Mobbing und Attacken
"Wurde 2x verprügelt" – jetzt spricht nicht-binärer Neo
Neo (22) wurde als nicht-binäre Person gemobbt, beschimpft und körperlich angegriffen. Im "Heute"-Interview berichtet er von seinen Erfahrungen.
15 Prozent aller LGBTIQ+ Personen in Österreich wurden laut einer Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) in den vergangenen fünf Jahren Opfer von Gewalt, sechs Prozent sogar im vergangenen Jahr. Auch Neo (22) gehört dazu: Selbst auf dem Weg zum Interview in die "Heute"-Redaktion wurde die gebürtige Tiroler Person in der Straßenbahn beschimpft.
Wie der Schweizer Eurovision Songcontest-Gewinner Nemo, der mit seinem Siegerlied "The Code" ein starkes Zeichen für mehr Toleranz und Akzeptanz setzte, identifiziert sich auch Neo als nicht-binär – das heißt, Neo sieht sich weder als Mann noch als Frau.
„Gewalt verfolgt mich schon mein ganzes Leben lang“
"Mein Körpergefühl ist fluide, es verändert sich je nach Tagesgefühl. Je nach Gefühl zeigt sich dies dann in meiner Ausdrucksweise. Wenn ich mich bei Bewerbungsgesprächen maskuliner präsentiere, dann bekomme ich mehr Respekt", erklärt der 22-Jährige.
Die Person aus Wien hat trotz des jungen Alters schon die gesamte Bandbreite an negativen Erfahrungen erlebt: Ausgrenzung, Mobbing und Beleidigungen, aber auch physische Attacken: "Gewalt verfolgt mich schon mein ganzes Leben lang", erzählt Neo. Im vergangenen Jahr wurde Neo innerhalb von kurzer Zeit gleich zweimal grundlos verprügelt: "Es war am späten Nachmittag auf der Straße. Mehrere Burschen sind an mir vorbeigegangen, plötzlich haben sie mich zu Boden geschlagen."
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„Ich möchte nicht, dass jemand den Mut verliert, nur, weil die Person das Gefühl hat, nicht in unsere Gesellschaft zu passen“
Noch unter Schock rappelte sich Neo wieder auf und ging weiter: "Was mich am meisten verletzt hat, war, dass es keine Hilfe, keine Solidarität gab. Alle Leute haben weggeschaut. Ich habe zwar Verständnis dafür, dass die Leute Angst haben, aber Akzeptanz und Inklusion fängt im Herzen an und zeigt sich in kleinen, täglichen Handlungen."
Rund 1,5 Monate später dann die nächste Attacke: "Nach einem Kochabend mit Freunden habe ich auf das Taxi gewartet. Es hat wirklich nur ein paar Minuten gedauert. Plötzlich haben mich zwei Jugendliche geschlagen und einen Abhang hinuntergestoßen. Ich bin da unten gelegen und habe mir gedacht: 'So, das war's jetzt. Ich kann nicht mehr.' Aber letztendlich heißt es: Krönchen richten und weitergehen. Ich möchte nicht, dass jemand den Mut verliert, nur weil die Person das Gefühl hat, nicht in unsere Gesellschaft zu passen."
Angst- und Panik-Attacken als Folge der Angriffe
Nach den physischen Angriffen zog sich Neo sehr zurück: "Ich hatte Angst- und Panik-Attacken, meine eigenen vier Wände gaben mir eine vermeintliche Sicherheit. Jeder Mensch war plötzlich eine potenzielle Gefahr für mich. Ich kann diese Angriffe ja nicht kontrollieren, das liegt außerhalb meines Wirkungsbereiches. Allerdings waren die Mauern letztendlich der Käfig für meine Ängste. Solche Angriffe zielen ja auf den Selbstwert ab, und ich habe meinen Selbstwert dahin schwinden sehen. Aber ich habe erkannt, dass allein ich ihn definiere."
Zum Glück hatte Neo durch Freunde und Familie ein gutes Auffangnetz, "aber es ist mir sehr schwergefallen, Hilfe anzunehmen." Die 22-jährige Person startete eine Psychotherapie und versucht, – wenn es geht – sich den Ängsten zu stellen. "Der Stresspegel ist immer da. Aber ich habe gelernt, mich von den Gedanken zu distanzieren und mich zu fragen: 'Ist diese Angst real?' Manche Themen gehen auch weit zurück, bis in die Kindheit."
„Irgendwann kommst du an den Punkt, wo du dich entweder anpasst oder sagst: 'Fuck it all!'“
Ausgrenzung und Mobbing erlebte Neo schon im Kindergarten: "Die Eltern der anderen Kinder haben gesagt: 'Mit dem dürft's ihr nicht spielen, die Person ist schwul.'" Später, in der Schule, erfuhr Neo verbale und körperliche Gewalt: "Sie haben damals sogar eine eigene Facebook-Gruppe gegründet, Fotos von mir reingestellt und mich geoutet. Von klein auf habe ich immer Gegenwind bekommen. Irgendwann kommst du an den Punkt, wo du dich entweder anpasst oder sagst: 'Fuck it all!'"
Auch am Arbeitsplatz hat Neo schon Diskriminierung erlebt. Die 22-jährige Person erschien geschminkt und im femininen Look bei einer Weihnachtsfeier in der Klinik: "Jemand hat gesagt: 'Wenn du vergewaltigt werden würdest, würde es dir gefallen.' Daraufhin haben alle gelacht. Als ich dann später gekündigt habe, habe ich den Vorfall angesprochen. Er wurde mit 'Das war ja nur ein Spaß' gerechtfertigt. So etwas wird viel zu selten gemeldet, das höre ich oft. Aber, wenn es keine Konsequenzen gibt, dann wird sich auch nichts ändern."
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Weiblichkeit als größte Stärke
Neo hat sein Selbstbewusstsein zum Glück (wieder) gefunden und bis zu einem gewissen Grad gelernt, mit diesen Situationen umzugehen: "Früher waren mir solche Vorfälle peinlich. Ich hatte immer dieses unterschwellige Gefühl, dass es nicht richtig ist, mich in meiner Feminität wohlzufühlen. Ich musste mich in Selbstliebe und Akzeptanz gegenüber den verschiedenen Facetten meines Selbst üben. Und für jede Beleidigung auf der Straße tue ich mir etwas Gutes."
Vor allem, wenn sich Neo feminin präsentiert, wird die Person zum Ziel von Attacken: "Man wird sexualisiert, ist dann nur mehr Objekt und nicht mehr Mensch. Aber die Feminität, die Weiblichkeit, ist für mich keine Schwäche, sondern die größte Stärke, die einen höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft haben müsste."
„Jeder Mensch repräsentiert eine eigene Facette des Lebens, dieses Potenzial müssen wir mehr wertschätzen“
Die 22-jährige Person wünscht sich mehr Solidarität und Sichtbarkeit für LGBTIQ+ Personen – nicht nur im Pride Month Juni: "Man muss bei der jungen Generation anfangen – etwa in der Schule. Es fehlt so viel an Wissen, zum Beispiel über die verschiedenen Geschlechtsidentitäten. Menschen, die aus dem binären System herausbrechen, benötigen mehr Sichtbarkeit und Normalität. Es ist an der Zeit, die Mauern der Ignoranz niederzureißen und Brücken zu bauen, die unsere Herzen miteinander verbindet, anstatt sie zu trennen. Jeder Mensch repräsentiert eine eigene Facette des Lebens, dieses Potenzial müssen wir mehr wertschätzen."
Laut Neo sind es meist Männer, die die Attacken ausüben: "Wir alle sind fühlende Wesen, Emotionen gehören zu uns dazu. Wir müssen Gefühle und Ängste zeigen (können), sonst führt es dazu, dass unterdrückte Emotionen sich zu Aktionen der Gewalt wandeln. Indem ich mich meinen Ängsten stelle, breche ich aus meiner Isolation aus und setze ein Zeichen für Selbstachtung und Selbstbestimmung. Ich halte mich da an Whitney Houston: 'It's not right, but it's okay. I'm gonna make it anyway.' Am Ende gewinne ich, weil ich authentisch bin. Es ist 1.000 Mal mehr wert, ich selbst zu sein, als etwas vorzuspielen und todunglücklich zu sein."