Haiti
Banden stürmen Gefängnis und befreien 4.000 Häftlinge
In der Hauptstadt Haitis haben Banden schon lange das Sagen. Die Erstürmung eines Gefängnisses des Landes ist aber ein neuer Tiefpunkt für das Land.
Bei einem Angriff bewaffneter Banden auf das größte Gefängnis von Haiti sind am Wochenende mindestens drei Menschen getötet worden und Hunderte Häftlinge geflohen. Weniger als 100 der fast 4.000 Gefangenen seien noch in der Haftanstalt, schrieb der Menschenrechtsanwalt Arnel Remy, der dort mit Häftlingen arbeitet, am Sonntag auf X. Reporter der Nachrichtenagentur AP konnten sehen, dass das Eingangstor am Sonntagmorgen weit offen stand. Wärter waren keine zu sehen, auf dem Boden lagen drei Leichen mit Schusswunden.
Land versinkt in Chaos und Anarchie
Haiti ist in den vergangenen Jahren immer tiefer in Chaos und Anarchie versunken. Im Juli 2021 wurde Präsident Jovenel Moïse ermordet, 80 Prozent der Hauptstadt Port-au-Prince werden mittlerweile von bewaffneten Banden kontrolliert. In den vergangen Tagen war es noch schlimmer geworden, andauernde Schießereien brachten das Leben in der Hauptstadt zum Erliegen. Ministerpräsident Ariel Henry versuchte bei einer Auslandsreise gleichzeitig die Weichen für den Einsatz einer internationalen Polizeitruppe zu stellen, die die Lage wieder unter Kontrolle bringen soll.
Beobachter werten den Massenausbruch als neuen Tiefpunkt für das Land. Die Gefängniswärter hatten dem Angriff offenbar nur wenig entgegenzusetzen. "Sie brauchen Hilfe", schrieb eine Polizeigewerkschaft in sozialen Netzwerken – und postete dazu achtmal ein SOS-Symbol. "Lasst uns die Armee und die Polizei mobilisieren, um die Banditen daran zu hindern, in das Gefängnis einzubrechen", hieß es.
"Die massakrieren wahllos Leute in den Zellen"
Zu denjenigen, die auch nach dem Ausbruch noch im Gefängnis waren – offenbar aus freien Stücken -, zählten 18 ehemalige kolumbianische Soldaten, die als Söldner an der Ermordung von Ex-Präsident Moïse beteiligt gewesen sein sollen. Auch sie baten um Hilfe. "Bitte, bitte helft uns", hieß es in einem Video, das einige der Kolumbianer im Internet veröffentlichten. "Die massakrieren wahllos Leute in den Zellen."
Die Gewalt eskalierte einen Tag nach einem Treffen zwischen Ministerpräsident Ariel Henry und führenden Politikern der Karibik in Guyana, bei dem er versprochen hatte, die lang erwartete Parlamentswahl bis Mitte 2025 anzusetzen. Später reiste er nach Kenia weiter, das die von den Vereinten Nationen unterstützte Polizeimission in Haiti anführen soll. Ziel von Henrys Besuch war es, das Abkommen zu retten, das vom Hohen Gericht Kenias als verfassungswidrig eingestuft wurde.
Nationalpolizei zahlenmäßig unterlegen
Die Nationalpolizei Haitis verfügt über 9.000 Beamte, die für die Sicherheit von elf Millionen Menschen verantwortlich sein sollen. Gegen die zahlenmäßig überlegenen und schwer bewaffneten Banden haben sie kaum eine Chance.
Am Donnerstag beschossen Bewaffnete den internationalen Flughafen und griffen Polizeireviere an. Mindestens vier Polizisten wurden getötet. Einer der Bandenchefs, Jimmy Chérizier, auch bekannt als "Barbecue", sagte in einer Videobotschaft, sein Ziel sei es, Regierungschef Henry an einer Rückkehr nach Haiti zu hindern. Zudem sollten der Polizeichef und Kabinettsmitglieder gefangen genommen werden. "Mit unseren Waffen und dem haitianischen Volk werden wir das Land befreien", sagte er.