Wenn Kinder und Jugendliche als Täter oder Opfer von Gewalt, Missbrauch oder sexuellen Übergriffen in Gerichtsverfahren involviert sind, stehen Richter und Kinderschutzzentren vor erheblichen Herausforderungen. Besonders brisant ist das Thema Sexting – das Versenden von sexuell eindeutigen Nachrichten, Fotos und Videos –, das zunehmend zu einem ernsten Problem wird.
Der Paragraf 207a StGB, in dem es um die Darstellung von Kindesmissbrauch geht, wurde zuletzt adaptiert; Missbrauchsdarstellungen von Kindern demnach strenger bestraft. Doch nicht nur Erwachsene, sondern auch Jugendliche verstoßen gegen den Paragrafen, etwa wenn es um Sexting mit Gleichaltrigen geht.
"Viele wissen nicht, dass das strafbar ist. Der Anteil an Minderjährigen, die nach § 207a angeklagt werden, ist riesig", sagt Hedwig Wölfl, stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes der Österreichischen Kinderschutzzentren. Viele Tatverdächtige sind also selbst minderjährig. 2023 wurden 1.274 Unter-18-Jährige von der Polizei bei den Staatsanwaltschaften angezeigt; 2020 waren es 952 Jugendliche – das zeigt die Kriminalstatistik für Österreich.
Zahlen des Justizministeriums bestätigen einen Aufwärtstrend: Wurden im Jahr 2018 noch 40 Jugendliche nach § 207a angeklagt, waren es 2020 bereits 83 Unter-18-Jährige und 2022 sogar 108. Im Jahr 2023 sank die Zahl auf 84 Anklagen. Seitens des Ministeriums wird der allgemeine Anstieg unter anderem mit einer allgemein steigenden Bereitschaft der Bevölkerung zur Anzeigeerstattung sowie der Schaffung zusätzlicher Meldestellen und der zunehmenden Internetnutzung der Jugendlichen erklärt.
Vorfälle und Übergriffe, verbunden mit Drogen und K.-o.-Tropfen, würden aus Sicht der Expertin zunehmen. "Das ist eine Dimension, die bisher sicher weniger beachtet wurde", sagt Wölfl im Rahmen eines Mediengesprächs.
Sie fordert mehr Prävention, gerade wenn es um 11- bis 14-Jährige geht. "Bilder wirken heute sehr stark und die Kinder und Jugendlichen haben oft andere Vorstellungen vom Sexualleben. Sie merken nicht immer rechtzeitig, was in Ordnung ist, und was nicht, oder was sie selbst möchten", erklärt Wölfl.
Daniel Rechenmacher, Richter für Jugendstrafsachen am Landesgericht Wien, beobachtet, dass die Hemmschwelle Jugendlicher gegenüber schweren Delikten gesunken ist. "Das sehen wir zum Beispiel bei Fällen, bei denen es um schweren Raub geht, aber auch bei Sexualdelikten", sagt er.
Zusätzlich ließe sich beobachten, dass jugendliche Angeklagte teilweise wenig Respekt vor den Richterinnen und Richtern haben. So gab es einen Fall, bei dem zwei jugendliche Angeklagte vor Gericht standen, ohne Strafe verurteilt wurden und dann freudig im Gerichtssaal in die Hände geklatscht hätten – mit den Worten "nix ist passiert". "Im Großen und Ganzen betrachtet, handelt es sich hierbei aber um einzelne Fälle und nicht um ein generelles Problem", hält Rechenmacher fest.
Wölfl arbeitet mit Opfern von Sexualstraftaten und traumatisierten Kindern. Das Risiko einer Retraumatisierung ist hoch. Sie sieht unter anderem die Medien in der Pflicht, die mit einer opferorientierten Berichterstattung entgegenwirken können: "Medien sind wichtig, um zu sensibilisieren und um Bewusstsein zu schaffen. Aber die persönliche Sphäre der Opfer muss gewahrt bleiben. Durch mediale Wiederholung oder die Berichterstattung von vielen und kleinen Details erleben die Opfer Geschehenes sozusagen immer wieder und werden verstärkt in eine Opferrolle gedrängt."
„Wird im sozialen Umfeld eines Kindes deutlich, dass es das Opfer ist, kann die Beschämung groß sein. Oft folgen Beschimpfungen, Abwertungen. Wir erleben auch Selbstverletzungen.“Hedwig WölflStv. Vorsitzende des Bundesverbandes der Österreichischen Kinderschutzzentren
Die Kinderschutzexpertin fordert die Einhaltung ethischer Standards in der medialen Berichterstattung über Sexualdelikte, keine Vorverurteilung der Täterseite und kritisiert gleichzeitig, dass persönliche Details zu Fällen oft zu leichtfertig bekannt gegeben werden.
Susanne Lehr, Richterin des OLG Wien und langjährige Sexualstrafrichterin, stimmt ihr zu und betont zusätzlich die Wichtigkeit zur Wahrung der Anonymität von Beteiligten in Gerichtsverfahren. Wenn es um die mediale Kritik von Gerichtsurteilen geht, wünscht sie sich "ein gewisses Augenmaß. Oft ist es zu emotional und die Sachlichkeit fehlt", sagt sie.