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"Assassin's Creed Valhalla" im Test: Bei Odins Bart!
Im neuen Ableger wagt sich "Assassin's Creed" ins Reich der Wikinger und darüber hinaus. "Heute" hat die Äxte geschwungen.
In den ersten Stunden von "Valhalla", dem neuesten Spiel in der "Assassin’s Creed"-Reihe von Ubisoft, trägt sich eine Szene zu, die den Zustand des Franchise gut symbolisiert. Zwei Mitglieder des Assassinen-Ordens besuchen das Wikinger-Dorf von Hauptfigur Eivor (wahlweise männlich oder weiblich) und überreichen ein Geschenk – die legendäre versteckte Assassinen-Klinge. Einer der beiden Meuchelmörder hat dabei ein schlechtes Gefühl und versucht, die uralten Traditionen des Geheimbunds zu betonen, wird aber abgewürgt. Eivor trägt die Klinge, die blitzschnell aus- und wieder einfahren kann, ganz offen an der Oberseite des Arms, versucht gar nicht, sie zu verstecken. Trotz mangelnder Ausbildung scheint Eivor das Meucheln aus dem Hinterhalt trotz Wikinger-Temperament nicht schwer zu fallen.
Start in Skandinavien
In den letzten Jahren hat sich "Assassin’s Creed" immer weiter weg vom ursprünglich zentralen Konflikt zwischen Templern und Assassinen bewegt. Klar, er taucht immer wieder auf – so auch in "Valhalla" – aber die Formel jedes neuen Serienteils ist ähnlich: Ein neuer Schauplatz mit einem neuen Helden (oder zuletzt verstärkt auch Heldinnen) und ein bisschen Assassinen-Story. Damit einher ging die Wandlung vom Action-Game zum ausgewachsenen Rollenspiel. In dieser Hinsicht ist "Valhalla" eine konsequente Weiterentwicklung.
Gegen Ende des neunten Jahrhunderts zieht es die nordischen Wikinger-Klans aus ihrer eisigen Heimat Skandinavien südwärts in die gespaltenen Königreiche, das angelsächsische England. Alleine dieser erste Schritt nimmt Eivor für einige Stunden in Beschlag, in denen das zum Niederknien schön gestaltete Skandinavien erkundet werden darf. Eisige Wasserfälle und schneebedeckte Gipfel ziehen in ihren Bann, werden später aber von den Feldern, Städten und Wäldern des altertümlichen Englands abgelöst. Das Ziel: Eine eigene Siedlung aufbauen und Allianzen mit den Machthabern der englischen Großregionen schmieden.
Episoden-Format
Daraus ergibt sich eine interessante Struktur für die Handlung, denn jedes Gebiet erzählt eine eigene Story mit neuen Charakteren. Nach jedem etwa drei- bis vierständigen Handlungsstrang kann man weiterreisen. Der Vorteil: Nervige Themen und Figuren ist man bald wieder los. Der Nachteil: Die tollen Elemente ebenso. Die Storys variieren in ihrer Qualität. Einmal muss man die Pikten zum Teufel jagen, dann wieder einen Herrscher stürzen.
Dabei sind die Antagonisten immer so dermaßen verdorben und böse, dass man keine Bedenken haben muss. Schade, denn man spielt hier die Invasoren. Die moralischen Implikationen dieses Umstands hätten sehr interessant werden können. Ach ja, die Handlung in der Gegenwart gibt es auch noch. Die kann man getrost ignorieren, wenn man sich dafür nicht interessiert, auch wenn es am Ende einen coolen Twist für Serienkenner gibt.
Furz-Humor
Abseits des Weges entdeckt Eivor immer wieder Welt-Ereignisse, die nun die ausführlichen Nebenquests aus "Odyssey" quasi ersetzen und kleine Storys für Zwischendurch bieten sollen. So wirklich geht die Rechnung aber nicht auf. Denn die Aufgaben sind zumeist trivial. Einmal muss man eine Kiste von A nach B tragen, ein andermal ein Pferd holen. Ein bisschen infantil wird es, wenn man einer Frau Schlangeneier bringen muss, damit sie einen riesigen Furz produzieren kann. Da waren die von Entscheidungen geprägten Nebenaufgaben in "Odyssey" wesentlich interessanter.
Dafür besinnt sich Ubisoft wieder auf das Erforschen der Spielwelt. Statt die Karte mit Symbolen zu übersäen, zeigen farbige Lichter an, dass sich an diversen Orten Geheimnisse, Schätze und Herausforderungen verbergen. Um was es sich genau handelt, sieht man erst, wenn man sich in der Nähe befindet.
Das Suchen nach Schatztruhen ist äußerst motivierend, denn Rüstungsteile und Waffen haben in "Valhalla" einen echten Wert. Denn es handelt sich um einzigartige Rüstungsteile, die man nicht wie bei "Odyssey" in zig verschiedenen Varianten hinterher geschmissen bekommt. Beim Schmied im Dorf kann die Ausrüstung mit der Hilfe von Ressourcen auch verbessert werden, um auch später im Spiel kompetitiv zu bleiben.
Wikinger-Rambo
Wenn es dann auch ans Kämpfen geht, spielt "Valhalla" seine Stärken aus. Es hat eine unheimliche Wucht, als Wikinger mit Äxten oder Breitschwertern auf die Gegner einzuhacken. Ubisoft spart nicht mit Blut und abgetrennten Körperteilen, für Kinder ist das alles nichts. Dabei gilt es immer zu beachten, Attacken auszuweichen oder sie zu kontern, sonst liegt Eivor schnell im blutigen Matsch.
Anfangs ist das Kampfsystem noch recht simpel, überall in der Welt sind aber neue Fähigkeiten versteckt, mit denen man sich immer mehr zur Kampfmaschine entwickelt, die Äxte wirft und Gegnern am Boden mit dem Stiefel das Gesicht zerstampft. Zusätzliche Boni gewährt der Skillbaum – etwa mehr Schaden und Gesundheit oder weitere Skills.
Leise in der Nacht, brachial bei Tag
Das andere zentrale Element ist das Schleichen. Hier ist Ubisoft zur Vernunft gekommen und erlaubt es, auch höherstufige Gegner mit einem gezielten Stich aus dem Hinterhalt auszuschalten. In der Testversion plagten noch einige Bugs das Spiel, etwa dass Gegner Augen im Hinterkopf zu haben schienen, das sollte aber mit einigen Patches schnell behoben sein. Besonders beeindruckend ist es, wenn man etwa in der Nacht vor einem großen Angriff auf eine Festung mit leisen Stichen und Pfeilen im Alleingang das gesamte Wachpersonal ausschaltet, um dann im Morgengrauen mit der versammelten Wikingermeute einzufallen.
Ubisoft hat hier die wohl schönste Open World der "Assassin’s Creed"-Geschichte geschaffen. England ist unfassbar vielfältig, bietet beeindruckende Ruinen, dreckige Städte, dichte Wälder und einige geheime Orte, die wir hier aus Spoilergründen an dieser Stelle nicht verraten. All das wird vor allem auf der neuen Konsolengeneration – getestet wurde die Fassung für Xbox Series X – atemberaubend umgesetzt. Die Umgebung, die Lichteffekte, die Animationen: "Valhalla" gehört zweifelsohne zu den schönsten Spielen des Jahres. Und läuft auf der bandneuen Hardware (auch auf PlayStation 5) mit butterweichen 60 Bildern pro Sekunde bei 4K-Auflösung.
Fazit
Bei "Assassin’s Creed" weiß man meistens, was man bekommt. Ein historisches Setting, Rollenspiel-Gameplay, ein bisschen Schleichen, eine Handlung mit einem Hauch von Assassinen-Verschwörung und jede Menge Spielzeit. Mit "Valhalla" ist man locker 50 oder 60 Stunden beschäftigt, ohne auch nur ansatzweise alles gesehen oder getan zu haben. Das Game sieht großartig aus und zeigt, was die neuen Konsolen auf dem Kasten hat. Eine Neuerfindung der Marke "Assassin’s Creed" ist es am Ende nicht geworden, aber eine gute Weiterentwicklung.