Ukraine

AKW im Ukraine-Krieg: Droht uns zweites Tschernobyl?

Europas größtes Kernkraftwerk steht im Brennpunkt des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine – das weckt Erinnerungen an den Super-GAU 1986.

Clemens Pilz
Ein prorussischer Kämpfer vor dem Atomkraftwerk Saporischschja
Ein prorussischer Kämpfer vor dem Atomkraftwerk Saporischschja
REUTERS

Das Atomkraftwerk Saporischschja ist im Ukraine-Krieg nach der Besetzung durch russische Truppen bei vollem Betrieb mitten ins Kriegsgeschehen geraten, stand zeitweise sogar unter Beschuss. Bei vielen Österreichern weckt die augenscheinlich volatile Situation Erinnerungen an die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986, als große Teile Europas nach der Explosion eines Reaktors verstrahlt wurden.

Aber könnte sich ein Super-GAU wie damals, sei es durch Beschuss oder einen Unfall während des Betriebs, wiederholen? Im "Standard" versuchte die Leiterin der Abteilung für Strahlenschutz im Klimaministerium, Verena Ehold, nun zu beruhigen. Die Situation sei jedenfalls nicht mit der damaligen Lage zu vergleichen. Denn damals hatte Moskau den Unfall tagelang verschwiegen und seine europäischen Nachbarn im Dunkeln gelassen. Heute ist eine Delegation der internationalen Atomenergiebehörde in Saporischschja, um Klarheit zu bringen, Informationen zu sammeln und Kommunikationssicherheit herzustellen. Dies sei auch die entscheidende Lehre, die man aus Tschernobyl gezogen habe.

"Nichts mehr so wie 1986"

Für die Österreicher sei zudem im Falle eines Katastrophenschutzalarms praktisch nichts mehr so wie 1986. Die Sicherheitsmaßnahmen in den Atomkraftwerken, aber auch für Bürger in Österreich hätten sich massiv verbessert. Undenkbar sei etwa, dass eine radioaktive Wolke unbemerkt über Europa ziehen könnte: Würde in der Ukraine Radioaktivität frei, könnte man genau bestimmen, um welche Mengen es gehe, mit welcher Art von gefährlichen Teilchen man es zu tun habe, was hoch in die Atmosphäre aufsteige, was auf den Boden absinke. Meteorologen könnten heute genau sagen, wie die Luftströme über Europa ziehen, wie man in welchen Gebieten reagieren müsse, und vieles mehr.

Die sechs Reaktorblöcke des AKW Saporischschja seien zudem zwar sowjetischer Bauart, wurden mittlerweile aber mit umfangreichen Sicherheitsmechanismen ausgestattet und würden europäischen Standards entsprechen. "In Tschernobyl gab es etwa keine Schutzhülle, aber eine massive Explosion eines Reaktors", erzählt Ehold, tagelang seien "unglaubliche Mengen" an radioaktivem Material in größte Höhen gelangt und dadurch tausende Kilometer verweht worden. Das wäre heute so nicht möglich, praktisch ausgeschlossen.

Alarm lange, bevor Radioaktivität kommt

Sollte es zu einer Explosion eines Reaktors kommen, könnten die Experten in Österreich binnen einer Stunde reagieren – lange, bevor ausgetretene Radioaktivität das Bundesgebiet erreichen könnte. In jedem Fall sei wichtig, dass die Bevölkerung eines wisse: "Es gibt keine Notwendigkeit, in Österreich in Panik zu geraten", selbst bei einem GAU in Saporischschja, der eigentlich auszuschließen sei, würden zwei Tage vergehen, bis Radioaktivität im Land ankomme. Werde Alarm ausgelöst, sollte man in Ruhe nach Hause gehen. Für die Kinder seien in Schulen und Kindergärten die berühmten Jodtabletten vorbereitet, die sie dort auch verabreicht bekämen. "Das Wichtigste ist Information", sagt die Expertin, "Radio und Fernsehen einschalten, Ruhe bewahren, auf weitere Anweisungen warten."