Sie hätte abgetrieben - Klage
Ärztefehler! Mutter musste behindertes Kind gebären
Ein Arzt soll einen Fehler beim Organscreening gemacht haben. Dem Kind fehlt unter anderem ein Arm, die Mutter hätte abgetrieben und zog vor Gericht.
Ganz heikler Fall eines Elternpaares aus Kärnten: Die Eltern hatten im Vorfeld der Geburt wirklich alle Anstrengungen und Untersuchungen unternommen, um ein gesundes Kind zu bekommen. Jedoch kam das Mädchen im Jahre 2018 unter anderem mit nur einem Arm auf die Welt. Die Mutter hätte fix abgetrieben und nahm sich rechtsanwaltlichen Beistand.
Die Kanzlei Prutsch-Lang & Damitner aus Graz (Steiermark) vertritt seither die Kindeseltern gegen den behandelnden Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe. Im Jahr 2019 wurde Klage am Landesgericht Klagenfurt (Kärnten) eingebracht: Die Eltern wollten den Ersatz der ihnen aus der Geburt des Mädchens entstanden Schäden, insbesondere den gesamten Unterhaltsaufwand sowie die Feststellung seiner Haftung für alle künftigen Schäden. Der Arzt mit einer Privatpraxis in Kärnten wollte, wenn überhaupt, höchstens für den behinderungsbedingten Unterhaltsmehrbedarf aufkommen.
Untersuchung und Doku ungenügend
Aber: Bei dem vom Mediziner durchgeführten Organscreening dürfte er das Fehlen der linken oberen Extremität des Kindes übersehen haben, da die diagnostischen Ultraschalluntersuchungen und die Fotodokumentation ungenügend waren.
„Zu diesem Zeitpunkt wäre ein Schwangerschaftsabbruch möglich gewesen und dafür hätten sich die Eltern auch entschieden"“
"Zu diesem Zeitpunkt wäre ein Schwangerschaftsabbruch möglich gewesen und dafür hätten sich die Eltern auch entschieden", stellt die renommierte Anwältin Karin Prutsch-Lang klar. Das Kind wäre in weiterer Folge mit einer schweren Behinderung zur Welt gekommen, die der behandelnde Facharzt laut Rechtsanwältin schuldhaft nicht erkannt hätte.
Nach der Geburt stellte sich außerdem heraus, dass nicht nur die linke obere Extremität des Mädchens fehlte, sondern auch der gesamte linke Brust- und Schulterbereich unzureichend ausgebildet ist, das Schlüsselbein verkürzt ist und im Bereich des Schulterblatts ebenfalls eine Hypoplasie (Anm: genetisch bedingte Unterentwicklung eines Organs) besteht. Aus der unzureichenden Ausbildung des Arms und des Schulter- und Brustbeins resultiert eine reduzierte Beweglichkeit. Die damit verbundene Konsequenz ist eine Beeinträchtigung der Bewegung, der Motorik und der Teilhabe. Es zeigen sich weiters zahlreiche Schwierigkeiten bei der Durchführung von Alltagshandlungen, insbesondere solchen, die normalerweise beidhändig durchgeführt werden. Nach einem jahrelangem Rechtsstreit landete der Fall schließlich beim Obersten Gerichtshof (OGH).
OGH-Urteil jetzt öffentlich
Der OGH (OGH-Urteil vom 21. November 2023, Anm.) hat nun als verstärkter Senat in der Besetzung von elf statt fünf Richtern entschieden, dass die Rechtsprechung, wonach es sich bei "wrongful birth" und "wrongful conception" (siehe Infobox darunter) um zwei unterschiedlich zu beurteilende Fallgruppen handelt, aufzugeben ist. Durch die Entscheidung des verstärkten Senats ist davon auszugehen, dass diese Rechtsprechung auch die nächsten Jahrzehnte geltend wird. Beide Fallgruppen sind in Zukunft gleich zu beurteilen. Der OGH führt aus, dass im Fall eines nicht gewollten Kindes gerade nicht dessen Geburt (Existenz) für sich allein einen Schaden darstellt, wohl aber der aus seiner Geburt resultierende finanzielle Aufwand, insbesondere der Unterhaltsaufwand.
Unterlässt es der Arzt pflichtwidrig, eine schwangere Patientin über die Behinderung ihres ungeborenen Kindes aufzuklären und wird dieses Kind zur Welt gebracht, spricht man von "wrongful birth". Führt hingegen das rechtswidrige Verhalten eines Arztes zu einer ungewollten Schwangerschaft, so spricht man von "wrongful conception".
Dies muss gleichermaßen bei jedem nicht erwünschten Kind gelten, also unabhängig davon, ob es gesund oder mit einer Behinderung geboren wird. Eine Differenzierung nach den Gesichtspunkten gesundes oder behindertes Kind verbietet sich, weil dafür aus dem Gesetz keine sachliche Grundlage ableitbar ist. Gerade dann, wenn bei der unerwünschten Geburt eines behinderten Kindes der Schaden eben nicht in der Existenz des Kindes, sondern in dem den Eltern entstehenden Unterhaltsaufwand besteht, muss diese Folgerung auch für den Fall der Geburt eines gesunden Kindes gelten, der die Eltern durch empfängnisverhütende Maßnahmen entgegenwirken wollten. Entscheidend ist also, dass in beiden Konstellationen bei fehlerfreiem Vorgehen der Ärzte – und bei dem von den Eltern (der Mutter) im Fall von "wrongful birth" gewünschten Schwangerschaftsabbruch – die Geburt unterblieben wäre. Den im Entstehen der Unterhaltspflicht liegenden Schaden erleiden die Eltern also sowohl bei misslungener Vasektomie oder Eileiterunterbindung, als auch bei einem unterbliebenen Schwangerschaftsabbruch infolge mangelnder/falscher Aufklärung über ein Schwangerschaftsrisiko.
Dr. Karin Prutsch-Lang
Die Grazer Anwältin ist bekannt für schwierige Fälle, vor allem im Bereich der Medizin.
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Der OGH hat in diesem Zusammenhang folgende Rechtssätze formuliert und diese auch mit Donnerstag, 18. Jänner 2024, veröffentlicht: Sowohl bei einem medizinischen Eingriff, der die Empfängnisverhütung bezweckt (z.B. Vasektomie oder Eileiterunterbindung), als auch bei der Pränataldiagnostik sind die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) an der Verhinderung der Empfängnis bzw. – bei Vorliegen der embryopathischen Indikation – der Geburt eines (weiteren) Kindes vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst.
76.000 € für Eltern plus weitere Ansprüche
Wäre das Kind bei fachgerechtem Vorgehen bzw ordnungsgemäßer Aufklärung der Mutter (der Eltern) nicht empfangen bzw nicht geboren worden, haftet der Arzt (unabhängig von einer allfälligen Behinderung des Kindes) insbesondere für den von den Eltern für das Kind zu tragenden Unterhaltsaufwand.
Im konkreten Fall der Eltern des schwer behinderten Mädchens wurde den Eltern jetzt mal 76.000 Euro zugesprochen. Rechtsanwältin Karin Prutsch-Lang wird noch weitere Ansprüche, in der Höhe von mehreren Hunderttausend Euro, für die Eltern des behinderten Mädchens geltend machen.