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Diese Kissen könnten den IS-Chef zu Fall bringen
Der Chef des "Islamischen Staates" zeigt sich nach Jahren in einem Video. Ein Ex-Detective von Scotland Yard zu den Ermittlungen.
Herr Videcette*, was lässt sich aus dem jüngsten Video von IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi lesen?
Ich kann Ihnen versichern: Mehrere Leute der US- und britischen Geheimdienste beschäftigen sich ausschließlich mit dem Muster der Stoffpölster, die zu sehen sind. Oder mit der Matratze, auf der er sitzt. Andere werden sich nur mit seiner Kleidung beschäftigen. Sie werden die Produzenten kontaktieren und sich nach den Absatzmärkten erkundigen sowie Lieferanten und Verkäufer besuchen, um herauszufinden, wer wo und wann solche Hosen, ein solches Veston oder diese Socken gekauft haben könnte.
Kissen und Matratzen lassen sich transportieren. Sind das zuverlässige Hinweise auf einen Standort?
Nicht für sich allein genommen. Doch Baghdadi hat sich etwa den Bart gefärbt, so wie einst der Prophet Mohammed. Wo hat er das Färbemittel her? Dem wird bestimmt nachgegangen. Oder: Der IS zerstört offenbar jeden Ort, an dem sich Baghdadi aufgehalten hat, um alle Spuren zu vernichten. Nach dem jüngsten Video werden sich Analysten Satellitenaufnahmen vom fraglichen Zeitpunkt anschauen und nach Feuer und Rauchsäulen Ausschau halten.
Täuscht es oder hat Baghdadi zugenommen?
Das Video zeigt, dass er nicht in Armut lebt. Das lässt Rückschlüsse auf die Versorgungslage zu. Ich denke, einiges spricht dafür, dass er sich im Irak aufhält. Etwa die Matratze, auf der er sitzt, und der Teppich. Solche kenne ich aus bestimmten Regionen des Irak. Hinzu kommen die dazu passenden Pölster. Das auffällige Muster erleichtert es, Hersteller und Verkäufer zu finden. Es gibt nur eine ganz kleine Chance, etwas auf diesem Weg herauszufinden – doch es ist möglich. Es geht zermürbend lange, bis man solche Informationen beisammen hat. Es ist mühevoll und oft enorm frustrierend. Gleichzeitig ist es befriedigend zu wissen, dass das Alltägliche auch einen Terrorfürsten wie Baghdadi zu Fall bringen kann.
Wie weiß man, dass der Hintergrund im Video technisch nicht verändert wurde, um den Aufenthaltsort zu verschleiern?
Das ist von Auge kaum zu erkennen, aber mit der richtigen Technik relativ einfach zu überprüfen. Es ist ein riesiger Vorteil, dass es ein Video und nicht lediglich ein Foto oder eine stehende Videoaufnahme ist. Tatsächlich ist Baghdadi mit der Veröffentlichung des Videos ein großes Sicherheitsrisiko eingegangen. Er weiß, dass die Besten der Besten es analysieren werden.
Wieso geht er das Risiko ein?
Das ist reine Kriegspsychologie. Er will zeigen, dass er am Leben ist. Ein Foto könnte zu jedem Zeitpunkt aufgenommen worden sein. Er will aber, dass man auch wirklich seine Stimme hört und dass eine Worterkennungssoftware diese auch einwandfrei bestätigt. Und er nimmt Bezug auf die Anschläge von Sri Lanka, um die Aktualität zu unterstreichen. All das ist ein Risiko. Aber der Effekt, den das Video auf Baghdadis Anhänger und im Westen erzielt, scheint ihm das mehr als wert zu sein. Die Suche nach Baghdadi und der Kampf gegen den IS kosten Milliarden von Dollar - und da sitzt er nun, in einer relativ luxuriösen Umgebung, unangetastet und unbesiegt. Das ist demoralisierend, ein Tiefschlag für den Westen.
Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden gelang es, sich acht Jahre zu verstecken. Gelingt das auch dem IS-Chef?
Bin Laden versteckte sich an einem Ort, den wir genau kannten. Das ist das Verrückte daran. Er wurde von Pakistan geschützt. Insofern sehe ich einige Parallelen zu Baghdadi: Wie Bin Laden zeigt er uns, dass wir ein Stück weit machtlos sind und er genug Unterstützung durch eine Regierung oder die lokale Bevölkerung hat, dass er immer wieder verschwinden kann. Ich wäre nicht überrascht, wenn das neuste Video von Baghdadi für mehrere Jahre auch das letzte von ihm sein wird.
Wären Sie überrascht, wenn auch Baghdadi durch eine Regierung gedeckt wird?
Nein. Er hat gerade im Irak bestimmt Freunde in hohen Positionen, und viele Sunniten haben den IS im Kampf gegen die Schiiten unterstützt. Fragt sich, ob es weiterhin Unterstützung für jenen krassen Islamismus gibt, wie ihn der IS lebt.
Wer ist David Videcette*?Videcette war ein Detective der Anti-Terroreinheit von Scotland Yard und ein führender Ermittler bei den so genannten 7/7-Anschlägen in London 2005. In diesem Zusammenhang beschäftigte er sich mit Videoanalysen. So verbrachte er jeweils Wochen in einem abgedunkelten Zimmer damit, etwas über den Stoff einer Tapete herauszufinden, die im Hintergrund eines Videos zu sehen war. Oder über die Kleidung, die die Attentäter trugen.
"Im 7/7-Fall hatten wir dank alten Fotos eine Vorstellung davon, wie viel Mohammed Sidique Khan in Großbritannien wog", erzählt er 20 Minuten. "Und wir wussten von Zeugenbefragungen, dass er sich ein Virus eingefangen hatte, bevor er nach Pakistan abflog. Er konnte kaum Essen bei sich behalten. So gab uns sein Gewicht Anhaltspunkte auf die Zeitachse. Oder auch das Haar. Die Attentäter experimentierten mit Hydroperoxid, was ihre Haarfarbe ganz leicht veränderte." Bei diesem Job, sagt er, gehe es vor allem darum, von kleinsten Hinweisen auf das wahrscheinlichste Szenario zu schließen. (20 Minuten)
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(rfr)