Ukraine
"Verheerend" – das droht Putin nach Cherson-Schlappe
Der Rückzug aus Cherson ist für die Russen eine heftige Schlappe. Im ORF analysierte Russland-Experte Gerhard Mangott die neue Lage am Dnipro-Delta.
Wladimir Putin muss eine heftige Schlappe bei seiner Invasion der Ukraine einstecken: seine Armee musste den wichtigen Brückenkopf auf der Westseite des Dnipro aufgeben, am Mittwoch wurde durch Verteidigungsminister Sergej Schoigu öffentlich der Abzug aller Truppen aus der Großstadt Cherson und den umliegenden Gebieten bekanntgegeben. Offiziell wolle man mit dieser "Umgruppierung" die Leben der eigenen Soldaten schützen, doch das bisherige Vorgehen der Russen ließ solche Absichten eher missen.
Was steckt also wirklich dahinter? Was ist Putins Strategie? Ist es eine Falle? Diesen Fragen widmete sich der Politikwissenschaftler Gerhard Mangott Donnerstagnacht in der ZIB2 mit ORF-Moderatorin Marie-Claire Zimmermann.
Der Russland-Kenner sieht nur noch eine "kleine Restwahrscheinlichkeit, dass es sich um ein Täuschungsmanöver handelt". Die Zeichen deuten auf einen tatsächlichen Rückzug. Dieser mache laut Mangott auch "militärisch Sinn", weil es aufgrund der ukrainischen Angriffe den Russen nicht mehr möglich gewesen sei, die eigenen Truppen auf dem Westufer des Dnipro zu versorgen und das Gebiet zu halten. "Das ist ein militärisch durchaus angezeigter und auch notwendiger Rückzug gewesen, auch wenn man das in Moskau, nämlich diesen Begriff Rückzug, verschleiern möchte."
Die Flucht auf die andere Seite des breiten Flusses würde den gebeutelten Armee-Einheiten wieder Luft geben, um sich neu zu formieren und sich dort einzuigeln. Weil auch die Brücken zerstört sind, könnten die Ukrainer selbst nach der Befreiung Chersons nicht mehr so einfach weiter nachrücken. Der mächtige Fluss werde "für lange Zeit die Frontlinie bleiben", prognostiziert Mangott.
Für die Russen werde es nach dieser dritten großen Niederlage in diesem Krieg zur obersten Priorität, das Ostufer zu verteidigen. "Sie müssen dieses Gebiet östlich des Dnipro halten, denn wenn sie das nicht können, dann bricht die Landverbindung zur Halbinsel Krim ab", so der Studiogast weiter. Die Herstellung der solchen sei doch ein wichtiges Ziel dieses russischen Überfalls gewesen.
Es steht für Putin aber noch mehr auf dem Spiel: Zusätzlich drohe dann auch, dass der Nord-Krim-Kanal, der die Krim mit Wasser versorgt, zerstört oder wieder blockiert werden könnte. "Und das wäre, wenn sich das Gebiet nicht halten lässt, eine verheerende Niederlage für die russsische Seite."
Hunderttausend Verluste
Die mehr als 300.000 mobilisierten Männer seien die "notwendige Verstärkung" für die mittlerweile angenommen über hunderttausend getötete und verwundeten Soldaten auf russischer Seite. Die Ukraine macht aus ihren Verlusten, wie auch der Kreml, ein Staatsgeheimnis, doch sollen diese mittlerweile ebenso hoch liegen, sagt Mangott.
Obwohl beide Seiten nach außen hin jüngst vermehrt wieder Verhandlungsbereitschaft signalisiert haben, denkt der Experte aber nicht, dass es in naher Zukunft dazu kommen wird. Beide Seiten würden sich nämlich noch weitere Erfolge auf dem Schlachtfeld erhoffen, die dann mehr Druck hinter den eigenen Forderungen erzeugen könnten. Das Töten wird also noch weiter gehen.
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