Flüchtlingsströme
Afrika "Epizentrum des Jihad" – Terrorexperte warnt
Der IS hat sich in diesem Jahr bereits zu 50 Anschlägen weltweit bekannt und ruft in einer neuen Kampagne zu Gewalt auf der ganzen Welt auf.
Der "Islamische Staat" hat eine neue weltweite Terrorkampagne lanciert. Dabei waren der Doppelanschlag von Kerman (Iran) war der Auftakt. Der IS ist seit neustem wieder in Asien, vor allem auf den Philippinen, aktiv. Afrikanische Länder haben sich zum neuen Terrorhub entwickelt – mit Folgen für Europa. "20 Minuten" hat mit dem belgischen Terrorexperten Pieter Van Ostaeyen gesprochen.
Wie stark sind jihadistische Gruppen wie der IS zurzeit?
Der IS operiert weltweit verstreut und ist je nach Region unterschiedlich stark. Dabei hat eine Verschiebung der Operationsgebiete stattgefunden, weg von den IS-Kernländern Irak und Syrien. So haben die Terroristen eine solide Basis in "Khorasan", wie sie die Provinz nennen (die historische Region in Zentralasien umfasst Afghanistan und Teile Pakistans, Irans, Usbekistans, Tadschikistans und Turkmenistans, Anm. d. Red.). Relativ neu ist, dass der IS Anschläge zunehmend auch im südasiatischen Raum für sich reklamiert. Vor allem auf den Philippinen, wo er als fast zerstört galt, ist er wieder sehr aktiv. Weltweit hat der IS für 2024 soeben eine neue Kampagne gestartet.
Was weiß man darüber?
Letzte Woche veröffentlichte der IS auf seinen Propaganda-Kanälen eine Audiobotschaft, in der er sich nach dem Jahresauftakt zu weltweit 50 Anschlägen bekannte. Der Doppelanschlag von Kerman, Iran, war der erste, darauf folgten Bekennerschreiben aus Afghanistan, Syrien, Mosambik, aus dem Kongo und anderswo. Dabei dürfte die Audiobotschaft vor Tagen, wenn nicht vor Wochen, aufgenommen worden sein. Die Kampagne ist bereits vor langer Zeit gut vorbereitet und koordiniert worden, auch kommunikationstechnisch in den sozialen Medien.
Was heißt das für Europa?
Vieles hängt davon ab, ob der IS noch immer Leute finden kann, die durch seine Ideologie zu Anschlägen inspiriert werden. Es gibt sie ja durchaus, wie die Attacke in Arras in Frankreich und der jüngste Anschlag in Brüssel zeigen. Kommt die Gewalt in Gaza dazu, die der IS ausnutzt.
Erhöht der Krieg in Gaza die Anschlagsgefahr in Europa?
Auf jeden Fall. Der Krieg in Gaza ist einer der Hauptfaktoren, die der IS und andere jihadistische Gruppierungen nutzen, um die Wut unter der muslimischen Bevölkerung gegen den Westen weiter anzustacheln. Er ist eine formidable Rekrutierungschance.
Welche Rolle spielen jihadistische Gruppen wie der IS in diesem Krieg?
Momentan keine. Aber es ist sehr klar, dass sie den Krieg für ihre Zwecke nutzen. In der neuen Kampagne beziehen sie sich darin ausführlich auf Gaza, um Herzen und Köpfe von Leuten zu gewinnen, die diesen Konflikt als aussichtslos sehen. Demgegenüber stellen sich der IS und al-Qaida als Kämpfer im Namen der Brüder von Gaza dar.
Was sind Ihre Sorgen für 2024?
Länder wie Mali, Burkina Faso, Kamerun, Niger und Nigeria stehen unter ständigem Druck sowohl von al-Qaida als auch dem IS. Ich befürchte sehr, dass es in dieser Krise zu einem massiven Zusammenbruch der Regierungsgewalt kommen wird und Jihadistengruppen buchstäblich Teile dieser Länder übernehmen werden. In Mali können wir bereits jetzt sehen, dass der IS und al-Qaida um den Einfluss auf bestimmte Regionen kämpfen. Dies wird wahrscheinlich einen neuen Zustrom von Flüchtlingen nach Europa auslösen. Wie wir alle seit 2015 und später wissen, besteht so die Gefahr, dass sich unter diesen Flüchtlingen Elemente des IS oder der al-Qaida schleusen, die mögliche neue Angriffe vorbereiten. Die Bedrohung wird schon jetzt sehr ernst genommen. Der Terroralarm steht europaweit fast überall auf dem zweithöchsten Stand.
Wird Afrika zum neuen Terrorhub für IS und al-Qaida?
Ja. Es gilt unter den Jihadisten als das neue Epizentrum des weltweiten Jihad. Hier findet weltweit auf Wochenbasis die Mehrheit der Anschläge statt und weiten jihadistische Gruppen ihren Einfluss auf den gesamten Kontinent aus.
Ist es falsch zu sagen, dass Europa so automatisch in das Visier von Terroristen geraten wird?
Es gibt immerhin einige natürliche Barrieren wie die Sahara und das Mittelmeer, die es zu überwinden gibt. Ich habe also nicht so sehr Angst, dass wir groß angelegte Anschläge wie 2015/2016 sehen werden, dafür ist der IS operativ nicht stark genug. Dennoch besteht weiter das Risiko, dass Leute durch die aktuellen Ereignisse inspiriert werden und den Aufrufen des IS folgen, Anschläge durchzuführen.
Rechnen Sie mit einer Zunahme von sogenannten Lone-Wolf-Angriffen?
Mit dem Begriff habe ich Mühe. Denn es stellt sich immer wieder heraus, dass die sogenannten Einzeltäter sehr wohl mit Elementen des IS verbunden waren und nicht gänzlich allein handelten. Auch der Attentäter von Brüssel, den alle zunächst als einen Lone Wolf bezeichneten, war im IS tatsächlich sehr gut vernetzt. Ich wäre nicht überrascht, wenn wir mehr solche Fälle sehen: Leute mit einem IS-Netzwerk hinter sich landen in Europa und sind zu Anschlägen bereit.