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"Ich lasse mich nicht auf den Humor reduzieren"

Heute Redaktion
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"Zuerst wollte ich gar nicht mitmachen", verrät Erwin Wurm beim ersten Blick auf die außergewöhnliche Gegenüberstellung zwischen ihm und Carl Spitzweg im Leopold Museum.

"Zuerst wollte ich gar nicht mitmachen", verrät Erwin Wurm beim ersten Blick auf die außergewöhnliche Gegenüberstellung zwischen ihm und Carl Spitzweg im Leopold Museum.

"Der vermeintliche Biedermeier beim Spitzweg war mir zu wenig, das interessierte mich nicht. Aber dann hab ich gemerkt, wie subversiv er war, damals, als Kritik total verpönt war. Meine Arbeit hat ja auch viel Gesellschaftskritisches, das war mein Andockungspunkt."

Gott sein Dank, denn nun prallen Brüche und Konflikte der jeweiligen Zeit fast schon einträchtig aufeinander. Riesige Essiggurkerln, arme Poeten, Sonntagsjäger, Fliegenfänger und, herrlich, Kaktusliebhaber ("Das hat etwas obsessiv Sexuelles, wie sich die Pflanze dem Betrachter zuwendet. Dann blüht sie auch noch, das ist ja fast wie ein Samenerguss!") und Spitzwegs "Bücherwurm" – orakelte der deutsche Maler da bereits das gemeinschaftliche Treiben? "Den bekomm ich jetzt geschenkt und nehm' ihn nach Hause (lacht). Ich hab früher auch viel gelesen, aber jetzt hab ich einfach zu viel zu tun!" 

Carl Spitzweg – Erwin Wurm

Ausstellung "Köstlich! Köstlich?"

Leopold Museum

25.3.2017 - 19.06.2017

Mehr Infos gibt's 

Erwin Wurm mit Maria Dorner im Exklusiv-Talk

"Heute":

Der Pressetext attestiert Ihnen und Carl Spitzweg die "kritische Reflexion der Zeit mit Mitteln des Humors". Heißt das, Sie haben den Mut zu kompromisslosem Humor?

Erwin Wurm:

Nein, den hab ich nicht, das lehne ich auch ab. Ich bin am Paradoxen interessiert. Am Blick auf einen Gegenstand, eine Person oder eine Handlung aus einer unüblichen Situation bzw. einer anderen Perspektive. Ein Teil des Paradoxen ist natürlich der Humor, und das löst das Lachen aus. Ich lasse mich aber nicht auf den Humor festlegen.

„Heute“:

Ist die Sache mit dem Humor aber nicht ein zweischneidiges Schwert, vor allem in Bezug auf die „One Minute Sculptures“? Viele wissen, dass der Wurm Spaß macht. Die kommen dann und sind sofort bei der Sache. Finden alles, was Sie hier bereitstellen, per se lustig und handeln in vorauseilendem Gehorsam ihrer Kunst. Völlig unreflektiert.

Wurm:

Ja, das ist schon möglich, aber hier in dieser Schau gibt’s ja ohnehin nur eine Skulptur zum Mitmachen, diese performative Sache. In das Haus kann man natürlich reingehen, aber das ist auch nicht lustig gemeint. Es ist wieder diese paradoxe Situation, mein Elternhaus aus den 60- und 70er-Jahren. Das thematisiert diese Nicht-Architektur, ein aus Baumarkt-Teilen zusammengesetztes Haus, das nie einen Architekten gesehen zu hat. Diese Architektur hat alles überwuchert, wie ein Krebsgeschwür. Eines, das sich immer weiter ausdehnt.

„Heute“:

Die Satzzeichensetzung im Titel der Schau ist interessant. Warum „Köstlich! Köstlich?“ – und nicht umgekehrt?

Wurm:

Da hab ich nicht mitgeredet. Aber das ist wohl so eine Sachen, wie die Tatsache, dass ich eigentlich gar nicht mitmachen wollte. Als Direktor Wipplinger mich gefragt hat, ob ich dabei bin, hab ich zuerst abgelehnt. Das interessiert mich nicht, weil mir dieser vermeintliche Biedermeier beim Spitzweg zu wenig ist. Dann hat er gemeint, schau noch einmal genau. Das hab ich getan und bin draufgekommen: Spitzweg war ein sehr verhaltener, aber sehr subversiver Künstler. Und das zu einer Zeit, wo Kritik verpönt war. Meine Arbeit hat auch viel Gesellschaftskritisches, insofern fand ich einen Andockungspunkt. Das sieht man vor allem bei dem „Kaktusliebhaber“. Da ist dieser geile Kaktus, der etwas obsessiv sexuelles hat, der wendet sich dem Betrachter zu. Und dann erblüht er auch noch. Das ist ja fast wie ein Samenerguss. Diese versteckte Kritik hat mich sehr interessiert.

„Heute“:

Sie kommen gerade aus Venedig, wo Sie heuer mit Brigitte Kowanz den Österreich-Pavillon der Biennale bespielen. Wie schaut’s aus?

Wurm:

Noch nichts ist fertig, ist wirklich sehr mühsam mit den Italienern. Man bestellt einen gescheiten Boden, dann kommt ein schlechter Boden. Sie sind wirklich mühsame Handwerker.

„Heute“:

Spitzwegs „Bücherwurm“, ein Gruß in die Zukunft? Orakelt der deutsche Maler da etwa schon ihr gemeinschaftliches Treiben?

Wurm:

Ja, den bekomm ich jetzt geschenkt und nehme ihn gleich mit nach Hause (lacht). Ich bin eigentlich wirklich ein Bücherwurm, hab viel gelesen, aber im Lauf der Jahre ist mir die Zeit abhanden gekommen. Mein Kopf ist so voll, ich hab einfach zu viel zu tun.