"Mein Leben verdanke ich zwei Krankenschwestern"
Nach Verhaftung seiner jüdischen, kommunistischen Mutter wurde Robert Schindel von jüdischen Krankenschwestern versteckt. Nach dem Krieg fand ihn die Mutter, die zwei KZ überlebte, wieder. Sein Vater wurde hingerichtet. Ein Gespräch mit Maria Jelenko-Benedikt.
Schindel erzählt, wie seine Mutter Gerti im August 1944 in Linz verhaftet wurde. Sie hatte einer kommunistischen Widerstandsgruppe angehört, deren Mitglieder dort über Flugblätter und andere Kanäle versuchten, Soldaten zur Desertation zu überreden.
Als sie eines Tages mit ihrem Sohn Robert im Kinderwagen spazieren ging, hatte sich ein Rad vom Kinderwagen gelöst und war einem anderen Widerstandskämpfer vor die Füße gerollt, der es ihr zurückgegeben hatte. Als er selbst verhaftet wurde, verriet er unter Folter Schindels Eltern.
Dieser Verrat kostete seinen Vater das Leben: Er kam erst ins KZ Auschwitz und wurde vor Kriegsende wegen Hochverrats in Dachau hingerichtet.
Als die Mutter im November 1944 ebenfalls nach Auschwitz transportiert wurde, wurde ihr wenige Monate alter Sohn Robert im Auftrag der NSDAP von einer jüdischen Fürsorgerin in einem jüdischen Spital in der Wiener Tempelgasse abgegeben. Dort wurde Robert als Baby von jüdischen Krankenschwestern versorgt, die darauf achteten, dass es dem Buben gut ging und er nicht verhungerte. Dann übergaben sie das Kind einer Pflegefamilie in Meidling.
Zwei Monate nach ihrer Verhaftung und kurz vor der Befreiung des Lagers am 27. Jänner 1945, wurde die Mutter vom KZ Auschwitz ins KZ Ravensbrück überstellt. Dort sollte ihr wegen Hochverrats der Prozess gemacht werden. Damals bedeutete das den sicheren Tod.
Gerti gelingt es aber, sich gemeinsam mit zwei anderen Kommunistinnen drei Wochen im Lager zu verstecken. „Das ist eine legendäre Geschichte in Ravensburg. Die drei Wienerinnen konnten nicht gefunden werden, weil sie sich im Lager versteckt hatten. Sie sind dann mit einem Rot Kreuz-Transport im Frühling 1945 mit von einer Ärztin heraus gebrannten Auschwitz-Nummern aus dem Lager geschmuggelt und dann irgendwo an der dänischen Grenze befreit worden."
Wie es seiner Mutter gelungen ist, sich zu verstecken, will ich wissen. „Meine Mutter sprach immer von der ‚Solidarität der Kommunisten' im Lager Ravensbrück. Es gab dort einige Kommunisten, sie hat sich an verschiedensten Orten versteckt. Auch vor Hunden hat sie sich versteckt, unter anderem in der Typhusbaracke, wohin die SS nicht gerne hingegangen ist. Sie hat so überlebt und die zwei anderen auch", erzählt Schindel.
Als die Mutter im Sommer 1945 über Schweden nach Wien zurückkommt, meldet sie sich bei der neu gegründeten Kommunistischen Partei, sucht nach ihrem Kind. Und tatsächlich: Ein Freund erzählt ihr, dass ihr Sohn Robert am Leben und bei einer Pflegefamilie untergekommen ist. „Sie hat mir später erzählt, weniger wie sehr sie sich gefreut hat, dass ihr Sohn noch lebt, an den sie im Lager sehr oft gedacht hat, sondern wie sehr es die Familie Schubert geschmerzt hat, dass sie das Kind wieder hergeben müssen. Aber meine Mutter konnte ihr eigenes Kind nicht dort lassen. Dann hat sie mich mit sich fort genommen."
Ob Robert Schindel nach dem Krieg Antisemitismus gespürt hat? „Beim Fußballspielen auf der Wiese kam es vor, dass die Kinder manchmal Judenbub zu mir gesagt haben. Sie müssen es von ihrer Eltern gewusst haben. Da habe ich meiner Mutter gesagt: Man nennt mich „Judenbub". Was soll das sein? Meine Mutter sagte: ‚Die irren sich, weil das Judentum ist eine Religion und wir sind ohne religiöse Bekenntnis.' Sie hat, wie viele andere Kommunisten auch, das Judentum nicht für ein Volk, sondern für eine Religionsgemeinschaft gehalten. In dem Augenblick, wo man ohne Bekenntnis war, war man auch kein Jude mehr. Meine Mutter hat sich quasi als Hitler-Jüdin gefühlt. Hitler hat sie erst wieder zur Jüdin gemacht. Das war typisch für diese Generation von kommunistischen Juden."
Was Schindel jungen Menschen auf ihrem Lebensweg mitgeben würde? „Es muss jeder seine Erfahrungen machen. Wenn sie von selber nicht draufkommen, dass die Rechte wieder stärker wird in Österreich und Europa, dass man um Demokratie immer wieder kämpfen muss, wenn sie nicht von alleine im Laufe ihres Lebens draufkommen, ja, dann nutzt es ihnen nichts, wenn ein alter Mann ihnen Botschaften sozusagen vor die Füße wirft. Bin ja außerdem Schriftsteller. Wenn es Botschaften dieser Art gibt, dann sind sie in meinen Gedichten, meinen Erzählungen und meinen Romanen drinnen."
Das Interview ist Teil einer Zeitzeugen-Serie. Alle Zeitzeugen-Gespräche finden Sie auf www.heute.at/zeitzeugen
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