betroffen ist.
Kardiologie: Ernste Konsequenzen bei verpassten Verlaufskontrollen
„Ein besonders verbreiteter und folgenschwerer Kollateralschaden der Pandemie ist die Gewichtszunahme, einerseits durch Bewegungsmangel, aber auch durch veränderte Ernährungsgewohnheiten“, berichtet Bonni Syeda, Kardiologin mit Gruppenpraxis in Wien und stv. Obfrau der Fachgruppe Innere Medizin der Wiener Ärztekammer. Durch diese Gewichtszunahme, aber auch weil viele Menschen schon länger nicht zum Arzt gingen und somit medikamentös nicht mehr optimal eingestellt seien, müsse man jetzt feststellen, dass Patienten deutlich schlechtere Blutwerte aufweisen würden als vor einem Jahr. Damit steige das Risiko von Diabetes-Folgeschäden, generell könnten Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall drohen. „Es ist daher essentiell, dass wir die Menschen rechtzeitig zurück in die ärztliche Betreuung holen, um solche Langzeitfolgen zu vermeiden“, sagt Syeda. Zudem gebe es auch eine Reihe von Krankheitsbildern, die regelmäßig kontrolliert werden müssen. In der Kardiologie seien das etwa Herzschwäche oder Hauptschlagader-Erweiterung, warnt Syeda. „Weil solche Krankheiten ohne Verlaufskontrollen tödlich enden können, sind regelmäßige Arztbesuche notwendig, um das Fortschreiten der Erkrankung rechtzeitig zu erkennen und gegebenenfalls Therapien einzuleiten“, so die Kardiologin. Durch die Pandemie komme es auch zu verzögerten Erst-Diagnosen neuer Erkrankungen.
Betreuung von Long Covid-Kranken nicht zu 100 Prozent eine Kassenleistung
Probleme gebe es auch im Fall von Long-COVID, also Folgeerscheinungen, die viele Menschen auch Wochen oder Monate nach einer abgelaufenen COVID-Erkrankung verspüren. „Bei mittlerweile über 600.000 COVID-Erkrankten in Österreich besteht somit Handlungsbedarf, damit die Betreuung dieser Patienten auch als Kassenleistung möglich ist. Derzeit ist das nicht in allen Bereichen der Fall“, sagt Syeda, die an die Politik appellierte, baldigst die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um sowohl die Betreuung der Long-COVID Patienten im Kassenbereich zu ermöglichen, aber auch für jene Leistungen, die derzeit nur in den Spitalsambulanzen durchgeführt werden können. „Wir sind schließlich nach wie vor mittendrin in der Pandemie – und es ist höchste Zeit, dass die Politik diesbezüglich handelt“, so Syeda.
Hochrechnung: 150 mögliche Brustkrebs-Nachweise unterblieben
„Die Einbrüche bei radiologischen Untersuchungen während der COVID-Krise waren dramatisch“, sagt Franz Frühwald, Facharzt für Radiologie und Nuklearmedizin und stv. Vorsitzender der Bundesfachgruppe Radiologie der ÖÄK. Im ersten Lockdown hätten die Rückgänge bei radiologischen Untersuchungen rund 90 Prozent betragen, die Rückgänge bei Mammografien liegen 2020 gegenüber 2019 bei knapp einem Fünftel. „Das hat natürlich ernste gesundheitliche Konsequenzen, weil Krankheiten und deren Verschlechterung nicht entdeckt wurden und deshalb angemessene Therapien unterblieben. Erforderliche bildgebende Untersuchungen sollten also unbedingt baldigst nachgeholt werden“, appellierte Frühwald. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Brustkrebs in Österreich bei Frauen der häufigste maligne Tumor und die Krebs-Todesursache Nummer eins ist, sei es alarmierend, dass im ersten Corona-Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr die Zahl der Mammografien um 18 Prozent, in absoluten Zahlen um 125.789, zurückgegangen sind, sagt Frühwald: „Das bedeutet hochgerechnet, dass in diesem Zeitabschnitt 150 mögliche Brustkrebs-Nachweise unterblieben sind. Diese nicht entdeckten Tumore wachsen weiter, manche könnten dadurch ein kaum behandelbares Stadium erreichen.“
Dickdarmkrebs: 90 Prozent der Todesfälle vermeidbar
Friedrich Anton Weiser, Chirurg mit Gruppenpraxis für Chirurgie mit Schwerpunkt Endoskopie in Wien und Obmann der Fachgruppe Chirurgie der Ärztekammer für Wien, warnt vor den Auswirkungen von Dickdarmkrebs. Dieser zählt zu den häufigsten und gefährlichsten Krebserkrankungen. Jedes Jahr gibt es in Österreich 4.500 Neuerkrankungen, 2.700 Menschen sterben daran. „90 Prozent dieser Todesfälle wären bei konsequenter Inanspruchnahme der Koloskopie vermeidbar, was sie zur effizientesten Methode der Früherkennung und Vorsorge macht“, betont Weiser: „Ein österreichweites Koloskopie-Programm würde bereits nach zehn Jahren die jährliche Krankheitsläufigkeit um fast 1.600 Patienten mit der Diagnose von Darmkrebs in einem fortgeschrittenen Stadium verringern.“ In über 90 Prozent der Fälle seien vor dem Entstehen des bösartigen Geschwulst über Jahre Vorstufen in Form von gutartigen Darmpolypen nachweisbar.
„Der Lockdown, aber auch andere Phasen der Pandemie haben auch für die Darmkrebs-Vorsorge massive Rückschläge bedeutet“, erzählt Weiser: „In unserer Gruppenpraxis haben wir etwa 90 Prozent weniger Koloskopien durchgeführt, in absoluten Zahlen sind das 800 bis 900. Von diesen nicht untersuchten Menschen hätten hochgerechnet 200 Polypen gehabt, wovon sich 40 Prozent früher oder später in einen Tumor umgewandelt hätten".