Neurologie
Warum viele Österreicher die Klima-Diskussion nervt
Für unser Gehirn ist der Klimawandel zu weit entfernt. Das Thema gelangt deshalb in unseren Köpfen nicht ins "Angst-Zentrum", sagen Neurologen.
Klimakleber am Flughafen Schwechat, demonstrierende Umweltschützer auf der Ringstraße und am Heldenplatz, dazu eine Flut an medialer Klimaberichterstattung – viele Menschen sind vom Thema Klimakrise genervt. Aber warum eigentlich? Ist das Thema nicht wichtig genug?
Antworten liefert die Funktionsweise unseres "Oberstübchen": In unserm Gehirn spielen sich viele geistige Aktivitäten ab, vor allem rationales Denken und Emotionen. "Um relevant zu sein, muss etwas an diese Systeme koppeln und einen Platz im Bewusstsein ergattern", so Uwe Meier vom Berufsverband Deutscher Neurologen zur "Bild"-Zeitung.
Keine Angst ohne akute Bedrohung
Konkrete Gefährdung fehlt beim Thema Klimawandel: "Je unmittelbarer und akuter uns etwas bedroht, desto mehr schlägt das Gehirn Alarm: Die Prüfung am nächsten Tag, für die ich lernen muss. Der aggressive Hund, vor dem ich wegrenne", so Meier.
Nur akute Gefahren- oder Stresssituationen koppeln an unser Angstsystem. Der gesamte Organismus wird dann in einen Alarmzustand versetzt, wir handeln unmittelbar. Beim Klimawandel sind die Gefahren hingegen zeitlich entfernt. "Etwas, das in 50 Jahren auf mich zukommt oder in 100 Jahren auf meine Enkel, ist nicht so akut wie der Hund oder die Prüfung".
Dazu kommt die räumliche Distanz. Die meisten Klimakatastrophen sind weit weg. "Erst, wenn der Sturm mein Haus zerstört, koppelt das Thema an Emotionen. Ich habe dann eine direkte Beziehung, weil es nah ist. Das Gehirn versteht jetzt, mein Angstsystem wirkt", so Meier. Die logische Folge: "Ich mache mein Haus sturmsicher."
„Das Klimaproblem koppelt nicht direkt an unser Angstsystem“
Klimawandel ist abstrakt
Die Klimakrise ist also eher abstrakt und Vernunft-gesteuert. "Wissenschaftler erklären uns, dass es so nicht weitergehen kann. Wir steuern vorhersehbar auf eine Katastrophe zu. Daran zweifelt kein vernünftiger Mensch. Aber: Das Klimaproblem bleibt mehr im neurologischen Vernunftsraum und koppelt nicht direkt an unser Angstsystem", sagt Meier.
Kleine Handlungsspielräume
Klimaschutz trifft neurologisch noch auf ein anderes Problem: Die Handlungsspielräume jedes Einzelnen sind sehr klein, die Folgen eines "klimafreundlichen Handelns" sind nur über lange Zeiträume und oft nur statistisch erfahrbar.
Unser Belohnungssystem springt hingegen auf unmittelbare Erfahrungen an. "Beim Klima kann man nicht sagen: 'Ich mache jetzt etwas und morgen ist die Welt gut.' Handlungen haben keinen sofortigen Effekt, deshalb brauchen wir eine größere Vernunftsanstrengung."
Wir denken im Autopilot
Was uns bewusst ist, prägt unser Denken, Fühlen und Handeln. Wir können aber immer nur eine begrenzte Menge an Informationen verarbeiteten. "So komisch es klingt: meistens suchen wir uns unsere Gedanken nicht aus, wir denken im Autopilot", so Meier.
Die Sorgen um unsere Kinder, Finanzen oder unseren Job sind uns demnach näher als statistische Kennzahlen globaler Krisen. Jeder hat zunächst seine eigenen Probleme zu bewältigen.
"Es gibt Menschen, die wissen nicht, ob sie ihren Job behalten, wie sie mit der Rente auskommen sollen. Das Aussterben der Eisbären ist zu weit entfernt und zu wenig akut für den persönlichen Erfahrungsraum", so der Neurologe.
Überflutung mit Negativ-Meldungen
Wenn es dann auch noch zu einer Überflutung mit negativen Nachrichten kommt, sind wir schnell überfordert. Die Folge: Irgendwann nervt uns das Thema und wir verdrängen es oder wehren es ab. "So etwas wie Klimawandel kann zum Reizwort werden oder man gewöhnt sich dran, das sind Ermüdungseffekte."
Klimakrise: Gehirn ist lernfähig
Die gute Nachricht: Unser Gehirn ist lernfähig. Wir reagieren nicht nur emotional und unmittelbar. Das Gehirn kann sich "in seinen Aktivitäten unseren kulturellen Prägungen anpassen und wir können langfristig planen."
"Indem wir also bewusst das Thema immer wieder sachlich einbringen, kann die Menschheit in einer gemeinsamen Anstrengung auch globalen Bedrohungen begegnen", so Meier.
Größere Probleme als Klimawandel
In der österreichischen Bevölkerung ist das Thema Klimawandel angekommen und nur eine Minderheit bezweifelt, dass dieser menschengemacht ist. Aber 40 Prozent der Bevölkerung denken dennoch, dass es für Österreich drängendere Probleme gibt.
Nur für jeden Fünften steht der Klimawandel klar an erster Stelle. Insgesamt landet der Klimawandel hinter dem Gesundheits- und Pflegesystem sowie der Armutsbekämpfung auf Platz vier von sechs abgefragten Themen. Lediglich Migration und Bildung rangieren weiter hinten, so eine Studie der ÖAW.
Auf den Punkt gebracht
- Der Klimawandel ist für viele Menschen ein abstraktes Thema, das nicht direkt an ihr Angstsystem koppelt, erklären Neuro-Wissenschaftler
- Da die Gefahren des Klimawandels zeitlich und räumlich entfernt sind, reagiert das Gehirn nicht mit unmittelbarer Angst
- Zudem sind die Handlungsspielräume für den Einzelnen klein und die Auswirkungen von klimafreundlichem Handeln oft nur statistisch erfahrbar
- In der österreichischen Bevölkerung wird der Klimawandel zwar als wichtiges Thema wahrgenommen, aber dennoch gibt es für viele größere Probleme