Szene

"Gauguin": Schön scheitern, schiach sterben

Vincent Cassel als Paul Gauguin in der Südsee. Was fehlt, ist die dunkle Seite des Künstler-Genies.

Heute Redaktion
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Paul Gauguin (1848-1903) ist einer der ganz großen französischen Künstlerhelden und bereitete den Weg für den Expressionismus. Sein Südsee-Gemälde "Nafea Faaipoipo (When are You Getting Married?)" aus dem Jahr 1892 soll um mehr als 206 Millionen Euro an einem katarischen Scheich verkauft worden sein. Damit ist es das teuerste Bild der Welt.

Gauguins Leben macht ihn zur perfekten Projektionsfläche für Träume und Drama. Nach einem Streit mit ihm schnitt sich Van Gogh sein Ohr ab und als Gauguin Frankreich zu eng wurde schmiss er alles hin und ging in die Südsee, um dort den Traum aller Aussteiger zu leben.

Gauguin entflieht der Enge - Frau und Kinder bleiben zuhaus

Die Wahrheit hat mit dem Mythos freilich wenig zu tun. Gauguin soll ein schwieriger Mensch gewesen sein und verbaute sich so viele Chancen in der Heimat. Auch deshalb hatte er immer wieder riesige Geldprobleme. Als er seine Sachen packte, um ins Paradies auszuwandern, ließ er seine Frau und fünf Kinder allein zuhause sitzen.

13-jährige "Ehefrauen" und Syphilis für die Einheimischen

Auf Tahiti - das übrigens weit nicht so toll war, wie der Künstler es sich erträumt hatte, nahm er sich eine 13-Jährige zur Ersatzfrau. Heute würde Gauguin als Pädophiler gebrandmarkt werden. Auch im "Paradies" legte er sich mit Kirche und Behörden an. Er starb schließlich 54-jährig bei seinem zweiten Südseeaufenthalt in Polynesien, war bitterarm, litt an der Syphilis und hatte erneut eine extrem junge Geliebte, die dritte. Außer seinen drei Kind-Frauen soll er viele weitere ortsansäßige Mädchen mit Syphilis angesteckt haben. Seine Hütte nannte Gauguin "La Maison du Jouir" (Haus der Orgasmen).

Genie Gauguin ohne seine dunkelsten Seiten

Genau diese Details werden gerne unter den Teppich gekehrt. Im Oktober läuft eine große Gauguin-Ausstellung im Grand Palais in Paris (Gauguin L'Alchimiste 11.10.2017-22.1.2018) . Mit keinem Wort wird auf die Kontroversen eingegangen. Und auch Edouard Delucs Film "Gauguin" mit Vincent Cassel ignoriert das Thema. Eine schwere Unterlassung bei einem Film, der ein Biopic sein will. Kurzerhand wurde Gauguins 13-jährige Geliebte Tehura mit der inzwischen 19-jährigen, während der Dreharbeiten aber laut Medienberichten noch 17-jährigen Tuheï Adams besetzt, Kritik am großen Künstler wird keine laut. Wenn Gauguin leidet, wird Diabetes dafür verantwortlich gemacht.

Grenze zwischen Visionär und Versager ist fließend

Wer die Fakten kennt, kann den Film nicht unvoreingenommen sehen. Schade, denn er ist schön gemacht. Vincent Cassel (50) überzeugt als verkanntes, zerrissenes, selbstzerstörerisches Genie, das auch im fremden Land scheitert. Er war seiner Zeit voraus, doch die Grenzen zwischen Vorreiter und Versager sind fließend. Die Muse Tehura geht fremd, doch anstatt zu kämpfen, versucht Gauguin erfolglos, sie einzusperren. Das Südsee-Paradies ist nicht, was er sich erträumt hat. Auch hier haben die Zivilisation und der christliche Glaube bereits die von ihm erträumte Ursprünglichkeit bezwungen. Gleichzeitig wird klar, Fischen, Jagen und Überleben wäre Gauguin allein sowieso nicht gelungen. Denn Genie ist nur ein anderer Begriff für ein von seiner Kreativität getriebenes, unzufriedenes, egoistisches Wesen. Einzig die Kunst bleibt, doch dem Mann dahinter bringt sie zu seinen Lebzeiten kein Glück.

Nick-Cave-Vertrauter Warren Ellis hebt Film auf neue Stufe

Neben bildgewaltigen Aufnahmen von Tahiti sorgt Warren Ellis (Bad Seeds, Grinderman) mit seiner Filmmusik für die perfekt-depressive Stimmung. Banjo, Streicher und hin und wieder ein Piano sowie repetitive Gesänge werden mantraartig eingesetzt. Als Zuschauer schwankt man beim 104-minütigen Streifen zwischen emotionalem Durchhänger, Mitleid mit dem zerrissenen Genie, Faszination und hin und wieder ein klein wenig Langeweile.

(lam)

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