Tochter spricht in "Heute"

Wiener hatte Herzinfarkt – aber Rettung kam nicht

Gerhard V. erlitt einen Herzinfarkt, hatte aber keine klassischen Brustschmerzen. Die Rettung sah keinen akuten Notfall, leitete an 1450 weiter.

Christine Ziechert
Wiener hatte Herzinfarkt – aber Rettung kam nicht
Michaela H.'s Vater hatte einen Herzinfarkt, aber die Rettung stufte ihn nicht als akuten Notfall ein.
Sabine Hertel/zVg

Michaela H. (56) war am Abend des 24. Juli bei ihren Eltern in Meidling zu Besuch, als es ihrem Vater Gerhard V. (84) gegen 22.30 Uhr plötzlich schlecht ging: "Ihm war übel, und er musste öfters erbrechen. Anfangs dachten meine Mutter und ich noch, dass es an der Hitze liegt oder, dass mein Vater das Essen nicht vertragen hat, da er vor ungefähr zwei Jahren an einer Bauchspeicheldrüsen-Entzündung litt und seither bei manchen Lebensmitteln sehr empfindlich ist", erzählt die Wienerin im Gespräch mit "Heute".

Kurz darauf klagte der 84-Jährige auch darüber, stark zu schwitzen: "Nach ungefähr einer Stunde mit Übelkeit und Erbrechen legte er sich ins Bett. Ich fühlte seine Stirn und seine Arme an, die kalt und schweißnass waren. Ich fragte ihn nach weiteren Symptomen und er sagte mir, dass er Schmerzen im Rücken zwischen den Schulterblättern habe", berichtet Michaela H.

Wiener hatte atypische Herzinfarkt-Symptome

Obwohl ihr Vater bei guter Gesundheit ist und sich gemeinsam mit seiner Frau selbstständig um Haushalt und Garten kümmert, kam der 56-Jährigen der Verdacht, dass es sich um einen Herzinfarkt handeln könnte: "Ich las daraufhin in aller Eile im Internet über die Symptome nach. Es trafen bei meinem Vater jedoch nicht alle beschriebenen Symptome zu. Er litt zu diesem Zeitpunkt weder an Atemnot, noch hatte er starke Schmerzen in der Brust."

So verringerst du das Risiko eines Herzinfarkts

1/4
Gehe zur Galerie
    Ab 40 solltest du das regelmäßige messen deines Blutdrucks zu einer Priorität machen. Ein idealer Wert sollte bei 130/80 liegen.
    Ab 40 solltest du das regelmäßige messen deines Blutdrucks zu einer Priorität machen. Ein idealer Wert sollte bei 130/80 liegen.
    Getty Images/iStockphoto

    Um 0.12 Uhr beschlossen Waltraud V. (83) und ihre Tochter schließlich, die Rettung zu rufen: "Es wurden meiner Mutter sehr viele Fragen gestellt, die sie wahrheitsgemäß beantwortete, ohne den Ernst der Lage zu bagatellisieren. Meine Mutter stellte dezidiert die Frage, ob es nicht möglich sei, dass es sich um einen Herzinfarkt handeln könnte", erinnert sich Michaela H.

    Zustand des 84-Jährigen verschlechterte sich

    Nach dem Gespräch wurde Waltraud V. mit der Hotline 1450 verbunden: "Dort wurden ihr noch einmal ähnliche Fragen gestellt. Anschließend erhielt meine Mutter die Empfehlung, dass mein Vater schluckweise ein Glas Wasser trinken und ich in die Nacht-Apotheke gehen soll, um ein Medikament gegen Übelkeit zu besorgen. Zudem sollte mein Vater am nächsten Tag seinen Hausarzt aufsuchen."

    Obwohl es Gerhard V. nicht wesentlich besser ging, fühlte sich das Ehepaar durch die Aussagen der Rettung und 1450 beruhigt. Am nächsten Tag hatte sich der Zustand des 84-Jährigen jedoch nicht verbessert – ganz im Gegenteil: "Gegen Mittag bat mein Vater meine Mutter, doch noch einmal die Rettung anzurufen, da er mittlerweile schlecht Luft bekam. Die Rettung kam diesmal rasch, nach dem EKG wurde sofort ein Herzinfarkt diagnostiziert", ist die 56-Jährige erschüttert.

    Der 84-Jährige wurde in die Klinik Ottakring gebracht, liegt dort derzeit auf der Intensivstation.
    Der 84-Jährige wurde in die Klinik Ottakring gebracht, liegt dort derzeit auf der Intensivstation.
    Denise Auer
    Laut den Ärzten hat er einen schweren Herzinfarkt erlitten. Er hatte zudem einen Herzstillstand und musste reanimiert werden
    Michaela H.
    Tochter von Gerhard V.

    Gerhard V. wurde in die Klinik Ottakring gebracht. Der Pensionist liegt derzeit noch auf der Intensivstation: "Laut den Ärzten hatte er einen schweren Herzinfarkt, ihm wurden drei Stents (Implantat, das verschlossene oder verengte Blutgefäße offen halten soll, Anm.) eingesetzt. Nun ist auch noch eine Lungenentzündung dazu gekommen. Er hatte zudem einen Herzstillstand und musste reanimiert werden. Die Nieren und das Herz haben durch die lange Dauer der Nichtbehandlung großen Schaden erlitten", fasst Michaela H. zusammen.

    Sie ist noch immer wütend: "Wir haben die Rettung in einem Notfall gerufen, und sie ist nicht gekommen. So etwas darf nicht passieren! Wenn die Checkliste der Leitstelle ergeben hat, dass es sich um keinen Herzinfarkt handelt, dann ist sie falsch und muss überarbeitet werden. Zudem hatte meine Mutter das Gefühl, dass ihre Aussagen nicht ausreichend ernst genommen wurden. Ich sehe dieses Vorkommnis als großes Systemversagen in unserem Gesundheitssystem und als Sparen am falschen Platz", klagt die 56-Jährige an. Sie hat sich auch an die Patientenanwaltschaft gewandt.

    Laut Rettung kein Hinweis auf Notfall

    In einer Stellungnahme der Berufsrettung Wien wird der "tragische Verlauf bedauert und Herrn V. alles Gute für eine baldige Genesung" gewünscht: "In der Abfrage des Gesundheitszustands gab es leider keine Hinweise für das Vorliegen eines akuten medizinischen Notfalls bzw. für das Vorliegen eines akuten Herzinfarktes. Das vollkommene Fehlen von Brustschmerzen bzw. jeglicher Beschwerden in der Brust ist bei Herzinfarkt zwar möglich, vor allem bei männlichen Patienten allerdings sehr ungewöhnlich und sehr atypisch. Beim zweiten Telefonat berichtete die Gattin davon, dass Herr V. nun auch Atemnot habe, weshalb auch sofort ein Rettungsmittel entsandt wurde", heißt es.

    Laut Statement hat das Notruf-Gespräch ca. drei Minuten und 30 Sekunden gedauert, danach wurde das Telefonat an die Gesundheitshotline 1450 weiterverbunden: "Beide Telefonate wurden durch das Qualitätsmanagement der Rettungsleitstelle sowie die medizinische Aufsicht geprüft."

    Aufgrund der Symptombeschreibung wurde eine akute Notsituation ausgeschlossen
    Statement Fonds Soziales Wien
    über den Anruf von Frau V. bei 1450

    Seitens des für die Hotline 1450 zuständigen Fonds Soziales Wien (FSW) heißt es: "Frau V. schilderte am Telefon, dass bei ihrem Mann vor 1,5 Stunden Beschwerden wie Übelkeit, Brechreiz, Schmerzen zwischen den Schultern und kalter Schweiß aufgetreten sind. Herr V. war soweit gut ansprechbar."

    Während des Gespräches sei nochmals eine Notfallabfrage durchgeführt worden: "Es wurden u.a. Atembeschwerden, Druckgefühl in der Brust oder Schmerzen im oberen Bauch durch Frau V. nicht bestätigt. Aufgrund der Symptombeschreibung wurde eine akute Notsituation ausgeschlossen und eine ärztliche Abklärung am Folgetag empfohlen. Ebenso wurde der Hinweis kommuniziert, bei einer Verschlimmerung des gesundheitlichen Zustandes erneut Kontakt aufzunehmen."

    Keine Brustschmerzen bei einem Drittel der Patienten

    Laut dem Ärzteportal "universimed.com" und dem Medizin-Handbuch "MSD Manuel" kommen bei etwa einem Drittel aller Patienten keine Brustschmerzen bei einem Herzinfarkt vor – vor allem bei über 75-Jährigen, Frauen und Personen, etwa mit Herzinsuffizienz oder Diabetes: "Dieser Anteil steigt bei über 80-Jährigen auf ca. 50 %", heißt es auf "universimed.com". Dies könne zu einer verspäteten Spitaleinweisung, einer weniger aggressiven Behandlung und einer deutlich erhöhten Sterblichkeit führen.

    Auf den Punkt gebracht

    • Ein 84-jähriger Wiener hatte atypische Herzinfarkt-Symptome, aber die Rettung sah keinen akuten Notfall und leitete an 1450 weiter
    • Trotzdem verschlechterte sich sein Zustand, und erst am nächsten Tag wurde ein Herzinfarkt diagnostiziert
    • Die Familie kritisiert das Gesundheitssystem und hat sich an die Patientenanwaltschaft gewandt
    cz
    Akt.