Welt
Chile stimmt für radikale Präsidentschaftskandidaten
Der ultrakonservative Kandidat José Antonio Kast liegt bei den chilenischen Präsidentschaftswahlen vor dem linksgerichteten Gabriel Boric.
Bei der Präsidentschaftswahl in Chile liegt der ultrakonservative Kandidat José Antonio Kast nach Auszählung von knapp der Hälfte der Stimmen vorn. Laut den am Sonntagabend von der Wahlbehörde veröffentlichten Teilergebnissen kam der deutschstämmige Anwalt auf 28,6 Prozent. An zweiter Stelle folgte mit 24,4 Prozent der linksgerichtete Ex-Studentenführer Gabriel Boric. Ausgezählt waren zu diesem Zeitpunkt 49,6 Prozent der Stimmen.
Sollte es bei diesem Ergebnis bleiben, würden Kast und Boric in vier Wochen in einer Stichwahl gegeneinander antreten. Um schon in der ersten Wahlrunde zum Präsidenten gewählt zu werden, sind mehr als 50 Prozent der Stimmen erforderlich. Die Amtszeit des bisherigen Präsidenten Sebastián Piñera endet im März.
Tiefe Spaltung der Gesellschaft
Kast und Boric repräsentieren entgegengesetzte Pole des politischen Spektrums in dem südamerikanischen Land. Ihr Konkurrenzkampf spiegelt somit die tiefe Spaltung der chilenischen Gesellschaft wider.
Der 55-jährige Kast ist Vorsitzender der ultrarechten Republikanischen Partei. Der strenge Katholik Kast bewundert das neoliberale Wirtschaftsmodell des früheren Militärdiktators Augusto Pinochet. Der 35-jährige Boric vom Linksbündnis Apruebo Dignidad setzt sich hingegen für mehr soziale Gerechtigkeit, eine Reform des privaten Rentensystems und eine stärkere Präsenz des Staates im Gesundheits- und Bildungswesen ein.
Chile hat zwar eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen in Lateinamerika – aber auch eine der höchsten Konzentrationen von Multimillionären. Die sozialen Unterschiede in dem Land sind stark ausgeprägt. Für die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich machen viele Chilenen die bisherige Verfassung verantwortlich, die noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur stammt.
Die Abschaffung der Verfassung zählte zu den zentralen Forderungen bei Massenprotesten vor zwei Jahren. In einem historischen Referendum stimmten ein Jahr später mehr als drei Viertel der Wahlberechtigten dafür, dass es eine neue Verfassung geben soll. Im vergangenen Juli nahm die verfassunggebende Versammlung ihre Arbeit auf.