Spielsucht als Auslöser
Wiener (57) hatte über 20 Jahre kein eigenes Zuhause
Andreas M. schlief jahrelang auf der Straße, in Notquartieren oder bei Bekannten. Heute hat er im VinziDorf eine neue Heimat gefunden.
Er erzählt von einer relativ "normalen" Kindheit in Wien. Nach der Schule lernte Andreas M. Industriekaufmann und arbeitete auch in der Branche, hatte eine Partnerin. Aus Spaß begann er mit Freunden Roulette zu spielen – der Anfang aller Probleme.
"Warf Mahnungen stapelweise in den Müll"
"Wir dachten, wir können das Casino austricksen. Anfangs haben wir sogar einiges gewonnen und deshalb weitergemacht. Wir wollten die Realität nicht wahrhaben", erinnert er sich. Mit Erspartem und Geld aus der Erbschaft finanzierte Andreas die Sucht. Schließlich wurde das Kapital weniger und die Schulden häuften sich. 400.000 Schilling (ca. 29.000 Euro) waren es am Ende.
Der verzweifelte Wiener fiel in ein Loch: "Ich blieb nur noch im Bett, verließ die Wohnung nicht mehr, auch nicht um zu arbeiten." Die Beziehung ging in die Brüche, die Kündigung flatterte bald darauf auch ins Haus. "Post habe ich stapelweise in den Müll geworfen. Ich habe zwar gesehen, dass Mahnungen kamen, aber alles ignoriert. Auch die Anrufe von Freunden", so Andreas M. Weil auch die Miete nicht bezahlt wurde, landete er schließlich mit 32 Jahren auf der Straße.
"Wenn man nicht trinkt, ist man Außenseiter"
"Man glaubt es nicht, aber für mich war es gut so. Ich hatte gleich einen Schlafplatz in den Ringstraßengalerien und der ganze Druck war endlich weg", blickt er heute zurück. M. verkaufte die Zeitschrift "Augustin" am Stephansplatz, finanzierte so sein Leben. Nachts schlief er im Schlafsack oder in Notquartieren – und das ganze 22 Jahre lang.
Einsam war er dabei nie: "Ich kannte viele Leute." Doch die Spielsucht ließ ihn weiterhin nicht los – und nun kam auch die Alkoholsucht dazu. "Alle trinken und man ist fast ein Außenseiter, wenn man es nicht tut. Ich war um das Jahr 2.000 am Karlsplatz unterwegs in schlechten Kreisen", sagt der Wiener. Von der Spielsucht wusste hingegen niemand.
Heimat für Heimatlose
Nach 22 Jahren kam Andreas M. schließlich über einen Sozialarbeiter ins VinziDorf nach Meidling. Die 2018 gegründete Einrichtung bietet 24 ehemals obdachlosen Männern, die aus unterschiedlichen Gründen in anderen Einrichtungen keinen Platz bekommen, einen festen, unbefristeten Wohnsitz und Unterstützung. Dafür sind 20 Prozent des Einkommens zu bezahlen.
"Wir bieten Heimat für Heimatlose und Schutz. Die Menschen sollen ihr Leben so gestalten, wie sie möchten, aber trotzdem Hilfe erhalten", so Leiterin Maria Scheiblauer, die positiv überrascht ist, wie gut sich Andreas M. hier eingelebt hat: "Er bringt Lebensfreude ins Haus." Die Umstellung sei ihm nicht schwer gefallen – das sei nicht immer so. "Manche können die Tür nicht schließen, weil sie sich eingesperrt fühlen oder können aus Gewohnheit nur am Boden schlafen", berichtete die Sozialarbeiterin. Anfragen für das VinziDorf gibt es übrigens genug, aber derzeit ist das Haus voll – ein Grund, warum die großteils aus Spenden finanzierte Einrichtung Unterstützung benötigt.
Freiwillige dringend gesucht
Wer selbst mit anpacken möchte, kann sich als Freiwilliger im VinziDorf melden – derzeit werden noch Alltagshelden gesucht. Sie sind erste Ansprechperson bei Fragen der Bewohner, machen Telefondienst, helfen bei Tätigkeiten im Haus oder Garten oder Freizeitaktivitäten. Fachspezifische Kenntnisse sind nicht nötig, viel wichtiger sind Empathie, Toleranz und Zeit. Die Ehrenamtlichen werden geschult und begleitet, Dienste können frei vereinbart werden. Wer interessiert ist kann sich bei Maria Scheiblauer ([email protected] oder unter 01 23 50 18 230) melden. Auch Sachspenden, vor allem Lebensmittel, sind immer willkommen, dafür sollte man zuvor allerdings anrufen.
Andreas M. hat seit dem Einzug ins VinziDorf bereits große Schritte geschafft. Er spielt nicht mehr und hat seit 2020 keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken. Mittlerweile arbeitet der Wiener als Tellerwäscher am Naschmarkt und sagt selbst, er sei zufrieden mit seinem Leben. "Ich führe eigentlich ein langweiliges Leben, aber mir gefällt es", schmunzelt er. Übrig bleiben nur mehr zwei Wünsche: "Endlich auch mit dem Rauchen aufzuhören und gesund zu bleiben."