Weinender Diktator
Warum weinte Kim Jong-un bei Auftritt im Fernsehen?
Als Nordkoreas die Frauen im Land um mehr Kinder bittet, kommen ihm die Tränen. Hier weinte der Diktator sonst noch in der Öffentlichkeit.
Wenn Kim Jong-un in der Öffentlichkeit zusehen ist, wird nichts dem Zufall überlassen. Alle Bilder, die von dem Diktator in die Welt gelangen, werden vom Führungsbüro Nordkoreas sorgfältig ausgewählt. Bei einer Mütterversammlung in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang weinte der Machthaber aber in der Öffentlichkeit.
In seiner Rede forderte Kim die Frauen in Nordkorea auf mehr Kinder zu bekommen. Plötzlich zeigte das Staatsfernsehen ihn mit roten Augen und tiefem Atem, als ob er seine Tränen unterdrücken wollte. Kim zog ein weißes Taschentuch hervor und wischte sich die Tränen ab. Die Szene wurde in den Nachrichten ausgestrahlt. Nun wird spekuliert, warum der Diktator weinende Aufnahmen von sich in die Welt sendet.
Geheimdienste rätseln
Eigentlich hat Kim Jong-un keinen Grund zur Trauer: Vor einigen Tagen schickten Nordkorea den ersten Spionagesatelliten in die Umlaufbahn, der Bilder von amerikanischen Stützpunkten und dem Weißen Haus aufnehmen soll. Am Rande des Raketenstarts jubelte der Diktator öffentlich.
Kims öffentliches Weinen ist in den Geheimdienstkreisen ein Diskussionsthema. Allerdings weinte der Diktator bei mindestens fünf anderen Gelegenheiten in der Öffentlichkeit. Hier ein Überblick:
Zu diesen Anlässen weinte Diktator Kim Jong-un noch:
Erstmals zeigte Nordkoreas Führer im Dezember 2011 Tränen in der Öffentlichkeit. Das war auf der Beerdigung seines Vaters Kim Jong-il, der an einen Schlaganfall gestorben war. An jenem frostigen Morgen lief Kim Jong-un kilometerweit durch den Schnee in der Innenstadt von Pjöngjang und begleitete die Limousine mit dem Sarg des Vaters: Auf beiden Seiten der Straße eine riesige Menschenmenge, die ebenfalls schluchzte. Kim Jong-uns Tränen waren höchstwahrscheinlich auch ein politisches Zeichen: Er wollte zeigen, dass er die Trauer des Volkes über den großen Verlust teilt.
2014: Kim besucht im Dezember eine Fischgefrieranlage in Nordkorea. Als ihm die Arbeiter erzählten von der guten Ausbeute in in dieser Saison berichten, soll Kim gerührt gewesen sein. Dem "emotionalen Diktator" kommen die Tränen.
2015 weint der Machthaber erneut bei einer Beerdigungszeremonie. Bilder der staatlichen Nachrichtenagentur "Kcna" zeigen, wie sich Kim über den Sarg des Toten beugt und mit der Hand dessen Gesicht und Augen berührt. Bei dem Verstorbenen handelte es sich um Kim Yang-gon, einem hochrangigen Politiker Nordkoreas. Das vorzeitige Ende des Genossen ließ jedoch Zweifel aufkommen: In einem Land wie Nordkorea, in dem es nur sehr wenige Autos gibt und diese dem Regime vorbehalten sind, erschien ein Autounfall verdächtig.
Es dauerte fünf Jahre bis zum nächsten Tränen-Ausbruch: Im Oktober 2020 war es anlässlich während der Feierlichkeiten zum 75-jährigen Bestehen der Arbeiterpartei so weit. Kim Jong-un hielt eine Rede, in der er dem Volk dafür dankte, "in diesen schwierigen Zeiten gesund zu bleiben": Er bezog sich dabei auf den Covid-19, der in der Welt wütet. Dabei kamen ihm die Tränen.
Und es gab noch eine vierte Episode in dieser tränenreichen Seifenoper: Im Juli 2022, am Abend der Parade für den "Sieg über die amerikanischen imperialistischen Aggressoren und ihre südlichen Marionetten" (so definiert der Norden den Krieg, den er 1950 entfesselt hatte und der im Juli 1953 mit einem in Panmunjom unterzeichneten Waffenstillstand beendet wurde). Als die Hymne gespielt wurde, war Ri Sol-ju, die Frau des Diktators, die erste, die in Tränen ausbrach. Ob sich der Machthaber dadurch anstecken ließ?
Kims Weinen ist kein Zufall, da sind sich Experten sicher. Scheinbar mag es die nordkoreanische Propaganda, wenn die Menschen gerührt sind. Zu zeigen, dass selbst der Diktator in der Öffentlichkeit weinen kann, ist ein Weg, ihn zu vermenschlichen, erklärte Fyodor Tertiskiy, Forscher an der Kookmin-Universität in Seoul.