Ukraine
Wendepunkt im Ukraine-Krieg? Russen geben erste Orte auf
Seit 200 Tagen herrscht in der Ukraine Krieg! Nun meldet Präsident Selenski die Rückeroberung von strategisch wichtigen Gebieten.
Die ukrainische Armee hat nach den Worten von Präsident Wolodimir Selenski die strategisch wichtige Stadt Isjum im Osten des Landes von den russischen Truppen zurückerobert. Die Armee habe "hunderte unserer Städte und Dörfer befreit", zuletzt die Städte Isjum, Balaklija und Kupjansk, sagte Selenski am Sonntagabend in einer Videoansprache. Zuvor hatten die Behörden einen Stromausfall in weiten Teilen der Ostukraine gemeldet, Kiew machte russische Angriffe auf Infrastruktur für die Blackouts verantwortlich.
Die russische Armee hatte am Samstag überraschend den Abzug ihrer Truppen aus bestimmten Gebieten im Osten der Ukraine angekündigt. "Um die Ziele des militärischen Sondereinsatzes zur Befreiung des Donbass zu erreichen, wurde beschlossen, die in den Regionen Balaklija und Isjum stationierten russischen Truppen zu verlegen", erklärte das Verteidigungsministerium in Moskau. Eine am Sonntag von dem Ministerium veröffentlichte Karte zeigte einen weitgehenden Rückzug russischer Truppen aus der Region Charkiw.
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Heftiger Rückschlag für Putin
Am Sonntag berichtete der Gouverneur der an die Ukraine grenzenden russischen Region Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, in einer Videobotschaft im Onlinedienst Telegram von tausenden Menschen, die in den vergangenen 24 Stunden die Grenze überquert hättten. Die meisten von ihnen seien "in ihren eigenen Fahrzeugen zu ihren Verwandten" in Russland gefahren, sagte Gladkow.
Die Ukraine hatte zuvor die Rückeroberung von mindestens 30 Ortschaften in der östlichen Region Charkiw gemeldet. Demnach gelang es den ukrainischen Streitkräften auch, die für den Nachschub der russischen Truppen wichtige und schon zu Beginn des russischen Angriffskriegs besetzte ostukrainische Stadt Kupjansk zurückzuerobern.
Die zuletzt am Sonntagabend von Präsident Selenski gemeldete Rückeroberung von Isjum durch die Ukraine sehen Militärexperten als einen schweren Rückschlag für die russische Armee im Osten der Ukraine. Ukrainische Beamte lobten das "erstaunliche" Tempo der Gegenoffensive.
Wendepunkt im Krieg?
Doch sind die Rückeroberungen der Ukraine nun ein Wendepunkt im Krieg? "Das bleibt abzuwarten, aber es ist auf jeden Fall eine große, russische Niederlage und ein großer ukrainischer Sieg. Und das darf man nicht klein reden. Aber inwiefern das die weitere Kriegsführung beeinflussen wird, ist zu früh noch im Detail aufzulisten. Aber es wird sehr schwierig für die russischen Streitkräfte im Osten des Landes ihre jetzigen Positionen zu halten. Die Russen können momentan nur defensiv tätig sein", erklärt Militärexperte Franz-Stefan Gady am Montag im Ö1-Morgenjournal.
Als Grund für die ukrainische Rückeroberungen nennt Gady dabei strukturelle Probleme in der russischen Armee, auf die Militäranalysten bereits seit Monaten hingewiesen hätten. Die russischen Streitkräfte seien an diversen Frontabschnitten unterbesetzt und die Ukrainer hätten ihre Kräfte bündeln können. "Dort sind sie mit ihren gepanzerten Verbänden durchgestoßen", so Gady.
Die ukrainischen Streitkräfte hätten also tief in den Raum vordringen können. Aber der Experte gibt auch zu verstehen: "Was wir nicht wissen, was sind die Verluste auf beiden Seiten und inwiefern haben beide noch operative Reserven, da habe ich meine Zweifel, was die russische Seite betrifft, aber wir sind hier noch nicht am Ende der Offensive und es kann noch einiges passieren. Ich würde daher vor voreiligen Schlussfolgerungen warnen."
"Situation für Russen wird prekär"
Doch was bedeutet der Vorstoß nun für die anderen Frontlinien, etwa für den Donbass? "Die Situation in der Donbass-Region wird langsam für die russischen Truppen prekär bzw. müssen wir annehmen, dass sie es nicht schaffen werden, die nächste große ukrainische Verteidigungslinie zu durchbrechen. Sie sind jetzt in der Defensive und das gleiche gilt für Cherson", erklärt der Experte gegenüber dem Ö1-Morgenjournal.
Die Russen hätten aber immer wieder gezeigt, dass "wenn sich in brenzligen Situationen befinden, dann ziehen sie sich zurück." Es werde etwa um Cherson herum laut Gady keine große Abwehrschlacht der Streitkräfte geben. "Sollte dort die Ukraine auch Erfolg haben, könnten sich auch hier die russischen Truppen sehr schnell zurückziehen."
Angesprochen darauf, wie wichtig die Waffenlieferungen des Westens für die Ukraine wirklich waren bzw. sind, stellte der Militärexperte unmissverständlich klar, dass diese den Sieg überhaupt erst ermöglicht hätten. So hätte etwa ein deutsches System, nämlich der Gepard-Flugabwehr-Panzer, einen deutlichen Unterschied gemacht, weil er eben Angriffe der russischen Luftwaffe gut abwehren hat können.
"Die Ukraine braucht mehr schwere Waffen und Munition", so Gady und "wir sollten mit der Diskussion aufhören, ob Waffenlieferungen Sinn machen oder nicht. Die Waffenlieferungen haben in dieser Offensive klar den Unterschied gemacht."