Tucker Carlson (l.) im Interview mit Waldimir Putin (r.)
Reuters
Der amerikanische Moderator Tucker Carlson (54) war nach Moskau gereist, um über zwei Stunden mit Wladimir Putin (71) zu sprechen. Es war Putins erstes Interview mit einem westlichen Medienvertreter seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine und entsprechend mit Spannung erwartet worden.
Im Vorfeld des Interviews behauptete Carlson, kein einziger westlicher Journalist habe sich die Mühe gemacht, den russischen Präsidenten seit Beginn des Ukraine-Krieges zu interviewen. Diese Falschbehauptung wies selbst der Kreml zurück: Carlson habe "nicht recht", da Putin "zahlreiche Anfragen" für Interviews erhalten habe. Diese seien jedoch abgelehnt worden, weil die westlichen Medien "zu einseitig" seien.
Um was ging es?
Putin sprach ausführlich über die Geschichte Osteuropas, beginnend mit der Gründung des russischen Staates im 9. Jahrhundert. Er wiederholte seine historischen Rechtfertigungen für die Invasion der Ukraine: Russland habe die Ukraine nicht angegriffen, sondern lediglich auf die Bedrohung der nationalen Sicherheit reagiert.
Putin sprach auch über seinen Ärger über das Auseinanderbrechen der Sowjetunion und die angebliche Nato-Expansion. Er wiederholte zudem seine nachweislich falsche Behauptung, die Ukraine sei von Neonazis durchsetzt. Mehr zu den aufgenommenen Gesprächsthemen gibt es hier.
Wie lief es für Carslon?
Putin stieg groß ein – mit Stalin, Dostojewski, dem langsamen Niedergang des Römischen Reiches und "wie die Russen mehr über das Ewige und über moralische Werte nachdenken" würden als die Menschen im Westen. Der mitunter "verwirrt dreinblickende Carlson", beobachtet das Magazin "Deadline", habe nichts einwerfen oder gar Fakten überprüfen können.
Tatsächlich fand der Moderator lange kaum Gelegenheit, den Monolog des russischen Präsidenten zu unterbrechen – erst recht nicht mit kritischen Fragen. Russische Kriegsverbrechen in der Ukraine, der Raub ukrainischer Kinder oder Putins Umgang mit politischen Rivalen oder mit der Pressefreiheit liess er gänzlich unerwähnt. Das überrascht nicht. Der Amerikaner hat auch in der Vergangenheit keine besonders russlandkritische Haltung an den Tag gelegt (siehe unten).
Tucker Carlson hört Putin zu
Reuters
Reaktionen: "Unglaublich naiv"
Der Experte: "Ich habe Tucker Carlson überschätzt", schreibt der deutsche Russland-Experte Janis Kluge auf X. An vielen Stellen des Gesprächs habe er "wirklich unglaublich naiv" gewirkt. "Putin zieht Kreise um ihn und hält Vorträge, die meistens sehr, sehr langweilig sind. Insgesamt denke ich, dass es eine verpasste Gelegenheit für beide war, zum Glück."
Der Oppositionelle: "Dieser selbsternannte amerikanische Patriot ist im gleichen Lager wie machtbesessene KGB-Offiziere im Ruhestand gelandet", meint der russische Oppositionelle Michail Chodorkowski zu Carlsons Auftritt. "Es spielt eigentlich keine Rolle, ob Carlson dabei freiwillig mitmacht oder nicht: Zu diesem historischen Zeitpunkt ist dieser selbsternannte amerikanische Patriot im selben Lager gelandet wie machtbesessene KGB-Offiziere im Ruhestand und berüchtigte Propagandisten wie Dmitri Kisseljow, der einst damit drohte, Russland würde die USA in radioaktive Asche verwandeln."
Der Carlson-Fan: "Tucker Carlson wird schon seit Tagen verleumdet", schreibt JFK-Neffe Robert Kennedy Jr. "Die alteingesessenen Medien und das Establishment der Demokraten sind verärgert über ihn, weil er einfach nur seinen Job macht. Die Amerikaner können mit Gesprächen umgehen, die zum Nachdenken anregen. Wir können mit gefährlichen Gedanken oder konträren Ideen umgehen, die nicht in das MSM-Narrativ passen. Lasst uns für uns selbst entscheiden."
Die US-Journalisten: "Was wirklich schockierend ist, ist die Art und Weise, wie Carlson einfach nach Moskau spaziert und sich dem Kreml auf einem Silbertablett präsentiert", kommentiert CNN. Carlson mache "den Job des Kremls, die amerikanische Bevölkerung falsch zu informieren und zu desinformieren".
"Tucker Carlson ist bei weitem nicht der erste westliche Journalist, der sich mit dem Feind verbündet hat", schreibt "Politico". "Es gibt eine lange Tradition, dass Hitler und Stalin nachgiebige Briten und Amerikaner fanden, die Propaganda für sie machten."
Wie unvoreingenommen ist Carlson?
Der ehemalige Fox-News-Moderator überschüttet Wladimir Putin seit Jahren mit Lob. In seinen früheren Kommentaren zum Ukraine-Krieg folgte er oft den Rechtfertigungen aus Moskau, und den demokratisch gewählten ukrainischen Präsidenten nannte er auch schon "Diktator".
2019 sagte Carlson: "Wir sollten uns wahrscheinlich auf die Seite Russlands stellen, wenn wir uns zwischen Russland und der Ukraine entscheiden müssen."
Carlson und seine Sendungen werden wiederholt und prominent im russischen Staatsfernsehen gezeigt. "Seit Jahren lobt Carlson Putin, selbst als der Diktator in der westlichen Öffentlichkeit zur Persona non grata wurde", schreibt der russische Oppositionsführer Michail Chodorkowski. "Wenn er Moskau besucht, wird er wie ein Superstar behandelt."
Für Carlson ist das Interview trotz aller Kritik ein Erfolg: Immerhin ist er, der als Moderator bei "Fox News" einst über drei Millionen Zuschauer pro Abend hatte, in den USA wieder im Gespräch.
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