"Man kann nicht neutral sein"
Ukraine-Botschafter warnt Österreich vor Putin-Plänen
Frieden mit einem "Kriegstreiber" werde es nicht geben. Von Österreich wünscht er sich mehr Druck auf Russland – Vasyl Khymynets im "Heute"-Interview.
Vor genau zwei Jahren näherten sich russische Truppen der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Für viele war es eine Frage der Zeit, bis die Ukraine fällt und Wladimir Putin dort eine Marionettenregierung installiert.
Zwei Jahre später kämpft die Ukraine mit Erfolg weiter. Doch die Kriegsmüdigkeit wird größer und Forderungen nach Friedensgesprächen werden immer lauter. "Heute" traf Vasyl Khymynets, den ukrainischen Botschafter in Österreich, zu einem Interview in Wien-Währing. Die wichtigsten Passagen zusammengefasst – das Interview in Wortlaut befindet sich weiter unten.
Khymynets im "Heute"-Interview
Vasyl Khymynets über...
den 24. Februar 2022: "Diesen Tag habe ich mit Gesprächen verbracht. Ich hatte Kontakte zur Bundesregierung, zum Bundeskanzler oder zum Büro des Bundespräsidenten. Ich hatte viele Gespräche im Parlament mit Vertretern verschiedener Fraktionen gehabt. Ich habe mich auch mit EU-Botschaftern und Botschaftern der G7 getroffen. Wir hatten hier in der Botschaft interne Gespräche und waren in Kontakt mit Kiew, mit unserer Hauptstadt. Meine wichtigste Botschaft damals war, dass es extrem wichtig ist, dass wir die ersten drei Tage durchhalten."
die Situation an der Front: "Wir leben noch, wir verteidigen uns und arbeiten auch an Offensivplänen. Wir haben das Unmögliche möglich gemacht, wir haben die russische Armee entzaubert. Die Russen waren fest davon überzeugt, dass sie die Ukraine in drei Tagen einnehmen werden. Wir haben Russland durch unsere Erfolge gezwungen, das ukrainische Wasser im Schwarzen Meer zu verlassen und haben einen Seekorridor für Exporte geschaffen.
die Gegenoffensive: "Es ist nicht so einfach, das zu beurteilen, wenn man hunderte Kilometer entfernt ist. Die Linie haben wir gehalten, was wichtig ist, Russland konnte keine nennenswerten strategischen Erfolge verzeichnen. Wogegen wir, wie gesagt, die Kontrolle über die Gewässer im Schwarzen Meer übernommen haben. Das ist eine enorme Leistung, die entsprechend gewürdigt werden muss."
„Die Österreicher müssen realisieren: Besetzte ukrainische Gebiete bedeuten keinen Frieden.“
Friedensverhandlungen mit Russland: "Für Putin geht es nur um Herrschaft. Denken Sie, dass er nach der Ukraine Halt macht? Nein, er wird mehr und mehr in Versuchung kommen. Wenn ein Land völkerrechtswidrig überfallen wurde, dann hat dieses Land laut UN-Charta das Recht auf Verteidigung. Wir haben die Situation, dass Russland als Aggressor völkerrechtswidrig agiert. Stellen wir uns vor, wir würden sogenannte "Friedensgespräche" führen. Worüber würden wir sprechen?"
VIDEO: Wie weit kann Putin gehen? Ist Österreich in Gefahr?
"Wir, die Ukraine, wollen wie kein anderes Volk den Frieden so schnell wie möglich erreichen. Wir wollen aber einen nachhaltigen Frieden, der für die Zukunft auch ist. Die Österreicherinnen und Österreicher müssen realisieren: Besetzte ukrainische Gebiete bedeuten keinen Frieden, sondern eine andere Form des Krieges. Deswegen: Wenn Friedensgespräche, dann Friedensgespräche auf Prinzipien des Völkerrechts."
"Kein anderes Land als die Ukraine – als Opfer – kann entscheiden, ob es bereit für Friedensgespräche ist oder nicht. Die Ukraine hat gezeigt, dass es möglich ist, dem Aggressor Verluste zuzufügen und eigene Territorien zu befreien. Solange der Aggressor in einem fremden Land ist, ist das kein Frieden.
Ich kann das nicht akzeptieren, für mich ist es auch nicht verständlich, warum einige Österreicher plötzlich der Meinung sind, die EU solle uns zu Friedensgesprächen drängen. Mir wäre es gerechter, dass die Österreicher, wie alle Europäer, den Druck auf Russland verstärken."
„Mir wäre es gerechter, dass die Österreicher, wie alle Europäer, den Druck auf Russland verstärken.“
Forderungen nach einem Stopp von Waffenlieferungen: "Wenn keine Waffen kommen, dann wird es uns viel schwieriger zu verteidigen. Wir werden viel mehr Menschenleben verlieren. Unsere Verteidigung bzw. der Krieg werden länger dauern. Und es wird den Kriegstreiber ermutigen, weitere Demokratien anzugreifen. Der russische Aggressor wird immer näher an Europa kommen. Ist das im Interesse von Österreich?"
VIDEO: Khymynets über Friedensverhandlungen und Kriegsmüdigkeit in Österreich:
Kriegsmüdigkeit in Österreich – warum?: "Weil das Thema Krieg für die Menschen nicht komfortabel ist. Dass dieser Krieg für die Menschen weit weg ist und weil die Menschen auch entsprechend nicht informiert sind, worum es geht. Wie können sie sich vorstellen, dass man sich für Friedensgespräche bereit erklärt, wenn der Aggressor Menschen tötet und das Land zerstört?
"Ich kann diese Kriegsmüdigkeit nicht verstehen. Denn davon können nur die Ukrainer, die seit mehr als zwei beziehungsweise zehn Jahren im Krieg sind und unfreiwillig ihre Häuser verlassen mussten, sprechen. Diese Menschen muss man fragen, ob sie kriegsmüde sind. Und wenn 90 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer der Meinung sind, für ihre Zukunft weiterkämpfen zu wollen, dann muss man das respektieren."
„Wenn 90 Prozent der Ukrainer der Meinung sind, für ihre Zukunft weiterkämpfen zu wollen, dann muss man das akzeptieren.“
"Ich kann nicht verstehen, warum hier im Westen die Leute müde sind. Entweder sind sie über die Gründe des Krieges manipuliert worden und realisieren nicht, wie brutal der Krieg ist oder sie realisieren nicht, dass Krieg plötzlich auch hier ausbrechen kann."
Donald Trump als US-Präsident: "Diese Welt basiert auf Regeln und Völkerrecht und wenn das zerstört wird, spielt das Putin in die Hände. Das ist nicht das, was unsere europäischen Partner wollen. Auch die USA stehen nicht dafür. Was die USA betrifft, ist die Mehrheit auf unserer Seite. Doch dort herrscht aktuell Wahlkampf und im Wahlkampf werden keine schnellen Entscheidungen getroffen. Ich bin aber überzeugt, dass die USA weiterhin ein führendes Land für Demokratie und Frieden bleibt und die Ukraine weiter unterstützen wird."
die Zukunft im Ukraine-Krieg: "An der Ukraine wird es nicht scheitern, das kann ich Ihnen garantieren. Die Ukraine ist weiterhin bereits, sich zu verteidigen, auch im Sinne der europäischen Werte. Wir wissen, wie brutal der Gegner ist, deswegen sind wir bereit, für unser Land, für unsere gemeinsame Zukunft, zu kämpfen. Aber alleine können wir es nicht schaffen, deswegen ist es in unserem gemeinsamen Interesse der Ukraine zu helfen."
Das Interview mit Vasyl Khymynets in voller Länge:
"Heute": Herr Botschafter, wir befinden uns hier in der ukrainischen Botschaft in Wien. Am Samstag hat sich der russische Angriffskrieg in der Ukraine zum zweiten Mal gejährt. Wie hat die Situation am 24. Februar 2022 für Sie und die Botschaft ausgesehen?
Vasyl Khymynets – Botschafter der Ukraine in Österreich: Bevor ich zur Antwort auf Ihre Frage komme, darf ich hinzufügen, dass wir uns heute am Tag, an dem in der Ukraine der Widerstand gegen die Okkupation der Halbinsel Krim begangen wird, treffen. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Überfall Russlands auf die Ukraine vor 10 Jahren begonnen hat. 24. Februar 2022 war der Tag, wie wir es in der Ukraine nennen, der Tag der großangelegten oder Invasion auf die Ukraine.
Wie ging es Ihnen damals?
Den Tag vor zwei Jahren werde ich nie vergessen, genauso wie jeder Ukrainer und jede Ukrainerin. Das ist der Tag, seitdem sich das Leben meiner Landsleute vollkommen geändert hat.
Viele Ukrainer haben den Tag mit einem kleinen Satz begonnen. "Es hat angefangen." Ein harmloser Satz, aber mit einem tragischen Inhalt. Auch bei mir war es der Fall, als ein Kollege mich am Morgen angerufen hat, genau mit diesen Worten.
"Es hat angefangen".
Diesen Tag habe ich mit Gesprächen verbracht. Ich hatte Kontakte zur Bundesregierung, zum Bundeskanzler oder zum Büro des Bundespräsidenten. Ich hatte viele Gespräche im Parlament mit Vertretern verschiedener Fraktionen gehabt. Ich habe mich auch mit EU-Botschaftern und Botschaftern der G7 getroffen. Wir hatten hier in der Botschaft interne Gespräche und waren in Kontakt mit Kiew, mit unserer Hauptstadt.
Was haben sie all diesen Leuten damals gesagt?
Meine wichtigste Botschaft damals war, dass es extrem wichtig ist, dass wir die ersten drei Tage durchhalten. Das war der Plan von Putin, in drei Tagen die Ukraine einzunehmen, zu erobern und ihr sein Existenzrecht abzusprechen. Wenn wir uns erinnern, zwei Tage vor der Invasion, hatte Putin in einer Pressekonferenz erzählt, warum die Ukraine als selbstständiges Land nicht existieren darf. Da war es schon klar, dass sein Ziel war, die Ukraine zu vernichten.
Sie waren also auf einen Tag wie den 24. Februar vorbereitet?
Wir wussten alle, dass die Invasion anfangen wird. Wie bei jedem Menschen hat man immer gehofft, dass Putin von seinen Plänen vielleicht doch absieht. Das war leider nicht der Fall und insbesondere seit zwei Jahren leben wir in dieser schrecklichen Realität. Für alle Menschen in der Ukraine bedeutet das schreckliches Leid, Tötungen, Vergewaltigungen und andere Verbrechen, die am ukrainischen Volk geübt werden.
In diesen 2 Jahren ist es den ukrainischen Streitkräften gelungen, zahlreiche Gebiete – darunter die Städte Charkiw oder Cherson – zurückzuerobern. Im vergangenen Jahr war eine Großoffensive geplant, wo jedoch kein großer Vorstoß gelang. Ist die Offensive aus Ihrer Sicht gescheitert?
Ich möchte, dass wir zu diesem ernsthaften Thema ein nüchternes Gespräch haben. Es ist nicht so einfach, das zu beurteilen, wenn man hunderte Kilometer entfernt ist.
Wichtig ist, noch einmal festzustellen, dass wir schon vor zwei Jahren hätten nicht mehr existieren sollen. Wir leben noch, wir verteidigen uns und arbeiten auch an Offensivplänen. Seien Sie ehrlich: Haben Sie geglaubt, dass die Ukraine der damals zweitstärksten Armee der Welt standhalten kann?
Wohl kaum jemand hat daran geglaubt. Die Lage sah nicht gut aus.
Wir haben das Unmögliche möglich gemacht, wir haben die russische Armee entzaubert. Wir haben sie gezwungen, sich von Kiew zurückzuziehen. Die Russen waren fest davon überzeugt, dass sie die Ukraine in drei Tagen einnehmen werden. Sie mussten also die Pläne neu gestalten. Sie wissen, glaube ich, bis heute nicht, was die wahren Pläne sind, weil sie verstehen, wie mutig die Ukrainer bei der Verteidigung ihres Landes sind.
Wenn wir das Jahr 2023 analysieren, müssen wir bedenken, dass die Handlungen im Krieg eine Art Mathematik sind. Ressourcen, Soldaten, Militärtechnik – all das muss man beachten. Die Realität ist, dass wir nie in der Lage waren, militärisch mit Russland mitzuhalten. Sie sind überlegen, was die menschlichen Ressourcen betrifft, was die Munition oder die Militärtechnik betrifft. Wir können der Quantität Russlands eine Qualität entgegensetzten: westliche moderne Kriegstechnologien verbunden mit Cleverness und Mut der ukrainischen Streitkräfte
Und trotzdem konnten Sie standhalten.
Wir unterschätzen Russland niemals. Aber Russland hat all das Potenzial von vor zwei Jahren verloren. Deswegen wenden sie sich heute schon an Nordkorea oder den Iran, um militärische Hilfe zu bekommen. Wir können darüber reden, was uns gelungen oder nicht gelungen ist. Das Wichtigste ist, dass wir den Gegner trotz Überlegenheit dort gehalten haben, wo er sich auch heutzutage befindet.
Verstehe ich Sie richtig? Ist die Gegenoffensive aus Ihrer Sicht also gelungen?
Die Linie haben wir gehalten, was wichtig ist. Wir haben Russland durch unsere Erfolge gezwungen, das ukrainische Wasser im Schwarzen Meer zu verlassen und haben einen Seekorridor für Exporte geschaffen. Putin drohte im Juli 2023 selbst, jedes Schiff im Schwarzen Meer zu zerstören. Wir haben nicht gedroht, wir haben uns verteidigt.
Wenn wir das letzte Jahr analysierten, haben wir Russland schwere Verluste zugefügt, ohne selber ein ähnliches militärisches Potenzial zu haben. 2023 war ein wichtiges Jahr, in dem Russland keine nennenswerten strategischen Erfolge erzielen konnte. Wogegen wir, wie gesagt, die Kontrolle über die Gewässer im Schwarzen Meer übernommen haben. Das ist eine enorme Leistung, die entsprechend gewürdigt werden muss.
Wie sieht eigentlich die Lage in den nach wie vor von Russland besetzten Gebieten aus? Nehmen wir Mariupol als Beispiel, wo Kreml-Despot Putin sogar persönlich vor Ort war. Wie geht es Ihnen, wenn Sie Bilder und Videos von Straßen oder Wohnvierteln einer Stadt sehen, die nicht mehr unter Ihrer Kontrolle sind?
Es tut uns allen weh. Für mich persönlich sind diese Bilder sind sehr, sehr schmerzhaft und es ist nicht leicht, sie immer wieder anzusehen. Ich habe noch im Mai 2021 Mariupol besucht, als Vertreter des Außenministeriums habe ich an einigen Konferenzen über die Zukunft der Stadt teilgenommen. Wir haben darüber gesprochen, wie wir Zivilinitiativen stärken und die Stadt modernisieren können.
Heute existiert die Stadt quasi nicht mehr. Das ist übrigens typisch für den russischen Krieg. Blicken Sie auf Städte wie Mariupol, Bachmut & Co. Russland nimmt diese Städte nicht ein, sondern gleicht sie dem Boden. Das ist natürlich eine schmerzhafte Wunde, die immer wieder an die schrecklichen Verbrechen Russland erinnert.
Haben diese Städte überhaupt eine Zukunft?
Es schmerzt, wenn wir darüber sprechen, dass auf ein Theater im Zentrum Mariupols russische Bomben abgefeuert wurden und viele unschuldige Menschen gestorben sind. Wir reden über solche Situationen im 21. Jahrhundert. Es schmerzt sehr, aber wir haben keine andere Wahl, als weiterzukämpfen. Der russische Barbar muss in der Ukraine gestoppt und muss für alles, was Völkerrechtswidriges verrichtet wurde, zur Rechenschaft gezogen werden. Und das beginnend mit 2014.
In vielen EU-Ländern – darunter auch in Österreich – hört man seit zwei Jahren Menschen, die sagen, es sei nicht ihr Krieg. Die Sanktionen gegen Russland würden der heimischen Wirtschaft schaden und das Eskalationspotenzial steige. Was sagen Sie diesen Menschen? Ist es wirklich ein lokaler Konflikt, der mit dem neutralen Österreich nix zu tun hat?
Selbst Putin und Vertreter seines Regimes senden jeden Tag Signale, dass es für sie nicht nur um die Ukraine geht. Es geht für sie um die Herrschaft in Europa. Noch im Jahr 2021 diktierte Putin den Ländern der demokratischen Gemeinschaft, wie die Ordnung in Europa aussehen soll. Seit zwei Jahren versucht er, durch den Krieg in der Ukraine, das alles auch umzusetzen. Immer mehr Menschen in Europa verstehen, dass sich die russische Armee mit jedem verlorenen ukrainischen Dorf Europa nähert.
Aber, Herr Botschafter, glauben Sie wirklich, dass Putin auch Österreich, ein militärisch neutrales Land, angreifen könnte?
War die Ukraine 2014 nicht neutral? War Georgien 2008 nicht neutral? War die Ukraine 2022 nicht neutral? Ich appellierte hier an die österreichische Bevölkerung. Schauen Sie auf die jüngste Geschichte, schauen Sie auf die Taten von Russland und ziehen Sie die richtigen Lehren daraus. Wir haben hier mit einem schrecklichen Aggressor zu tun, der seine Zukunft nur im Paradigma eines Krieges sieht.
Für Putin geht es nur um Herrschaft. Denken Sie, dass er nach der Ukraine Halt macht? Nein, er wird mehr und mehr in Versuchung kommen. Welches Land wäre dann in der Lage, ihn noch zu stoppen? Und noch was: man kann nicht neutral dazu sein, dass Völkerrecht mit Füßen getreten wird. Dass unschuldige zivile Menschen ermordet werden.
Ich würde gerne mehr über Österreich sprechen. Hier finden im Herbst Nationalratswahlen statt. Seit Monaten führt die FPÖ in Umfragen an und liegt konstant bei rund 30 Prozent. Parteichef Kickl forderte am Jahrestag rasche Friedensgespräche und ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine, denn diese würden den Krieg nicht beenden. Was sagen Sie zu solchen Äußerungen?
Wir dürfen nicht so oberflächlich wie einige Politiker sprechen. Ihre Aufgabe ist es, den Menschen zu erklären, worum es geht. Wenn ein Land völkerrechtswidrig überfallen wurde, dann hat dieses Land laut UN-Charta das Recht auf Verteidigung. Wir haben die Situation, dass Russland als Aggressor völkerrechtswidrig agiert. Stellen wir uns vor, wir würden sogenannte "Friedensgespräche" führen. Worüber würden wir sprechen?
Es ist ein grundloser Krieg, in dem sich ein Land das Recht behält, einen Nachbar auszulöschen. Und dann setzen wir uns am Tisch, reden über Prinzipien für den Frieden und müssen über das Völkerrecht sprechen. Doch dieses Völkerrecht wird jetzt mit Füßen getreten. In diesem Krieg ist es also nicht möglich, ohne Druck auf Russland Frieden zu erreichen.
Will Russland dann sagen: "Ich habe tausende Menschen gefoltert und getötet und jetzt will ich wieder gut sein"? Soll dann die Ukraine sagen: "Okay, wir verzeihen dir, dass du uns so viel Leid gebracht hast. Wir würden dich bitten, dass du so etwas nicht mehr machst"? Wenn die Waffenlieferungen in die Ukraine gestoppt werden, so wird es dem Kriegstreiber die Aufgabe leichter machen - die wehrlosen Ukrainerinnen und Ukraine ohne Probleme zu unterwerfen.
Verstehe ich Sie richtig, Herr Botschafter? Sie möchten damit sagen, Frieden ist aktuell nicht möglich.
Erstens: Frieden ist dann, wenn es keinen Kriegstreiber gibt. Zweitens: Ich möchte damit sagen, dass es auch hier in Österreich Politiker gibt, die für das Wohl ihres Landes sorgen wollen. Ich würde hier gerne einen Politiker sehen, der bereit wäre, das eine oder andere Gebiet Österreichs abzugeben, weil es aus Sicht des Aggressors gut wäre.
Ich möchte, dass in Österreich eine Diskussion geführt wird. Wenn man den Menschen etwa erklärt, dass ein Verbrecher in ihre Wohnung eindringt, Familienmitglieder foltert und mordet – würden sie sich dann hinsetzen und mit dem Verbrecher über Frieden sprechen? Wo ist die Sicherheit, dass er morgen nicht weitermacht? Diese Gefahr ist real.
Was sagen Sie Menschen, die schon jetzt Friedensgespräche fordern?
Putin hat schon längst seine Glaubwürdigkeit verloren. Erinnern wir uns, womit das alles begonnen hat, mit der Annexion der Krim vor zehn Jahren. Zuerst hat Putin bestritten, russische Truppen auf die Krim geschickt zu haben. Plötzlich hat die ganze Welt gesehen, dass es Russen waren. Dann kam der Donbass, worauf es mehrere Runden von Verhandlungen, mehr als 200, mit Russland und führenden europäischen Staaten wie Deutschland und Frankreich gab. Was haben uns diese Verhandlungen gebracht? Nichts, es hat dem Aggressor geholfen, weil er sich während der Gespräche auf den Krieg vorbereitet hat.
Wenn es jetzt um den Frieden geht, möchte ich hier sehr klar und deutlich ausdrücken: Wir, die Ukraine, wollen wie kein anderes Volk den Frieden so schnell wie möglich erreichen. Wir wollen aber einen nachhaltigen Frieden, der für die Zukunft auch ist.
Die Österreicherinnen und Österreicher müssen realisieren: Besetzte ukrainische Gebiete bedeuten keinen Frieden, sondern eine andere Form des Krieges. Deswegen: Wenn Friedensgespräche, dann Friedensgespräche auf Prinzipien des Völkerrechts. Das Völkerrecht ist dasselbe wie eine Ordnung in einer Stadt oder Gemeinde. Doch das, was Putin uns aufzwingen möchte, ist Willkür und Diktatur. Darauf ist es nicht möglich einen nachhaltigen Frieden zu bauen.
Das ist eine klare Ansage an jene, die Waffenlieferungen an Ihr Land stoppen wollen.
Wenn verlangt wird, dass keine Waffen mehr an die Ukraine geliefert werden sollen, kann ich nur sagen: Wenn keine Waffen kommen, dann wird es uns viel schwieriger zu verteidigen. Wir werden viel mehr Menschenleben verlieren. Unsere Verteidigung bzw. der Krieg werden länger dauern.
Und es wird den Kriegstreiber ermutigen, weitere Demokratien anzugreifen. Der russische Aggressor wird immer näher an Europa kommen. Ist das im Interesse von Österreich? Wir brauchen Waffen, damit wir uns verteidigen und unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger schützen können. Wenn sich der Aggressor aus der Ukraine zurückzieht, kommt ein Frieden. Das ist unser Ziel.
Laut einer aktuellen Umfrage des European Council on Foreign Relations (ECFR) sind aber 49 Prozent der Österreicher der Meinung, dass die EU die Ukraine zur Aufnahme von Friedensgesprächen drängen sollte. Das ist doch ein beachtlicher Wert, finden Sie nicht?
Weil das Thema Krieg für die Menschen nicht komfortabel ist. Dass dieser Krieg für die Menschen weit weg ist und weil die Menschen auch entsprechend nicht informiert sind, worum es geht. Wie können sie sich vorstellen, dass man sich für Friedensgespräche bereit erklärt, wenn der Aggressor Menschen tötet und das Land zerstört?
Kein anderes Land als die Ukraine – als Opfer – kann entscheiden, ob es bereit für Friedensgespräche ist oder nicht. Die Ukraine hat gezeigt, dass es möglich ist, dem Aggressor Verluste zuzufügen und eigene Territorien zu befreien.
Solange der Aggressor in einem fremden Land ist, ist das kein Frieden. Ich kann das nicht akzeptieren, für mich ist es auch nicht verständlich, warum einige Österreicher plötzlich der Meinung sind, die EU solle uns zu Friedensgesprächen drängen. Mir wäre es gerechter, dass die Österreicher, wie alle Europäer, den Druck auf Russland verstärken.
Verstehen Sie also die Kriegsmüdigkeit seitens der österreichischen Bevölkerung?
Ich kann diese Kriegsmüdigkeit nicht verstehen. Denn davon können nur die Ukrainer, die seit mehr als zwei beziehungsweise zehn Jahren im Krieg sind und unfreiwillig ihre Häuser verlassen mussten, sprechen. Diese Menschen muss man fragen, ob sie kriegsmüde sind. Und wenn 90 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer der Meinung sind, für ihre Zukunft weiterkämpfen zu wollen, dann muss man das respektieren.
Ich kann nicht verstehen, warum hier im Westen die Leute müde sind. Entweder sind sie über die Gründe des Krieges manipuliert worden und realisieren nicht, wie brutal der Krieg ist oder sie realisieren nicht, dass Krieg plötzlich auch hier ausbrechen kann.
Glauben Sie das? Glauben Sie, dass auch in Österreich ein Krieg hier ausbrechen könnte?
Deswegen kämpfen wir, dass der Krieg in der Ukraine beendet wird und dass der Aggressor in der Ukraine gestoppt wird. Ich kann noch einmal appellieren: Genau schauen und einfach die jüngste Geschichte analysieren und die Lehren ziehen. Seit 2014 hören wir immer wieder diese Skepsis und Naivität bezüglich der Kriegspläne Russlands von vielen im Westen. Das ist meine Antwort.
Sie betonen immer wieder, dass die Ukraine weiterkämpfen möchte. Wir wissen aber auch, dass die Ukraine sehr abhängig ist von Waffenlieferungen abhängig ist. Ein milliardenschweres Hilfspaket aus den USA stockt bereits seit Wochen. Im Spätherbst finden dort Präsidentschaftswahlen statt, wo ein Sieg von Donald Trump durchaus realistisch erscheint. Dieser betonte, dass er in nur 24 Stunden Frieden zwischen Ihrem Land und Russland herstellen könne. Befürchten Sie, dass sich die USA von Ihnen abwenden und die Hilfe reduzieren oder gar einstellen könnte?
Ich möchte noch einmal betonen: Für uns alle geht es nicht nur um die Ukraine. Es geht für uns – und das ist wichtig, dass Ihre Leserinnen und Leser das auch verstehen – dass wir weiterhin in einer freien, demokratischen Welt leben. Diese Welt basiert auf Regeln und Völkerrecht und wenn das zerstört wird, spielt das Putin in die Hände. Das ist nicht das, was unsere europäischen Partner wollen. Auch die USA stehen nicht dafür.
Was die USA betrifft, ist die Mehrheit auf unserer Seite. Doch dort herrscht aktuell Wahlkampf und im Wahlkampf werden keine schnellen Entscheidungen getroffen. Ich bin aber überzeugt, dass die USA weiterhin ein führendes Land für Demokratie und Frieden bleibt und die Ukraine weiter unterstützen wird.
Wie wird die Lage im Krieg aussehen, wenn wir uns in einem Jahr wiedertreffen?
An der Ukraine wird es nicht scheitern, das kann ich Ihnen garantieren. Die Ukraine ist weiterhin bereits, sich zu verteidigen, auch im Sinne der europäischen Werte. Das sind keine pathetischen Worte, das ist die Realität. Wir wissen, wie brutal der Gegner ist, deswegen sind wir bereit, für unser Land, für unsere gemeinsame Zukunft, zu kämpfen. Aber alleine können wir es nicht schaffen, deswegen ist es in unserem gemeinsamen Interesse der Ukraine zu helfen.
Herr Botschafter, danke für das Gespräch und weiterhin alles Gute.
Ich danke Ihnen.
Auf den Punkt gebracht
- Der ukrainische Botschafter Vasyl Khymynets appellierte an Österreich, mehr Druck auf Russland auszuüben und erklärte, dass keine Neutralität im Kampf gegen Aggression möglich sei
- Er betonte, dass die Ukraine in der Lage sei, sich zu verteidigen, aber weiterhin auf internationale Unterstützung angewiesen sei, und warnte davor, die Waffenlieferungen zu stoppen, da dies die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine schwächen und den Kriegstreiber ermutigen würde
- Khymynets kritisierte auch die Forderungen nach Friedensgesprächen mit Russland und wies darauf hin, dass eine nachhaltige Friedenslösung im Einklang mit dem Völkerrecht stehen müsse