Opfer von Menschenhandel
Als 17-Jährige schoss sie ihrem Peiniger in den Kopf
Chrystul Kizer, die Opfer von Menschenhandel wurde, tötete ihren Peiniger. Dafür muss sie elf Jahre hinter Gitter.
Ein Gericht in Kenosha, Wisconsin, hat am Montag die 24-jährige Chrystul Kizer aus Milwaukee zu elf Jahren Gefängnis und fünf Jahren Bewährung verurteilt. Kizer wurde wegen der Tötung von Randall Volar III (34), dem Mann, der sie als Jugendliche sexuell missbraucht und ausgebeutet hatte, schuldig gesprochen. Volar war ein bekannter Sexualstraftäter. Er soll Chrystul Kizer und andere minderjährige Mädchen über mehrere Jahre hinweg missbraucht und im Internet in den Menschenhandel verwickelt haben. Zudem wurde ihm die Beteiligung an der Verbreitung von Kinderpornografie vorgeworfen.
Kizer, die 2018 zum Zeitpunkt der Tat 17 Jahre alt war, wird weniger als zehn Jahre der insgesamt 16-jährigen Strafe absitzen müssen, da der Richter ihr mehr als ein Jahr bereits abgesessene Haft anrechnete, wie die "Washington Post" berichtet. Ursprünglich drohte ihr eine lebenslange Freiheitsstrafe. Das Gericht wertete die Tat jedoch als fahrlässige Tötung zweiten Grades mit dem Einsatz einer gefährlichen Waffe, was eine maximale Strafe von 30 Jahren zur Folge gehabt hätte.
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Sie schoss ihrem Peiniger zweimal in den Kopf
Die Staatsanwaltschaft, vertreten durch Kenoshas Bezirksstaatsanwalt Michael Gravely, argumentierte, dass Kizer die Tat geplant habe, um Volars BMW zu stehlen. Die Verteidigung hingegen, geführt von Pflichtverteidigerin Jennifer Bias, erklärte, Kizer habe in Notwehr gehandelt, nachdem Volar sie zu Boden gedrückt und versucht habe, sie erneut zu vergewaltigen. Kizer schoss ihrem Peiniger zweimal in den Kopf, setzte sein Haus in Brand und floh in seinem Auto.
"Er war der einzige Freund, den ich hatte"
Kizer und Volar lernten sich im Herbst 2016 kennen, als Kizer 16 Jahre alt war und Volar 33. Der Kontakt kam über eine Website zustande, auf der minderjährige Mädchen sexuelle Dienstleistungen gegen Bezahlung anbieten, berichtete Kizer gegenüber der "Washington Post".
Sie erzählte, dass ihr damaliger Freund sie misshandelte und sie dringend Geld benötigte. Eine Freundin empfahl ihr die besagte Website. Volar war ihr erster Kunde und gewann schnell das Vertrauen des jungen Mädchens. "Er war der einzige Freund, den ich hatte", sagte Kizer später aus dem Gefängnis der "Washington Post".
Es könnte ein Präzedenzfall sein
Der Fall "Wisconsin v. Kizer" markiert das erste Mal, dass die sogenannte "affirmative defense" (etwa "aktive Verteidigung") für Menschenhandelsopfer in einem Gewaltverbrechen in Wisconsin und wahrscheinlich auch in anderen US-Bundesstaaten mit ähnlichen Gesetzen zur Anwendung kam.
Die "affirmative defense" ist eine Rechtsstrategie, bei der der Beschuldigte zugibt, die Tat begangen zu haben, aber argumentiert, dass es dafür eine rechtliche Rechtfertigung oder Entschuldigung gibt. Im Fall von Chrystul Kizer bedeutet das, dass sie zugab, ihren Peiniger getötet zu haben, dies aber als Akt der Selbstverteidigung dargestellt wurde, da sie Opfer von Menschenhandel und Missbrauch war.
Obwohl das Urteil des Obersten Gerichtshofs von Wisconsin nur für diesen Bundesstaat gilt, könnte es einen Präzedenzfall für ähnliche Gesetze in den USA schaffen.
Selbstverteidigung oder Selbstjustiz?
Philosophin Susanna Siegel sieht den Fall als Beispiel dafür, wie Selbstverteidigung fälschlicherweise als Selbstjustiz dargestellt wird, im Gegensatz zu den Fällen von George Zimmerman und Kyle Rittenhouse.
Historikerin Nikki M. Taylor und Rechtsprofessorin Lisa Avalos betrachten den Fall als Beispiel für die mangelnde Unterstützung und das fehlende Mitgefühl der Polizei und Gerichte gegenüber Opfern von Menschenhandel.
Prominente setzten sich für Kizer ein
Der Fall erregte weltweite Aufmerksamkeit und löste eine öffentliche Debatte über Rassengerechtigkeit und die Grenzen von Schutzgesetzen für Opfer von Menschenhandel aus. Das Interesse an ihrem Fall wuchs nach den George-Floyd-Protesten und dem Prozess gegen Kyle Rittenhouse erneut.
Ihre Mutter, Devore Taylor, gründete das "Chrystul Kizer Defense Committee", um Unterstützung zu organisieren und Kautionen zu sammeln. Prominente wie Alyssa Milano und Tarana Burke verbreiteten Informationen über den Fall in den sozialen Medien. Eine Petition zur Freilassung Kizers erhielt bis September 2020 fast 1,5 Millionen Unterschriften.
Die Bilder des Tages
Auf den Punkt gebracht
- Chrystul Kizer, eine Opfer von Menschenhandel, wurde zu elf Jahren Gefängnis und fünf Jahren Bewährung verurteilt, nachdem sie ihren Peiniger, der sie als Jugendliche sexuell missbraucht und ausgebeutet hatte, getötet hatte
- Obwohl sie ursprünglich mit lebenslanger Haft drohte, wurde die Tat als fahrlässige Tötung zweiten Grades eingestuft, da sie in Notwehr gehandelt habe
- Der Fall hat weltweit Aufmerksamkeit erregt und eine Debatte über Rassengerechtigkeit und den Schutz von Menschenhandelsopfern ausgelöst