Übergriffe angestiegen

90 heimische Künstler belästigt und Gewalt ausgesetzt

Immer mehr Betroffene von MeToo in der österreichischen Kulturszene wenden sich an den Verein vera. Sexuelle Übergriffe und Angriffe häufen sich.

Sandra Kartik
90 heimische Künstler belästigt und Gewalt ausgesetzt
Die Zahl der sexuellen Übergriffe und Gewaltfälle sind unter Künstlern angstiegen.
Getty Images/iStockphoto (Symbol)

Im Vorjahr brach Regisseurin Katharina Mückstein mit einem Instagram-Posting eine Lawine los: Die Filmemacherin teilte ihre schlimme, persönliche Erfahrung eines Übergriffs und machte Andeutungen zum Täter. Sie sammelte in der Folge Schilderungen anderer Betroffener von Gewalt und sexuellen Übergriffen, auch aus dem Theater. Das entstandene Sittenbild einer Branche war für viele zwar nicht neu, aber in seiner Heftigkeit sehr bedrückend. Wenig später wurde ein weiterer MeToo-Skandal aus der Musikbranche öffentlich gemacht. 

Der Bedarf einer Vertrauensstelle für Opfer von Übergriffen und Machtmissbrauch im Kunst- und Kulturbereich wurde überdeutlich. So entstand im Herbst 2022 der Verein vera*, der nun seine erste, traurige Jahresbilanz präsentiert.

Fast 100 MeToo-Fälle im Vorjahr

Insgesamt haben sich 90 Künstlerinnen und Künstler an den Verein gewendet, die zumeist im beruflichen Umfeld Übergriffe erlebt haben. "Das ist schon sehr viel", berichtet Clara Gallistl von der Geschäftsführung im "Heute"-Gespräch. "75 Prozent von ihnen waren Frauen. Die Fälle verteilen sich auf alle Kunst- und Kultursparten. Die größten Anteile hatten der Theaterbereich mit 24 Prozent und der Musikbereich mit 19 Prozent. An dritter Stelle lag Film mit 12 Prozent".

Die Schwierigkeit besteht für Kunstschaffende darin, dass der Übergang von beruflich und privat naturgemäß sehr fließend ist, sagt sie. "Betroffene gelangen in Situationen, in denen sie sich fragen müssen: Kann ich da Nein sagen? Das ist wirklich ein Problem", so Gallistl weiter. Häufig ist es eine Kombination aus unterschiedlichen Gewaltarten, denen die Künstler ausgesetzt waren, die sich beim Verein gemeldet haben. "39 Prozent der Fälle weisen strukturelle Gewalt auf, bei 36 Prozent geht es um sexualisierte Gewalt und bei 32 Prozent um psychische".

"Bestimmtes Mindset"

Der Verein vera bietet Opfern von Gewalt und sexuellen Übergriffen in Kunst und Kultur individuelle Betreuung. Innerhalb von drei Tagen nach einem Anruf findet der erste Beratungstermin statt, dabei wird Betroffenen geholfen, das Erlebte einzuordnen und weitere Schritte zu überlegen. Die Mitglieder des Vereins sind keine Anwälte, sie vermitteln aber bei Bedarf Juristen. Sie haben keine Anzeigenpflicht, stehen aber begleitend zur Seite, wenn sich die Klienten zu einer Anzeige gegen die Täter entschließen. 

"Es dürfte noch immer ein bestimmtes Mindset geben, das manche Personen in Führungspersonen gewisse Dinge normal finden", beschreibt Gallistl den Kern des Problems. Dennoch kann sie auch positives berichten: "Es sind schon einige Institutionen an uns herangetreten, die mit uns zusammenarbeiten wollen. Der Kulturwandel hat schon begonnen." 2024 will vera mehr Präventionsangebote machen und ihre Sichtbarkeit in ganz Österreich erhöhen.

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