Solingen-Anschlag

Wer ist Stefan? – ein Skandal, den es gar nicht gibt

Der Anschlag in Solingen beschäftigt auch auf Social Media. Unter dem Hashtag #WerIstStefan machen User Jagd auf einen Augenzeugen.

Wer ist Stefan? – ein Skandal, den es gar nicht gibt
In Beiträgen von ARD, ZDF und Phoenix ist dreimal derselbe Mann zu sehen. Anders als von einigen Social-Media-Nutzerinnen und -Nutzern behauptet, ist sein mehrmaliges Auftauchen gut erklärbar. Der Hauptgrund ist, dass das von ARD und WDR verwendete Material (oben links und rechts) von der Nachrichtenagentur DPA stammt. Im Phoenix-Beitrag (unten) läuft er rund 100 Meter vom anderen Standort entfernt durchs Bild.
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Die Behauptung

Am Tag nach der Festnahme des Täters von Solingen ist ein und derselbe Mann in drei verschiedenen TV-Beiträgen zu sehen, die auf drei verschiedenen Sendern – ARD, WDR und Phoenix – ausgestrahlt wurden. Deswegen – und weil er in zwei der Beiträge Auskunft zu zwei verschiedenen Sachverhalten, die die Festnahme betreffen, gibt (siehe Box) – unterstellen ihm einige Social-Media-Userinnen und -User kein echter Zeuge zu sein. "2x ist Zufall und 3x ein System", kommentiert ein User. Das sei "doch nicht normal, oder?", fragt eine Userin. Ein anderer User bezeichnet ihn als "Staatsfunk-'Zeuge'".

In einem TikTok der umstrittenen Plattform Nius.de (hier archiviert) wird behauptet, er sei "am Wochenende gleich zweimal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen als Zeuge vor die Kamera gezogen worden." Viele der Beiträge werden unter dem Hashtag #WerIstStefan gesammelt und zielen darauf ab, die Arbeitsweise der öffentlich-rechtlichen Sender zu diskreditieren.

3 Tote bei Stadtfest in Solingen

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    Am Freitag (23.08.2024) kam es bei einem Stadtfest im deutschen Solingen zu einem blutigen Messer-Anschlag. Drei Personen wurden getötet.
    Am Freitag (23.08.2024) kam es bei einem Stadtfest im deutschen Solingen zu einem blutigen Messer-Anschlag. Drei Personen wurden getötet.
    REUTERS

    Die Bewertung

    Die Behauptungen sind falsch. Das dreimalige Auftauchen in TV-Formaten ist erklärbar: So stammt das von ARD und dem WDR verwendete Rohmaterial von der Nachrichtenagentur DPA. Die Redaktionen verwendeten dies für ihre Beiträge. Der Mann namens Stefan sprach also nicht mit zwei verschiedenen Kamerateams. Die DPA bestätigt auf Nachfrage von "20 Minuten" die Glaubwürdigkeit des Mannes. Dass Stefan auch im Phoenix-Beitrag zu sehen war, ist ebenfalls nicht auffällig. Die Aufnahmen entstanden am selben Tag am Rande von Kundgebungen, nur rund 100 Meter von dem Ort entfernt, an dem Stefan vom DPA-Team interviewt wurde.

    Das sagt Stefan in den jeweiligen Beiträgen
    In dem "Aktuelle Stunde"-Beitrag, der am 25. August 2024 um 18.45 Uhr ausgestrahlt wurde, äussert sich Stefan so: "Gestern Morgen war mein Schwager seine morgendliche Runde mit seinem Hund unterwegs und hat hier zu unserer linken Seite eine blutverschmierte Jacke gefunden. Daraufhin ist er einen Schritt weiter hochgegangen, wo ein Portemonnaie gefunden wurde. Bei diesem Portemonnaie war ein Aufenthaltstitel, was dann unmittelbar der Polizei ausgehändigt worden ist oder beziehungsweise übergeben wurde."
    Im "Tagesschau"-Beitrag, der am selben Abend in der 20-Uhr-Sendung gezeigt wurde, sagt er, nachdem er als Augenzeuge der Festnahme vorgestellt wurde: "Dann hat sich ein Mann bemerkbar gemacht und hat auch einen Streifenwagen herangezogen und hat darauf gewartet, dass die Beamten zu ihm kommen, hat die Hände hinter dem Kopf verschränkt, ist auf die Knie gegangen und hat zu den Beamten gerufen: "Ich bin der, den ihr sucht."
    Die Polizei Düsseldorf hatte zuvor am Morgen vermeldet, dass sich im Verlauf des vorherigen Abends "eine 26-jährige männliche Person bei den Ermittlungsbehörden gestellt" habe, "die angab, für den Anschlag verantwortlich zu sein."

    Darum nutzten ARD und WDR dasselbe Agenturmaterial

    Die Sender, in deren Beiträgen Stefan zu sehen war, gehören alle zur selben Senderfamilie. Die Landesrundfunkanstalten der ARD, zu denen unter anderem der WDR zählt, steuern mitunter Beiträge aus "ihren" Bundesländern bei. So ist es auch bei der Berichterstattung zu Solingen geschehen: Die in der Sendung "Aktuelle Stunde" (WDR) und "Tagesschau" (ARD) gezeigten Beiträge wurden von Redakteurinnen und Redakteuren des Westdeutschen Rundfunks (WDR) produziert. Dieser sitzt in Nordrhein-Westfalen und damit in dem Bundesland, in dem sich der Terroranschlag ereignet hat.

    Darum griffen die WDR-Mitarbeitenden auf Agenturmaterial zu

    Ein Sprecher des WDR erklärte auf Anfrage von "20 Minuten", dass man "bei Ereignissen dieser Größenordnung mit zahlreichen eigenen Reporterinnen und Reportern" arbeite, darüber hinaus aber "auch Material von Nachrichtenagenturen" nutze. So sei es auch in diesem Fall gewesen.

    Darum tauchten in den Beiträgen unterschiedliche Aussagen auf

    Auch das hat mit der Arbeitsweise beim WDR zu tun: "Die Beiträge für 'Aktuelle Stunde' und 'Tagesschau' stammen von unterschiedlichen Autoren und entstanden zu unterschiedlichen Zeiten", erklärt der WDR-Sprecher. Das von der DPA stammende Material befände sich auf einer technischen Plattform. "Die Auswahl erfolgt dann durch die Autorinnen und Autoren – und zwar zielgerichtet für das jeweils eigene Stück."

    Darum zweifeln die Redaktionen nicht an der Glaubwürdigkeit des Augenzeugen

    Der WDR-Sprecher teilt weiter mit, dass die DPA auf Nachfrage des WDR noch einmal bestätigt habe, "keine Zweifel an der Echtheit des Augenzeugen zu haben." Dies bekräftigt die Nachrichtenagentur auch auf Nachfrage von "20 Minuten": "Wir bestätigen hiermit die Glaubwürdigkeit der von uns interviewten Person." Die Person sei von den DPA-Reportern im Rahmen einer Vor-Ort-Recherche angesprochen worden. Die Aufnahmen seien "am frühen Sonntagnachmittag entstanden."

    Darum ist Stefan auch in dem Phoenix-Beitrag zu sehen

    Stefan taucht, wie von den Social-Media-Userinnen und -Usern richtig erkannt, auch in der Sondersendung "Phoenix vor Ort" (ab Minute 3:19) auf. Diese wurde von einem Team um die WDR-Korrespondentin Gina Niemeier produziert, die gegen 17 Uhr live aus Solingen berichtete. Wie von ihr im Beitrag erwähnt, versammelten sich zu diesem Zeitpunkt die Teilnehmenden mehrerer Kundgebungen in Solingens Zentrum. Darunter Anhänger der Jungen Alternative, deren Demonstration um 18 Uhr startete, und von "Wuppertal stellt sich quer", deren Demo um 17 Uhr begann. Die Pressestelle der Polizei NRW bestätigte dies gegenüber "20 Minuten".

    Dass Stefan, der die Festnahme laut "Tagesschau"-Beitrag beobachtet hat, auch an den weiteren Entwicklungen interessiert ist und die Kundgebungen besucht, ist nicht unwahrscheinlich. Zumal der Ort, an dem er vom DPA-Team interviewt wurde, nur rund 100 Meter entfernt ist.

    Die Live-Schalte des Phoenix-Beitrags, während Stefan durchs Bild läuft, entstand an der Ecke Rostertreppe/Hauptstraße (rote Markierung). Der DPA stand Stefan nur rund 100 Meter entfernt Rede und Antwort, auf dem Czimatisplatz (violette Markierung).
    Die Live-Schalte des Phoenix-Beitrags, während Stefan durchs Bild läuft, entstand an der Ecke Rostertreppe/Hauptstraße (rote Markierung). Der DPA stand Stefan nur rund 100 Meter entfernt Rede und Antwort, auf dem Czimatisplatz (violette Markierung).
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    Die Live-Schalte des Phoenix-Beitrags, während Stefan durchs Bild läuft, entstand an der Ecke Rostertreppe/Hauptstrasse (rote Markierung). Der DPA stand Stefan nur rund 100 Meter entfernt Rede und Antwort, auf dem Czimatisplatz (violette Markierung).

    Fazit

    Anders als von den Social-Media-Nutzerinnen und -Nutzern behauptet, ist das mehrmalige Auftauchen von Stefan in verschiedenen TV-Beiträgen unauffällig und gut erklärbar. Der Hauptgrund ist, dass das von ARD und WDR verwendete Material von der Nachrichtenagentur DPA stammt.

    Stefan sprach also nur mit einem Kamerateam, dessen Aufnahmen in verschiedenen Beiträgen verwendet wurden. Zudem sind die Sender Teil derselben Mediengruppe und teilen sich oft Material. Auch, dass Stefan in einem Phoenix-Beitrag im Hintergrund zu sehen ist, ist nicht auffällig. Die Aufnahmen entstanden nur 100 Meter von dem Ort entfernt, an dem er mit der DPA sprach. Die Glaubwürdigkeit des Augenzeugen wurde von der DPA bestätigt.

    IS-Terror in Solingen: Hier stellt sich Tatverdächtiger

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      Nach dem Messer-Angriff auf einem <a data-li-document-ref="120054893" href="https://www.heute.at/s/mehrere-menschen-mit-messer-bei-stadtfest-getoetet-120054893">Stadtfest in Solingen</a> mit drei Toten am 23. August 2024 soll sich der Killer der Polizei gestellt haben.
      Nach dem Messer-Angriff auf einem Stadtfest in Solingen mit drei Toten am 23. August 2024 soll sich der Killer der Polizei gestellt haben.
      Christoph Reichwein / dpa / picturedesk.com

      Auf den Punkt gebracht

      • Der Artikel behandelt die Kontroverse um einen Augenzeugen namens Stefan, der nach dem Anschlag in Solingen in mehreren TV-Beiträgen auf verschiedenen Sendern zu sehen war
      • Social-Media-Nutzer unterstellen ihm, kein echter Zeuge zu sein, doch die Behauptungen sind falsch: Das Material stammt von der Nachrichtenagentur DPA und wurde von verschiedenen Sendern der ARD-Familie genutzt, was das mehrmalige Auftauchen Stefans erklärt
      red, 20 Minuten
      Akt.