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Amtliches Wahl-Ergebnis in der Türkei könnte Tage dauer

Nach einer ereignisreichen Nacht in der Türkei steht am Montag ein amtliches Ergebnis der Auszählung nach wie vor aus. Eine Taktik der Regierung?

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    Das Rennen um das Präsidentenamt zwischen Amtsinhaber Erdogan und seinem Herausforderer Kilicdaroglu war knapp – und geht wohl in eine zweite Runde. Für Erdogan ist das Ergebnis ein Rückschlag. Aber auch die Opposition blieb unter ihren Erwartungen.
    Das Rennen um das Präsidentenamt zwischen Amtsinhaber Erdogan und seinem Herausforderer Kilicdaroglu war knapp – und geht wohl in eine zweite Runde. Für Erdogan ist das Ergebnis ein Rückschlag. Aber auch die Opposition blieb unter ihren Erwartungen.
    OZAN KOSE / AFP / picturedesk.com

    Das Rennen um das Präsidentenamt zwischen Amtsinhaber Erdogan und seinem Herausforderer Kilicdaroglu war knapp – und geht wohl in eine zweite Runde. Am Montagmorgen steht ein amtliches Ergebnis nach wie vor aus. Doch nach 20 Jahren an der Macht muss sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan voraussichtlich erstmals einer Stichwahl stellen.

    Stichwahl am 28. Mai

    Beim Stand von rund 95 Prozent der ausgezählten Wahlurnen im Inland und rund 37 Prozent im Ausland liege Erdogan bei 49,49 Prozent der Stimmen, sagte der Chef Wahlbehörde, Ahmet Yener, in Ankara am Montagmorgen (Stand 3 Uhr MESZ). Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu kam demnach auf 44,79 Prozent. Beide verfehlten damit die absolute Mehrheit von 50 Prozent und müssen am 28. Mai in eine Stichwahl gehen.

    Auf dem weit abgeschlagen dritten Platz landete demnach Sinan Ogan von der ultranationalistischen Ata-Allianz mit rund 5,3 Prozent. Dem Außenseiter könnte noch eine wichtige Rolle zukommen. Bei der Stichwahl wird wichtig sein, welche Wahlempfehlung er vorher abgibt.

    Psychologischer Trick, um Stimmung zu lenken

    Die Wahlbehörde gab das Ergebnis der Parlamentswahl zunächst nicht bekannt. Es zeichnete sich jedoch ab, dass Erdogans Regierungsallianz ihre Mehrheit verteidigen konnte. "Die Auszählungen vorheriger Wahlen in der Türkei verliefen ähnlich", schreibt "Die Zeit". Dass die Hochrechnungen Erdogan bis nach Schließung der Wahlurnen vorne zeigen, gehöre zu einem psychologischen Trick, um die Stimmung im Land in eine gewisse Richtung zu lenken.

    Verglichen mit den Angaben zu den Auszählungen, falle auf, dass zuerst die Stimmen dieser Ortschaften ausgezählt wurden, wo die Wähler hinter Erdogans AKP stehen. So soll im Bezirk Keçiören in Ankara die Auszählungsquote am frühen Abend bei mehr als 50 Prozent gelegen haben. Der Bezirk gelte als "das Erdogan-Lager". Im oppositionsnahen Bezirk Cankaya, auch in Ankara, seien zur selben Zeit nicht einmal halb so viele Stimmen gezählt worden.

    Ertim Orkun, Chef der unabhängigen Wahlbeobachter-Organisation Oy ve Ötesi sagte, es gebe noch Wahlurnen, die ausgezählt würden. Dort gebe es noch kein Abschlussprotokoll. Einige würden wieder und wieder ausgezählt. Es gebe auch Einspruch gegen Daten, die schon bei der Wahlbehörde YSK eingegangen seien. "Das verlangsamt naturgemäß die Dateneingabe." – und verzerrt zwischenzeitlich die Resultate.

    "Verlasst die Urnen und die Wahlkommissionen niemals"

    Der türkische Oppositionsführer, Kemal Kilicdaroglu, habe deswegen in der Nacht seine Anhänger dazu aufgerufen, bis zum Ende der Auszählung bei den Wahlurnen zu bleiben. "Verlasst die Urnen und die Wahlkommissionen niemals", sagte er in der Nacht zu Montag in Ankara. "Wir bleiben hier, bis jede Stimme ausgezählt ist."

    Zahlreiche Provinzen, in denen die Opposition traditionell stark sei, seien zu dieser Zeit noch nicht ausgezählt worden. "An den Urnen, an denen wir einen hohen Stimmanteil haben, blockieren sie das System mit aufeinanderfolgenden Einsprüchen". In Ankara habe es etwa bei 300 Wahlurnen Einsprüche gegeben, in Istanbul rund 780. "Es gibt Urnen, gegen die elf Mal Einspruch erhoben wurde. Was ihr da blockiert, ist der Wille der Türkei. Mit Einsprüchen könnt ihr nicht verhindern, was kommen wird", sagte der Oppositionsführer.

    Einspruchsfrist der AKP gilt bis Dienstagnachmittag

    Laut "Zeit" gelte die Einspruchsfrist bis Dienstagnachmittag. Dadurch dass die Auszählungen stetig wiederholt werden, wird Unsicherheit in der Bevölkerung geschaffen. Die Opposition habe sich aber auf diese Taktik eingestellt und an jeder Urne im Land standen den ganzen Wahltag über ihre Beobachter aufgestellt.

    Paralell zu den offiziellen Zählungen haben sie die Zahlen aus den einzelnen Lokalen in ein eigenes System eingespiesen. Gegen Mitternacht veröffentlichte die Opposition ein erstes Zwischenergebnis, wo Kilicdaroglu vier Prozentpunkte vor Erdogan lag.

    In der Nacht zum Montag haben sich die Auszählungen scheinbar nochmals verlangsamt. Kaum ausgezählt sind zu diesem Zeitpunkt die Oppositionshochburgen im Westen des Landes und wichtige Städte im Osten. Es könne so noch Tage dauern, bis ein amtliches Ergebnis vorliege, schreibt die "Zeit". Um kurz nach 03.00 Uhr dann die Ankündigung des Wahllokals: Es könnte zu einer Stichwahl zwischen Kilicdaroglu und Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan kommen. Die Angaben von Anadolu sind bloß vorläufig, sie gelten nicht als unabhängig.

    Aura des Unbesiegbaren durch Stichwahl verloren

    Auch wenn Erdogan in zwei Wochen noch immer gewinnen kann – für den 69-Jährigen Erdogan ist das Ergebnis ein Rückschlag. In seinen 20 Jahren an der Macht hat er bislang jede landesweite Wahl gewonnen. 2003 wurde Erdogan zunächst Ministerpräsident, seit 2014 ist er Staatspräsident. Die Aura des Unbesiegbaren geht ihm durch diese Stichwahl verloren.

    Erdogan zeigte sich in der Nacht zu Montag dennoch gut gelaunt vor jubelnden Anhängern in Ankara und stimmte ein Lied an.

    Alle Seiten sehen sich nun mit einer vollkommen neuen Situation konfrontiert – es ist nicht nur die erste Stichwahl für Erdogan, sondern auch für Herausforderer Kilicdaroglu – und für die Bürger. Der Präsident wird erst seit 2014 direkt vom Volk gewählt.

    Alle Augen schauen nun auf die Große Nationalversammlung in Ankara. Erdogans islamisch-konservative AKP und ihr ultranationalistischer Partner MHP werden dort ihre absolute Mehrheit voraussichtlich halten können. Erdogan kann in dem Fall vor der Stichwahl mit der Gefahr einer Regierungskrise argumentieren. Und er machte das prompt schon in der Nacht zu Montag. Er sei sich sicher, dass die Wähler in einer Stichwahl «Sicherheit und Stabilität» bevorzugten, sagte er.

    Schwierige zwei Wochen für die Türkei

    Erdogan spielte darauf an, dass sich Parlament und Präsident theoretisch blockieren könnten, sollte die Mehrheit der Abgeordneten an die Regierungsallianz fallen, das Präsidentenamt aber an die Opposition oder umgekehrt. Zwar kann der Präsident ohne Zustimmung des Parlaments ein Dekret erlassen, verabschiedet das Parlament aber ein Gesetz zum selben Thema, würde das Dekret ungültig. Es kommen in jedem Fall schwierige zwei Wochen auf die Türkei zu. Die Landeswährung Lira könnte durch die unsichere Situation weiter an Wert verlieren.

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