Die Vorstellung eines Flusses, der so heiß ist, dass er seine Opfer bei lebendigem Leib kocht, klingt wie aus einer Erzählung aus der griechischen Mythologie. Doch tief im Herzen des Amazonas ist sie Realität.
Der Fluss Shanay-Timpishka liegt in der peruanischen Region Mayantuyacu und kann Temperaturen von bis zu 100 Grad erreichen. Andrés Ruzo, ein Geowissenschaftler, der sich bis zum Fluss gewagt hat, maß exakt jene Temperatur. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Kaffee-Temperatur liegt bei etwa 55 Grad.
"So viel heißes Wasser kann man sich kaum vorstellen. Wenn Sie Ihre Hand hineinstecken, sehen Sie innerhalb von Sekunden Verbrennungen zweiten oder dritten Grades", erklärt Ruzo. "Ich habe eine ganze Reihe von Tieren hineinfallen sehen, von Vögeln bis zu Reptilien", erklärte Ruzo.
Die Verbrennungsgefahr ist hoch: "Komplexen Organismen wie uns geht es bei diesen hohen Temperaturen nicht gut. Wir fangen buchstäblich an, zu kochen", so der Forscher.
Der Fluss ist in Peru längst eine Legende. Der Name des Flusses, Shanay-Timpishka, bedeutet übersetzt "mit der Hitze der Sonne gekocht". Nach Ansicht Ruzos wäre eine enorme Menge Erdwärme erforderlich, um auch nur einen kleinen Fluss zum Kochen zu bringen – doch das Amazonasbecken ist weit entfernt von aktiven Vulkanen.
Ein Teil des Flusses in Mayantuyacu brodelt, weil aus einer unterirdischen Verwerfung heiße Quellen einströmen. Wenn Regen auf das Umland fällt, sammelt er sich im porösen Sedimentgestein. Während es sich durch das Gestein bewegt, wird es durch die Urhitze des Erdkerns erwärmt.
Das dahinter liegende Wasser wird durch den Rückstau gezwungen, das nun erhitzte Wasser entlang der Verwerfungslinie empor zu drücken – um als heiße Quelle an die Oberfläche zu gelangen. Die Erderwärmung verstärke dieses Phänomen.
„Der kochende Fluss öffnet uns ein Fenster in die Zukunft.“Riley FortierBotanist der Universität Miami
Forscher der Universität von Miami glauben, dass der kochende Fluss nun als natürliches Experiment dienen könnte, und bezeichneten ihn als "Fenster in die Zukunft" angesichts der globalen Erwärmung. "Es öffnet uns wirklich ein Fenster in die Zukunft", sagte US-Pflanzenkundler Riley Fortier.
"Ob es uns gefällt oder nicht, es wird heißer im Amazonasgebiet", so Fortier. "Auf diese Weise können wir verstehen, welche Auswirkungen ein Temperatur-Anstieg auf die Zusammensetzung des Waldes hat."
"Wir können sehen, welche Arten verloren gehen werden und wie die Zusammensetzung des Waldes in Zukunft aussehen könnte", erklärt Fortier. Forschungen zeigten, dass die Pflanzenvielfalt rund um den heißesten Teil des Flusses stark zurückgegangen war und nur wenige Arten der Hitze standhalten konnten.
"Insgesamt ist die Baumgemeinschaft weniger vielfältig, daher sehen wir an heißeren Standorten weniger Arten", sagte Fortier.
Zudem sei die Waldzusammensetzung an den wärmsten Standorten homogener, während in kühleren Waldstücken eine größere Pflanzenvielfalt herrschte. Die Forschungsergebnisse seien "beunruhigend". Sie zeigten, wie der gesamte Amazonas-Regenwald in Zukunft aussehen könnte. "Mit der globalen Erwärmung wird sich alles ändern", so Fortier.