"Von Anfang war mir klar: Ich werde desertieren"
Aus politischer Überzeugung desertierte Richard Wadani aus der deutschen Wehrmacht und kämpfte für die tschechische Exil-Armee in Großbritannien. Zurück in Wien setzte er sich Jahrzehnte lang für die Opfer der NS-Militärjustiz ein. Mit Erfolg. Ein Gespräch mit Maria Jelenko-Benedikt.
Richard Wadani (geb. als Richard Wedenig) ist in Prag aufgewachsen. Als die Situation ab 1938 der deutschen Minderheit gegenüber – der Kärntner Familie wurde die Arbeitserlaubnis entzogen – unerträglich wurde, übersiedelte die Mutter mit Richard und seinem Bruder in ihre Heimat Wien. Um dem Arbeitsdienst zu entgehen, meldete sich Wadani 1939 freiwillig zur Luftwaffe als Kraftfahrer– mit dem Vorsatz, von dort abzuhauen.
Einer hing am Balkon, der andere am Baum
Seine Mutter gab ihm ein weißes Tuch mit, sollte er zum Gegner überlaufen: "Da hat sie gesagt: 'Für die wirst du ja nicht kämpfen, da wirst du wahrscheinlich das Tuch dann brauchen.'" Sie sollte recht behalten.
Wadani war nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion 1941 an die Ostfront versetzt worden: "Ich war im Hinterland und habe permanent Verbrechen gesehen – das war fürchterlich. Wenn man da durch die Ortschaft fährt und da hängt einer am Balkon, und der andere hängt am Baum..." Irgendwann kam der Moment, als er sich dachte: "Jetzt ist Schluss".
Wadani wurde 1944 vor das Kriegsgericht gestellt
Der erste Fluchtversuch misslang. Wadani aber hatte Glück, sein Vorgesetzter, ein aufrechter Österreicher, deckte ihn, er kam in die Ukraine. Trotz des Risikos entdeckt und hingerichtet zu werden, versorgte er als Kfz-Fahrer mit einem Kameraden die hungernde Landbevölkerung mit Lebensmitteln aus dem Wehrmachtsbestand. Bis er 1944 dabei erwischt wurde -"ich bin zu übermütig geworden" – und vors Kriegsgericht in Lemberg kam. Wieder hatte er Glück: Aus "Mangel an Beweisen" wurde Wadani nicht verurteilt.
An der Westfront brauchte Wadani das weiße Tuch
"Als wir nach der Invasion an die Westfront kamen und ich zwei Tage an der Front war, das war dann meine Chance", erinnert sich Wadani. Gemeinsam mit einem Kollegen wollte er desertieren. "Als er zum Treffpunkt kam, sagte der zu mir: 'Richard, es tut mir leid, ich gehe doch nicht mit dir."
Und so desertiert Wadani ganz alleine. "Hatten Sie Angst?" "Als ich den Schützengraben verließ, nicht." Unbewaffnet kroch Wadani rund 150 Meter durch einWaldstück in die Richtung, wo Amerikaner saßen. "In so einem Jungwald, da gibt es so viele Geräusche. Aber ich bin dann durch, das hat lange gedauert. Da habe ich mein weißes Tuch rausgenommen, einen Ast abgebrochen und das Tuch festgebunden. Danach bin ich raus aus dem Jungwald, aufgestanden, und hab' geschrien: 'Don't shoot, don't shoot!' ("Nicht schießen!"). Es hat sich nichts gerührt. Ich dachte mir, 'Wo sind die Alliierten?' Da sah ich: Alle Amerikaner haben geschlafen. Ich bin ein, zwei Schritte zurückgegangen und habe geschrien: 'Hey Boys, hey Boys!' Da sind sie dann aufgewacht." Wadani bot den Alliierten an, gegen die Deutschen zu kämpfen und wurde in die tschechoslowakische Auslandsarmee aufgenommen. So erlebte er das Kriegsende als tschechischer Soldat in Großbritannien.
"Die Nazis hatten jetzt andere Parteibücher"
Zurück in Wien dann die bittere Enttäuschung: Anstatt als Held gefeiert zu werden, sah man ihn als Verräter an. "Immer noch waren die Wiener Gegner der Alliierten. Die Nazis hatten jetzt andere Parteibücher", erinnert sich Wadani heute zurück. Doch er ließ sich nicht in die Opferrolle drängen, sondern kämpfte gemeinsam mit dem 2002 gegründeten Personenkomitee "Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz" erfolgreich für die Rehabilitierung der Deserteure und Kriegsdienstverweigerer. 2009 wurde im Parlament gegen die Stimmen der FPÖ das Aufhebungs- und Rehabilitationsgesetz beschlossen. 2014 wurde das von ihm geforderte Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz am Wiener Ballhausplatz enthüllt.
Das Interview ist Teil einer Zeitzeugen-Serie. Alle Zeitzeugen-Gespräche finden Sie auf www.heute.at/zeitzeugen
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