Digital

Woher kommt eigentlich der ganze Hass im Netz?

Deplatzierte Online-Kommentare nehmen zu, auch auf heute.at. Unlängst wurde sogar ein Baby zur Zielscheibe. Woher kommt dieser Hass im Netz?

Heute Redaktion
Teilen
Zielscheibe des Hasses: Naime und Alper Tamgac mit ihrer Tochter Asel, dem Wiener Neujahrs-Baby 2018.
Zielscheibe des Hasses: Naime und Alper Tamgac mit ihrer Tochter Asel, dem Wiener Neujahrs-Baby 2018.
Bild: KAV / Martin Votava

Kürzlich haben wir über das Wiener Neujahrsbaby Asel berichtet, das am Neujahrstag um 0.47 Uhr das Licht der Welt erblickte. Während sich viele Leser mit der jungen Familie über ihr Glück freuten und gratulierten, herrschte bei anderen Nutzern vor allem auf Facebook absolut blanker Hass. Beschimpfungen, Beleidigungen, Rassismus und sogar Todeswünsche fanden sich in den Kommentaren.

Um die Frage zu klären, warum es sowohl bei Medien als auch im Netz allgemein vermehrt deplatzierte Kommentare gibt, haben die Kollegen von "20 Minuten" mit Manuel P. Nappo, Leiter der Fachstelle Social Media Management an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich, gesprochen.

Manuel, unsere Freischalter berichten von einem klar spürbaren Anstieg rassistischer, sexistischer, ehrverletzender und anderer beleidigender Kommentare. Kannst du uns erklären, woran das liegt?

Ich glaube, dass das ein Zeitgeist-Phänomen ist. Der Umgang miteinander hat sich in den letzten Jahren extrem verändert, der Ton ist rauer geworden. Die Kommentarspalten und das Internet allgemein sind nur ein Abbild unserer Gesellschaft.

Wie meinst du das?

Man verspürt allgemein sehr viel Negativität, Frustration, Angst. Wir leben in unsicheren Zeiten: Brexit, die Flüchtlingskrise, Korea, Trump. Die westliche Welt steckt offensichtlich in einer Sinnkrise.

Die Beratungsstelle #GegenHassimNetz hilft bei herabwürdigenden Inhalten im Internet. Juristisch und psychosozial geschulte Mitarbeiter behandeln die Fälle. Das Service ist kostenlos.

Telefon: (+43) 01- 236 55 34
E-Mail: [email protected]
Web/Chat/Meldeformular: beratungsstelle.counteract.or.at
Facebook Messenger: facebook.com/zara.or.at/
Twitter: @CounterACT_Hass

Die Beratungsstelle #GegenHassimNetz ist erreichbar von:
Montag-Mittwoch: 9-16:30 Uhr
Donnerstag: 10-18:30 Uhr
Freitag: 9-15 Uhr

Und deshalb lässt man seinen Frust in Online-Kommentaren raus?

Wenn man früher an eine kritische politische Demo ging, hat man sich noch vermummt. Heute outet man sich ganz öffentlich auf Facebook und ruft Parolen auf der Straße, die sich seit 1945 keiner mehr getraut hat, laut auszusprechen.

Zudem scheint es irgendwie schick, unzufrieden zu sein. Ich meine, wir leben im besten Land der Welt, und trotzdem sind wir mit allem unzufrieden: den Spießbürgern, den Ausländern, den Linken, den Rechten, den ausländischen Medien, der Radio- und Fernsehgesellschaft … Das Internet ist weder schlecht noch gut, es ist nur eine Plattform.

Dazu kommt: Wenn selbst der Präsident des mächtigsten Landes der Welt im Netz regelmäßig austeilen kann und damit davonkommt, ist das ja auch eine Ansage. So bekommt das Ganze noch eine absurde Legitimität aus den obersten Reihen. Nach dem Motto: "Wenn der Frauen beleidigen oder rassistische Kommentare aussprechen darf, dann darf ich das ja wohl auch."

Können wir dem Ganzen irgendwie entgegenwirken?

Ja. Eine Bekannte von mir hat angefangen, andere Social-Media-User, die unter der Gürtellinie angegriffen wurden, in den Kommentaren zu verteidigen. Sie wurde dadurch selbst dumm angemacht, dabei hat sie nur "das Richtige" getan und sich für die Schwächeren eingesetzt. Das ist der Weg.

Das Problem sind die vielen stillen Beobachter, die sich lieber nicht einmischen, um keinen Shitstorm zu kassieren. Was absolut menschlich und verständlich ist. Vor allem, weil die Trolls ja immer Zeit zu haben scheinen, im Gegensatz zu uns, die nicht 24/7 im Netz hängen können. Aber damit tun wir unserer Gesellschaft keinen Gefallen.

Wir müssen auch im Online-Diskurs mehr Zivilcourage zeigen, denn wie schon Einstein sagte: "Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen." (lia/rfi)