Gesundheit

63 Fälle – Experten warnen vor Rückkehr der Diphtherie

40 Prozent der österreichischen Bevölkerung haben keinen aufrechten Diphtherie-Schutz. Die Apothekerkammer ruft nun zur Impfung auf.

Heute Redaktion
In der jüngeren Vergangenheit ist mit der Diphtherie eine "alte" und als weitestgehend zurückgedrängt geltende Erkrankung zurückgekehrt.
In der jüngeren Vergangenheit ist mit der Diphtherie eine "alte" und als weitestgehend zurückgedrängt geltende Erkrankung zurückgekehrt.
Getty Images/iStockphoto

Im Jahr 2022 wurden in Österreich 63 Diphterie-Fälle registriert, eine Person starb an den Folgen der Krankheit. Es gibt eine Impfung, die aber auch im Erwachsenenalter aufgefrischt werden muss. Doch nur die wenigsten holen sich diese.

Über 330 Fälle in ganz Europa

Laut einer wissenschaftlichen Studie an der Universität Wien unter der Leitung von Ursula Wiedermann-Schmidt sind rund 40 Prozent der Österreicher "seronegativ". Das bedeutet, dass sie keinen wirksamen Schutz durch Antikörper aufweisen. Die Apothekerkammer warnt nun vor einer gefährlichen Rückkehr der Diphterie und will Impfangebote in Apotheken ausrollen.

Die Diphtherie ist eine durch den Erreger Corynebacterium diphtheriae hervorgerufene Infektionskrankheit. Sie ist weltweit verbreitet, kommt aber in Industrieländern aufgrund der Impfprophylaxe heute selten vor.
Die klassischen Eintrittspforten sind der Atmungstrakt und die Haut. Die Hautdiphtherie kommt hauptsächlich in den tropischen Regionen vor und manifestiert sich als schlecht heilende Geschwüre, bedeckt von schmutzig grauen Membranen.
Die Diphtherie der Atemwege beginnt mit Halsschmerzen, Müdigkeit und Lymphknotenschwellung. Im Nasenrachenraum bilden sich Pseudomembranen (griech: "diphthera", Lederhaut), die sich über eine oder beiden Gaumenmandeln sowie über die restlichen Gewebe des weichen Gaumens ausdehnen und beim Abtragen stark bluten. Die Pseudomembranen können auch Kehlkopf, Luftröhre und Bronchien befallen und zu Atemnot führen, die ohne sofortige Maßnahmen lebensbedrohlich werden können.
Die Therapie muss so früh wie möglich eingeleitet werden. Sie erfolgt simultan mit Antibiotika und einem Diphtherie-Antitoxin. Bei vollständiger Grundimmunisierung und regelmäßig durchgeführten Auffrischungen ist der Krankheitsverlauf in der Regel mild. In Österreich ist der Erkrankungs- und Todesfall an Diphtherie meldepflichtig.

"Diese in Österreich und in der EU meldepflichtige Erkrankung hat wieder deutlich zugenommen. Von Beginn 2022 bis zum 10. Jänner 2023 gab es in Europa 331 Diphtheriefälle. In Deutschland wurden 116 Erkrankungen registriert, in Österreich waren es 63", sagt Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Zentrums für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der MedUni Wien.

Ärzte nur noch gering sensibilisiert

16 der in Österreich bekannt gewordenen Diphtherie-Erkrankungen entfielen auf Infektionen der Atemwege. Unter diesen Betroffenen gab es auch einen Todesfall, berichtet die APA. Weil die Erkrankung über Jahrzehnte hinweg kaum mehr auftrat, sind auch die Ärzte nur noch gering sensibilisiert bei potenziell verdächtigen Symptomen. Diphtherie kann durch eine Antitoxingabe und schnelle Antibiotikatherapie ausgeheilt werden. Dazu muss aber auch im Fall des Falles Verdacht geschöpft und entsprechend rasch gehandelt werden.

"Die Erkrankungsfälle gab vor allem unter männlichen Flüchtlingen, zum Beispiel aus Syrien, Afghanistan oder Jemen, die auf der sogenannten Balkan-Route nach Österreich kamen. Sie konnten aufgrund der Situation in ihren Heimatländern keine Diphtherieimpfung bekommen. Ihnen wird in Österreich die Immunisierung im Rahmen der medizinischen Betreuung angeboten", so Wiedermann-Schmidt.

Doch auch in Österreich weisen die Menschen einen unzureichende Impfschutz gegen die potenziell lebensgefährliche Erkrankung auf. Dies ermöglicht auch die Weiterverbreitung.

Nur wenige gehen zur Auffrischungsimpfung

 "Wir haben in Österreich die Antikörper-Titer bei mehr als 15.000 Blutproben zwischen 2011 und 2022 untersucht. Durchschnittlich rund 40 Prozent der Menschen waren seronegativ. Das gilt für alle Altersgruppen", betont die Expertin.

Das Problem liegt offenbar bei den Auffrischungsimpfungen ab dem Kindesalter. "Die Babys und Kleinkinder werden mit der Sechsfach-Impfung des kostenlosen Kinderimpfprogramms zu einem hohen Prozentsatz geschützt. 85 bis 88 Prozent der Kinder erhalten hier auch einen Schutz gegen die Diphtherie. Doch dann gibt es die Auffrischung alle zehn Jahre zumindest mit dem Diphtherie-Tetanus-Pertussis-Impfstoff (oder Vierfach-Impfstoff mit Polio; Anm.) bis zum 60. Lebensjahr, danach alle fünf bis sechs Jahre." Hier fehle es offenbar an notwendiger Beteiligung.

Apotheken wollen endlich impfen

Angesichts dramatisch steigender Diphterie-Erkrankungsfälle in Österreich erneuern Apothekerinnen und Apotheker mit Nachdruck ihr Angebot an die Politik, dem Beispiel dutzender Länder weltweit zu folgen und Menschen in den Apotheken zu impfen. 

"Es ist international erwiesen, dass durch das Impfen in der Apotheke deutlich höhere Durchimpfungsraten in der Bevölkerung erzielt werden. Dahinter stehen der wohnortnahe und niederschwellige Zugang der Apotheken, die flächendeckende Verteilung in ganz Österreich, ein über viele Jahre gewachsenes Vertrauensverhältnis zu Patientinnen und Patienten und natürlich unsere kundenfreundlichen Öffnungszeiten", erklärt Mag. pharm. Dr. Gerhard Kobinger, Präsidiumsmitglied der Österreichischen Apothekerkammer in einer Aussendung.

"Natürlich steht die Apothekerschaft nicht nur für Impfungen gegen Diphterie zur Verfügung, sondern für jede empfohlene und notwendige Auffrischungsimpfung, von FSME über Corona bis hin zur Grippe", ergänzt Kobinger. Laut seinen Angaben würden von einer Impfberechtigung der Apothekerinnen und Apotheker auch die Arztpraxen profitieren, wie internationale Beispiele deutlich zeigen. Hausärzte- und Ärztinnen werden entlastet und hätten mehr mehr Zeit für die Behandlung der Patientinnen und Patienten.

Widerstand der Ärztekammer

"Die Erfolgsformel lautet: Eigenverantwortung und niederschwelliger Zugang. Wir müssen es allen Menschen so einfach und bequem wie möglich machen, sich impfen zu lasse"“, betont Mag. pharm. Susanne Ergott-Badawi, ebenfalls Mitglied des Apothekerkammer-Präsidiums. Mehr als 2.000 Apothekerinnen und Apotheker hätten bereits die notwendige Impffortbildung auf höchstem internationalen Niveau absolviert und warteten auf den Starschuss der Politik.

Gesundheitsminister Johannes Rauch sprach sich in der APOtalk Diskussionsveranstaltung im Herbst 2022 eindeutig dafür aus, den Apotheker und Apothekerinnen das Impfen der Bevölkerung in den Apotheken gesetzlich zu erlauben. "Ich hielte es für vernünftig", erklärte der Gesundheitsminister. Allerdings gebe es derzeit keine Mehrheit dafür, es hake "am Widerstand der Ärztekammer." Auch SPÖ, FPÖ und Neos befürworten das Impfen in der Apotheke.

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