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Das weiß man über den Verdächtigen im Fall Maddie
Das Leben von Christian B. ist geprägt von Brüchen, Scheitern und Delikten. Ein Gerichtsbeobachter bezeichnete ihn einst als "verstockt und sichtlich scheu". Dennoch hielt er den Deutschen für voll schuldfähig.
Die Algarve in Portugal war für den 43-jährigen B. immer schon ein Sehnsuchtsort. Oft wurde sie auch zum Fluchtort, aber auch zum Tatort. Ob der Deutsche, der derzeit in Kiel, Schleswig-Holstein, hinter Gittern sitzt, neben anderen Straftaten dort einen Mord beging, ist eine offene Frage.
Aber die Ermittler vermuten, dass er im Mai 2007 in dem Ferienort Praia da Luz die dreijährige Madeleine McCann aus Großbritannien entführte und umbrachte. Es gibt viele Hinweise, aber die Beweiskette ist nicht geschlossen, und auch hier gilt der Grundsatz der Unschuldsvermutung.
Das Lebensmuster des Mannes verwebt die so unterschiedlichen Länder Deutschland und Portugal eng miteinander. Mehrmals floh er vor der deutschen Justiz in das südeuropäische Land, wo er viele Jahre in Praia da Luz lebte. Das ist Dreh- und Angelpunkt der Ermittlungen, denn in Praia da Luz an der Algarve verschwand Maddie vor 13 Jahren. Auch der damals 30-Jährige war zu dem Zeitpunkt dort. Bis dahin und auch danach war sein Leben geprägt von Brüchen, Scheitern und Delikten.
1995 brach er seine KFZ-Mechaniker-Lehre ab, floh mit seiner Freundin nach Portugal, um einer Jugendstrafe von zwei Jahren zu entgehen. Das Amtsgericht Würzburg hatte ihn 1994 wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt. Als "verstockt, einsilbig" und "sichtlich scheu" beschrieb ein Gerichtsbeobachter den damals 17-Jährigen, wie die "Mainpost" aus Würzburg im langen Rückblick auf den Prozess schrieb.
Der angeklagte Auszubildende stand wegen eines Diebstahldelikts noch unter Bewährung, als er sich im September 1993 auf dem Spielplatz einer Gemeinde im Kreis Würzburg einem Mädchen sexuell näherte. Als die Sechsjährige zu schreien begann, lief er dem damaligen Bericht zufolge davon. Sechs Monate später näherte er sich dann einer Neunjährigen und ließ vor ihr die Hosen herunter – nur drei Tage vor dem Gerichtstermin, der wegen des ersten Falls angesetzt war.
Eine problematische Kindheit mit Adoption und Heimaufenthalt führte ein Gutachter damals an, der dem Angeklagten aber "volle Schuldfähigkeit" attestierte. Der Strafe entging er nicht. Die Flucht nach Portugal ging mit der Verhaftung und der Auslieferung nach Deutschland zu Ende. Das pädophile und auch gerichtsdokumentierte kriminelle Verhalten des jungen Mannes blieb dagegen. Nach der Haftstrafe zog er zurück nach Portugal, wohin er auswandern wollte.
Zwischen 1995 und 2007, so die Erkenntnisse des Bundeskriminalamts (BKA), lebte er mehr oder weniger dauerhaft an der Algarve, unter anderem für einige Jahre in einem Haus zwischen Lagos und Praia da Luz. Das BKA veröffentlichte auch Fotos von einem kleinen weißen Haus mit blauen Fensterrahmen. In Portugal hatte er immer wieder Freundinnen. Ein, zwei Jahre, länger hielten die Beziehungen nicht.
Die portugiesische Polizei ist derzeit auf der Suche nach einer wichtigen Zeugin: der Ex-Freundin von B. im Jahr 2007. Wie die "Daily Mail" schreibt, soll der Deutsche in der Zeit um Maddies Verschwinden an der Algarve mit einer minderjährigen Kosovarin zusammengewohnt haben. Die junge Frau soll zwar noch vor Maddies Entführung aus Portugal ausgereist sein, sie könnte aber wichtige Hinweise zu B. geben, glauben die Ermittler.
In Portugal finanzierte B. sein Leben als Kellner, Barkeeper, Automechaniker und -verkäufer; er sammelte und verkaufte Golfbälle und Orangen. Aber das alles reichte offenbar nicht. "Er war sehr einnehmend, dominant und gesellig, er wirkte wie ein hoffnungsloser Träumer, der immer große Pläne hatte", zitierte der "Spiegel" einen "Weggefährten". "Ich wusste, dass er Dreck am Stecken hatte. Drogen und so. Aber dass er Kinder sexuell missbraucht hatte, davon hatte ich keine Ahnung."
Laut Ermittlungsunterlagen, die dem "Spiegel" vorliegen, soll Christian B. in einem Chat über die Entführung und den sexuellen Missbrauch eines Kindes fantasiert haben. Er wolle "etwas Kleines einfangen und tagelang benutzen", habe der Deutsche im September 2013 in einem Chat an einen Bekannten geschrieben. Als dieser ihn warnte, dies könne gefährlich sein, meinte B. nur: "Och, wenn die Beweise hinterher vernichtet werden."
Es entsteht das Bild eines geltungssüchtigen Mannes, das durch einen Prozess Ende 2019 zumindest erhärtet wird. Da verurteilte das Landgericht Braunschweig den 43-Jährigen wegen schwerer Vergewaltigung unter Einbeziehung anderer Strafen zu sieben Jahren Haft. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Aber das Gericht sieht es als erwiesen an, dass der Mann 2005 – rund eineinhalb Jahre vor dem Verschwinden Maddies – eine damals 72-jährige US-Amerikanerin in Praia da Luz brutal vergewaltigte und ausraubte.
Die Ermittler schließen weitere bislang unbekannte Straftaten des Mannes nicht aus. Die Staatsanwaltschaft Stendal prüft mögliche Parallelen zwischen dem Fall Maddie und einem Fall im Bundesland Sachsen-Anhalt. Dort verschwand am 2. Mai 2015 die fünfjährige Inga aus Schönebeck bei Magdeburg. Es werde nach Anhaltspunkten für Zusammenhänge zum Fall Inga gesucht, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Die Frage sei auch, ob sich daraus ein Anfangsverdacht ergebe. Weitere Details wurden nicht genannt. Wie im Fall Maddie laufen die Ermittlungen weiter.
Wie der "Kölner Stadt-Anzeiger" berichtet, ermitteln die Behörden in einem weiteren Fall. Der sechsjährige René ist laut dem Bericht 1996 an der portugiesischen Algarve verschwunden. Elf Jahre später verschwand etwa 40 Kilometer entfernt die dreijährige Maddie. Die Polizei gehe demnach Hinweisen nach, wonach Christian B. auch für die Entführung von René verantwortlich sein könnte.
Der Vater des vermissten Buben sagt zur Zeitung, dass er vom Bundeskriminalamt kontaktiert worden sei. Es sei das erste Mal seit fast 20 Jahren, dass er etwas von der Polizei gehört habe. Laut dem Bericht soll Christian B. zwischen 1995 und 2007 regelmäßig an der Algarve in Portugal gelebt haben. Nun hofft der Vater, dass er womöglich bald Gewissheit über das Schicksal seines Sohnes hat. Er glaubt aber nicht, dass René noch am Leben ist.
22. Juni 2017: FFM-JVA-I: Untersuchungshaft, Kinderpornografie
3. Juli 2017: JVA Wolfenbüttel: Freiheitsstrafe, sexueller Missbrauch von Kindern
10. Oktober 2018: FFM-JVA-I: Freiheitsstrafe, Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz
18. Oktober 2018: JVA Kiel: U-Haft, Vergewaltigung
24. Juli 2019: JVA Wolfenbüttel: Freiheitsstrafe, Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz
19. Mai 2020: JVA Kiel: Freiheitsstrafe, Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz