Demokratie in Gefahr
UN-Experte warnt vor heftiger Entwicklung in Österreich
Repressive Maßnahmen gegen Klima-Aktivisten und vergiftete Polit-Rhetorik sind eine Gefahr für die Demokratie, warnt UN-Sonderberichterstatter Forst.
Die Staaten Europas müssen die Unterdrückung und Kriminalisierung friedlicher Proteste beenden und dringend ihre Treibhausgas-Emissionen im Einklang mit dem vereinbarten Pariser Klimaziel reduzieren, sagt UN-Sonderberichterstatter für Umweltschützer Michel Forst. Sein am 28. Februar 2024 veröffentlichter Report ist eine drängende Mahnung an alle: "Staatliche Repressionen gegen friedlichen Klima-Protest und ziviles Ungehorsam sind eine große Gefahr für Demokratie und Menschenrechte."
Mehr als ein Jahr hatte Forst für seinen Bericht Informationen gesammelt, zahlreiche Länder der Aarhus-Konvention, darunter auch Österreich, besucht und die Lage vor Ort beurteilt.
Die Aarhus-Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der festhält, dass die Notwendigkeit von Umweltschutz für das menschliche Grundrecht auf Leben "unabdingbar" ist, das wir denselben künftigen Generationen schulden und, dass der Öffentlichkeit auch in Umweltthemen die Möglichkeit gegeben werden muss, "ihre Anliegen zum Ausdruck zu bringen".
Ziviler Ungehorsam
Genau darunter fällt nach Forsts Erläuterung auch der umstrittene zivile Ungehorsam, der unter anderem die Klebe-Aktionen der "Letzten Generation" auszeichnet. Diese Protestform sei als Ausdruck der Meinungsfreiheit und des Rechts auf friedliche Versammlung durch die internationalen Menschenrechte geschützt: "Alle Akte zivilen Ungehorsams sind eine Form von Protest, und, solange sie gewaltfrei passieren, ein legitimer Ausdruck dieses Rechts."
Doch anstatt sich an die Pariser Klimaziele zu halten, sind die europäischen Staaten dazu übergegangen, jene zu verfolgen, die in friedlichen Protesten die Regierungen an ihre Verantwortung erinnern.
"Der Umweltnotstand, mit dem wir gemeinsam konfrontiert sind, [...] kann nicht bewältigt werden, wenn diejenigen, die Alarm schlagen und Maßnahmen fordern, dafür kriminalisiert werden", sagte der UN-Sonderberichterstatter.
"Die einzige legitime Reaktion auf friedlichen Umwelt-Aktivismus und zivilen Ungehorsam ist, dass die Behörden, die Medien und die Öffentlichkeit erkennen, wie wichtig es für uns alle ist, auf das zu hören, was Umweltschützer zu sagen haben."
Bewusste Falschdarstellungen
Stattdessen würden viele Politiker, manchmal auch Regierungsmitglieder selbst, "Störung" bewusst mit "Gewalt" vermischen, um damit übermäßige Anwendung von Gewalt durch die Strafverfolgungsbehörden gegen Demonstranten zu rechtfertigen. Gleichzeitig befeuern sie damit die falsche Vorstellung, dass selbst bei einzelnen Gewaltanwendungen am Rande einer Protestaktion alle Teilnehmer in Sippenhaft genommen und abgestraft werden sollten.
Solche radikalen Vergleiche von Baustellen-Besetzungen oder Straßenblockaden durch Klimaaktivisten mit dem organisierten Verbrechen, echten (!) Terroristen oder Mördern und Gewalttätern würden immer häufiger.
Bedenkliche Entwicklung auch in Österreich
Auch Österreich wird in Zusammenhang mit der fortgesetzten hetzerischen Brandmarkung von Klima-Aktivisten als "Ökoterroristen" durch Spitzenpolitiker und "überschießende Polizeigewalt" (Schmerzgriffe, Pfefferspray) gegen friedliche Demonstranten im UN-Report auch namentlich erwähnt und gerügt.
Ebenso bedenklich sei, dass in Österreich und Deutschland gegen die "Letzte Generation" nach dem Mafia-Paragrafen, "Bildung einer kriminellen Vereinigung", ermittelt wird. So würden den Behörden dadurch plötzlich viel umfangreichere Überwachungsmöglichkeiten gewährt, die auch das Abhören von Mobiltelefonen beinhalten. Das habe auch finanzielle Auswirkungen auf die Bewegung, denn Unterstützter würden dann mit ihren Spenden ebenso eine "kriminelle Organisation finanzieren".
Dazu hebt der UN-Beobachter gesondert das harte Vorgehen des Freistaats Bayern negativ hervor. Dort gibt das bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) die Möglichkeit, Personen für maximal 60 Tage in "Präventivgewahrsam" zu nehmen – ohne, dass der Betroffene eines tatsächlich begangenen Verbrechens verdächtigt wird oder angeklagt ist. Auch damit werde "die Ausübung des Demonstrationsrechts behindert".
"Mobilisierung wird nur noch weiter zunehmen"
Das alles setze dem demokratischen Gefüge der Staaten massiv zu und führe nur in eine immer repressivere Zukunft, warnt Michel Forst: "Wenn die Regierungen nicht dringend Maßnahmen ergreifen, um diese dreifache Umweltkrise [Verschmutzung, Biodiversitätsverlust und Klimawandel, Anm.] zu bewältigen, wird die Mobilisierung [...] in den kommenden Jahren nur noch weiter zunehmen. Es werden mehr Umwelt- und Klimabewegungen entstehen [...], Maßnahmen ergreifen und neue Protestformen erfinden, bis die Regierungen endlich umfassende und wirksame Maßnahmen ergreifen, um den Klimanotstand und die Umweltkrisen zu bewältigen."
Er veröffentlichte dazu abschließend fünf Handlungsaufrufe an die Staaten. Sie...
- 1) ... müssen die zugrundeliegende Ursachen hinter der Umweltmobilisierung angehen.
- 2) ... müssen unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um Narrativen, die Umweltschützer und ihre Bewegungen als Kriminelle darstellen, entgegenzuwirken.
- 3) ... dürfen die Zunahme des zivilen Ungehorsams im Umweltbereich nicht als Vorwand nutzen, um den zivilen Raum und die Ausübung der Grundfreiheiten einzuschränken.
- 4) ... müssen bei ihrer Reaktion auf Umweltproteste und zivilen Ungehorsam ihren internationalen Verpflichtungen nachkommen (...) und unverzüglich den Einsatz von Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität gegen Umweltschützer einstellen.
- 5) ... müssen sicherstellen, dass das Vorgehen der Gerichte gegen störende Proteste, einschließlich der verhängten Strafen, nicht zur Einschränkung des zivilen Raums beiträgt.