Warme Ozeane
Westantarktische Gletscher schrumpfen schneller
Ungewöhnlich hohe Meereswassertemperaturen lassen Gletscher in der Antarktis rasant schmelzen.
Die Gletscher der westlichen Antarktischen Halbinsel waren über einen längeren Zeitraum vergleichsweise stabil. In den vergangenen Jahren hat die Erwärmung des Ozeans aber teilweise bereits zu einem dynamischen Wandel geführt, wie ein Forscherteam mit österreichischer Beteiligung anhand des Cadman Gletschers im Fachjournal "Nature Communications" zeigt.
Die Wissenschafter um den Glaziologen Benjamin Wallis von der University of Leeds (Großbritannien) untersuchten mithilfe hochauflösender Satellitendaten und ozeanografischen Messungen die Stabilität des Cadman Gletschers zwischen 1991 und 2022. Eine wichtige Rolle spielt dabei Schelfeis, das die Geschwindigkeit der Bewegung des Gletschers in Richtung Meer verlangsamt. Schmilzt das Schelfeis, verringert sich seine Stützkraft.
Der Cadman sei insofern ein außergewöhnlicher Gletscher, als er eines der letzten Eisschelfe an der Westseite der Antarktischen Halbinsel aufgewiesen habe, erklärte Thomas Nagler von der Innsbrucker Forschungsfirma ENVEO, einer der Studienautoren, gegenüber der APA.
Eis auf Gletscher jährlich um etwa 20 Meter dünner geworden
Konkret sollen ungewöhnlich hohe Meereswassertemperaturen Anfang 2018/19 einen raschen Wandel ausgelöst haben. Die Wissenschafter vermuten, dass das Schelfeis, umgeben von wärmerem Meerwasser, das über einen 400 Meter tiefen Kanal dorthin gelangte, dünner wurde, sich vom Boden löste und den Gletscher quasi nicht mehr zurückhalten konnte. Beim Schelfeis handelt es sich um großflächige, bis zu 1.000 Meter dicke Eisplatten, die auf dem Meer schwimmen, aber noch mit dem Land verbunden sind. Gespeist werden sie von schnell fließenden Teilen des Eisschildes.
In der 30-jährigen Zeitreihe der Untersuchung veränderten sich die Fließgeschwindigkeiten deutlich. Der Gletscher beschleunigte sich von 1,67 Kilometer pro Jahr im Februar 1991 auf einen Höchstwert von 3,20 Kilometer pro Jahr im Mai 2022, ein Zuwachs von 91 Prozent. Das Schelfeis zeigte in diesem Zeitraum einen noch größeren Geschwindigkeitsanstieg von 1,33 auf 3,87 Kilometer pro Jahr (plus 191 Prozent).
2,16 Mrd. Tonnen Eis pro Jahr geschmolzen
Den Forschern zufolge befindet sich der Cadman Gletscher in einem Zustand "erheblichen dynamischen Ungleichgewichts". Das Eis auf dem Gletscher sei jährlich um etwa 20 Meter dünner geworden. Jedes Jahr würden zudem rund 2,16 Mrd. Tonnen Eis vom Gletscher in den Ozean fließen.
"Wir waren überrascht zu sehen, wie schnell sich Cadman von einem scheinbar stabilen Gletscher zu einem Gletscher entwickelt hat, bei dem wir eine plötzliche Verschlechterung und einen erheblichen Eisverlust beobachten konnten", erklärte der britische Glaziologe Benjamin Wallis in einer Aussendung. Solche Kipppunkte könnten den Eisabfluss sowie den Rückzug und die dynamische Ausdünnung von Gletschern auf der Antarktischen Halbinsel extrem verstärken.