Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie die Bilder von den Trümmern der Autobahnbrücke in Genua gesehen haben?
Wenn man auf solchen Schadenplätzen im Einsatz stand, kommen sofort Bilder in einem hoch. Es sind Bilder, die sich bei vergangenen Rettungsaktionen ins Gedächtnis eingebrannt haben: eine Person, die alles verloren hat, oder ein totes Kind. Man hofft, dass möglichst wenig Menschen in diesem Moment auf dieser Strecke gefahren sind. Man hofft, dass möglichst wenig Leute unter der Brücke zu Schaden gekommen sind. Vor allem aber denkt man an die Angehörigen, die geliebte Menschen verloren haben.
Die Morandi-Brücke ist auf einer Länge von 200 Metern eingestürzt. Es sind riesige Elemente aus Beton und Stahl auf den Bildern zu sehen. Kann man überhaupt noch Überlebende finden?
Selbstverständlich gibt es eine Chance. Wenn die Betonelemente etwa auf ein Haus fallen, können Hohlräume intakt bleiben.
Wie geht man bei der Suche genau vor?
Zuerst beurteilen spezialisierte Rettungskräfte den Schadenplatz, die Statik. Besteht Gefahr für die Retterinnen und Retter? Gibt es weitere Einbrüche? Dann schicken wir die Hunde in die Suche. Sie können mit ihrer feinen Nase schnell einen Überblick über ein größeres Trümmerfeld gewinnen. Zugleich setzen wir technische Hilfsmittel wie Kameras oder Horchgeräte ein. Wenn sich ein eingeschlossenes Opfer beispielsweise durch Kratzen bemerkbar machen kann, hören dies die Spezialisten der technischen Ortung – selbst dann, wenn mehrere Schichten Betonelemente darüberliegen. Empfangen wir ein Lebenszeichen, müssen wir sehr behutsam vorgehen: Solche schwierigen Rettungen erfordern viel Erfahrung von den Einsatzkräften, damit das Opfer keinen Schaden nimmt. Auch arbeiten wir stets eng im Verbund mit anderen Rettungsorganisationen.
Das Wichtigste in Kürze:
In der norditalienischen Stadt Genua ist zu Mittag eine Brücke der Autobahn A10 eingestürzt.
Das Morandi-Viadukt stürzte aus mehr als 40 Metern Höhe und auf einer Länge von rund hundert Metern ein.
Die in den 1960er Jahren gebaute und 2016 renovierte Autobahnbrücke ist Teil der mautpflichtigen Autobahn A10.
Sie zählt zu den meistbefahrenen und wichtigsten Autobahnrouten von Genua.
Polizei und Rettungskräfte sprechen von zumindest 35 Toten und zahlreichen Verletzten.
Wie lange bestehen noch Chancen, Überlebende zu finden?
Die Wahrscheinlichkeit nimmt nach 24 bis 48 Stunden rapide ab. Das hängt auch davon ab, ob die Person verletzt ist, ob Wasser zur Verfügung steht oder ob es warm genug ist. Und doch gibt es immer wieder Rettungen auch noch nach fünf Tagen.
Zur Person
Linda Hornisberger (57) ist Bereichsleiterin Verschüttetensuche bei Redog, dem Schweizerischer Verein für Such- und Rettungshunde. Die Katastrophensuchhunde kommen zum Einsatz, wenn Menschen unter schwierigen Trümmerlagen vermutet werden – etwa nach einem Gebäudeeinsturz, nach Erdbeben, Explosionen oder Bergstürzen. Im Ausland waren sie zuletzt nach den Erdbeben in Nepal (2015) und in Japan (2011) im Einsatz.
Video: Hier stürzt die Morandi-Brücke ein
(Quelle: Tamedia/Davide di Giorgio)
Wie geht man damit um, wenn man auf Tote stößt?
Es ist sehr wichtig, dass auch die toten Menschen gefunden und geborgen werden, bevor mit schweren Maschinen die Trümmer weggeräumt werden. Besonders für die Angehörigen ist es ein Horrorszenario, dass ihre Liebsten in diesem Moment unter den Trümmern noch lebten und vergeblich auf Hilfe hofften. Für die Angehörigen ist es zudem sehr wichtig, dass sie ihre Liebsten beerdigen können.
In Italien geht die Diskussion um die Schuldfrage los. Matteo Salvini sagte: "Die Verantwortlichen sollen mit Namen genannt werden. Sie werden für diese Katastrophe teuer bezahlen." Macht man sich als Retterin solche Gedanken?
Nein, damit müssen sich – zum Glück – andere befassen. Wir können uns dazu nicht äußern und es bringt uns auch nichts. Unser Ziel ist es, Menschenleben zu retten, die eigene Leistung zu optimieren und nach jedem Einsatz zu analysieren, was man noch besser machen kann.
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